Mehr Menschenrechte

Ein neues Gesetz zwingt deutsche Unternehmen, die Arbeitsbedingungen über ihre gesamte Lieferkette hinweg zu kontrollieren. Das hat nicht nur moralische Gründe.
Illustration: Carina Crenshaw
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Mirko Heinemann Redaktion

Alles sah eigentlich danach aus, als ob es in letzter Minute scheitern würde. Dann aber klappte es doch: Der Bundestag hat am 11. Juni nach zähem Ringen mit Verbänden und Industrie das lange diskutierte Lieferkettengesetz verabschiedet. Es besagt im Grundsatz, dass deutsche Unternehmen dafür Sorge tragen müssen, dass über ihre gesamte Lieferkette hinweg bestimmte Arbeitsstandards eingehalten werden – vom Produzenten und Zulieferer in Asien oder Afrika bis zum Auslieferungsfahrer in Deutschland.


„Es geht nicht darum, überall in der Welt deutsche Sozialstandards umzusetzen, sondern um die Einhaltung grundlegender Menschenrechtsstandards“, erklärte Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes. Er verwies darauf, dass weltweit 79 Millionen Kinder unter ausbeuterischen Bedingungen in Textilfabriken, Steinbrüchen oder auf Kaffeeplantagen arbeiten. „Dafür tragen auch Unternehmen in Deutschland Verantwortung. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass in ihren Lieferketten die Menschenrechte eingehalten werden“, so Müller. Die Berichtspflicht gilt zunächst ab 2023 für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern, ein Jahr später ab 1.000.


Die Wirtschaft sieht das Lieferkettengesetz als bittere Pille, zumal „in einer Zeit, in der die internationalen Lieferketten ohnehin äußerst brüchig und zunehmend instabil sind“, entgegnet Sarna Röser, Bundesvorsitzende des Mittelständler-Verbands Die Jungen Unternehmer. Sie kritisiert „unbestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext, gepaart mit weiten Klagemöglichkeiten für professionelle Kläger wie NGO und Gewerkschaften“. Unkalkulierbare Risiken für die im Welthandel tätigen Unternehmen seien die Folge. „Leider wird es der Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstandes so starken Schaden zufügen“, so Röser. Auch der Deutsche Mittelstandsbund kritisiert das Gesetz als „realitätsfremd“: Der deutsche Mittelstand stehe für verantwortungsvolles Unternehmertum, die Achtung der Menschen- und Arbeitsrechte sei eine Selbstverständlichkeit.


Dann wäre das Gesetz also überflüssig? Das sieht der Entwicklungsminister völlig anders: „Dieses Gesetz wird Millionen von Kindern und Familien in Entwicklungsländern ein Stück bessere Lebenschancen und Zukunftsperspektiven geben“, so Gerd Müller. Er attestiert dem Lieferkettengesetz nicht nur hohe Wirksamkeit, sondern eine Vorbildfunktion für andere Länder. Warum das so ist, wird in seinem Satz eher mittelbar sichtbar: Es geht bei dem Lieferkettengesetz nicht nur um Verantwortung gegenüber Ärmeren oder gar um Moral, sondern um knallharte Interessenspolitik.


Das Lieferkettengesetz ist ein Baustein in der Strategie, bessere Lebensbedingungen in den Ländern des Südens zu schaffen, um zukünftigen Fluchtbewegungen in den reichen Norden, mithin in die Europäische Union, vorzubeugen. Und damit ist so ein Gesetz im Interesse aller reichen Industrieländer, und allen voran der Europäischen Union. Kein Wunder, dass Gerd Müller anregt, die EU solle die deutsche Regelung übernehmen. Ziel: die Einhaltung von Menschenrechten und globalen Mindeststandards in allen europäischen Lieferketten.

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