Herr Schucht, Sie haben weltweit mit den höchsten Anteil an erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in Ihrem Netzgebiet. Ist das der Beweis, dass die Energiewende machbar ist?
Unsere Region, der Nordosten Deutschlands, ist eine sehr windreiche, weniger dicht besiedelte Region mit vielen Sonnenstunden und eignet sich deshalb sehr gut als ‚Labor’ für das gewaltige Vorhaben Namens Energiewende. Was wir als Netzbetreiber mittlerweile bewiesen haben: Die Transformation ist nicht nur technisch, sondern auch versorgungssicher machbar.
War das ohne Probleme möglich?
Bis hierhin war es ein mehrstufiger Weg. Zunächst haben wir eine Lernphase mit einem Anteil von unter zehn Prozent erneuerbarer Energien durchlaufen. Da war der Grünstrom also ein Nischenprodukt. Das war wichtig, um zu erkennen, welche Instrumente für eine Einbindung ins Netz benötigt werden und um aus Fehlern zu lernen. Der nächste Schritt war die Erhöhung des Anteils bis etwa 40 Prozent. Hier ging es darum, die Instrumente für die Einspeisung sowie die Wetter- und Einspeiseprognosen zu verfeinern und die Fehlerquote insgesamt deutlich zu verringern. Entwicklung der Netzinfrastruktur, Echtzeit-Datenaustausch und die Steuerung von volatilen erneuerbaren Anlagen sind hier weitere wichtige Themen. Aktuell befinden wir uns im Endstadium dieser Phase. Dann wird es darum gehen, erneuerbare Energien zur dominierenden Energiequelle im Netz zu machen. Bis dahin müssen alle Instrumente perfektioniert und der Markt weiterentwickelt sein.
Was braucht es hierfür?
In aller erster Linie einen schnellen Netzausbau. Und zum Glück tut sich hier in der Praxis etwas. Grundsätzlich tragen alle Bundesländer die Energiewende – auch wenn es hier und da Widerstand gibt. Aber auch dieser Dialog ist ein wichtiger Prozess. Ohne Akzeptanz gibt es keinen Netzausbau und ohne den ist wiederum die Energiewende nicht zu schaffen. Wir Netzbetreiber wollen diesen Dialog für eine offene und transparente Verständigung nutzen.
Hat die deutsche Energiewende auch Auswirkungen auf den europäischen Markt?
Definitiv. Die Großhandelspreise an der Börse sind in den letzten Jahren hierzulande deutlich gesunken, so dass die Stromnachfrage aus dem europäischen Ausland gewachsen ist. Umso wichtiger wäre es, den europäischen Strombinnenmarkt weiter zu stärken, denn in großen Marktgebieten lässt es sich schlicht effizienter wirtschaften. Von einer solchen Vernetzung würden sowohl die Kunden in finanzieller Hinsicht als auch die Versorgungssicherheit profitieren.
Und wie gelingt die Energiewende technisch?
Mit Innovationen, die sehr viele Bereiche betreffen müssen – etwa die Technik der erneuerbaren Anlagen, aber auch konventioneller Anlagen. Es gilt, neue Prozesse zu schaffen, so dass auch mit der zunehmenden Anzahl an Marktakteuren, die die Einbindung erneuerbarer Energien nun mal mit sich bringt, sowohl ein Datenaustausch in Echtzeit, als auch die Steuerbarkeit der vielen erneuerbaren Anlagen möglich sind. Das kommt den Kunden, der Flexibilität der Netze und auch dem Zusammenspiel aller Marktpartner gleichermaßen zugute.
Was ist Ihre Prognose für die Zukunft?
Wir glauben fest an die Energiewende und an ihre Akzeptanz. Klar ist aber auch, dass es auf dem Weg zum Gipfel noch einige schmerzliche Etappen geben wird. Heute sind es das Marktdesign und mögliche Kapazitätsmechanismen, morgen das Verständnis für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur und für die Standorte der neuen erneuerbaren Anlagen sowie die Frage, wer welchen Beitrag leistet. Aber all das sind Fragen, die wir gemeinsam lösen werden.
Boris Schucht; Vorsitzender der Geschäftsführung, 50Hertz
www. 50hertz.com