»Wir brauchen mehr Unterstützung«

Interview mit Prof. Dr. Christoph Klein, Vorstand der Care-for-Rare Foundation, die sich für Kinder mit seltenen Erkrankungen einsetzt.
Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
Interview: Julia Thiem Redaktion

Herr Prof. Klein, seltene Erkrankungen sind seit vielen Jahren bekannt. Wie haben sich die Therapieoptionen seitdem entwickelt?
Ich beobachte seit einigen Jahren eine zunehmende Sensibilisierung für das Thema der seltenen Erkrankungen. Die europäische Kommission hat auf Anregung europäischer Patientengruppen die Initiative ergriffen und alle Mitgliedstaaten der EU aufgefordert, nationale Aktionspläne zu erarbeiten. Es gibt neue Anreize und Regularien für die pharmazeutische Industrie, die die Entwicklung von Medikamenten für Patienten mit seltenen Erkrankungen begünstigen. Dennoch müssen wir festhalten, dass wir noch lange nicht ruhen dürfen. Immer noch sterben alleine in Deutschland etwa 3.000 Kinder an den Folgen ihrer schweren, komplexen, seltenen Erkrankungen. Immer noch sind Kinder mit seltenen Erkrankungen die „Waisen der Medizin“. Immer noch dauert es in vielen Fällen zu lange, bis eine korrekte Diagnose gestellt wird. Und selbst wenn es eine Diagnose und Therapiemaßnahmen gibt, kämpfen Eltern mit großen bürokratischen Hindernissen. Kinder mit seltenen Erkrankungen sind auch „Waisen des Sozialrechts“. Immer noch leiden viele Kinder, weil es zu wenig Wissen um ihre Erkrankung gibt und zu wenige Forschungsanstrengungen unternommen werden, um ihnen zu helfen. Dabei vergessen wir, dass die wissenschaftlichen Untersuchungen am Ende nicht nur Kindern mit seltenen Erkrankungen helfen, sondern oft auch Kindern und Erwachsenen mit sehr viel häufigeren Erkrankungen dienlich sind. Es gibt also einen enormen „Hebeleffekt“, den wir uns zunutze machen können – gerade im Hinblick auf eine neue Ära in der Medizin, in der wir maßgeschneiderte und individualisierte Therapien anwenden können.
 

Was braucht es aus Ihrer Sicht, damit es künftig mehr Therapieoptionen für Menschen mit seltenen Erkrankungen gibt?
Wir brauchen kreative Ideen auf verschiedenen Ebenen. Wir müssen meines Erachtens die Strukturen unseres Gesundheitswesens so optimieren, dass Fehlanreize minimiert werden und damit mehr Ressourcen für die wirklich bedürftigen Kinder und erwachsenen Patienten mit schwersten Erkrankungen bereitgestellt werden. Ein Blick über die Grenzen Deutschlands hinaus zeigt uns, dass überall da, wo die Kindermedizin durch engagierte und enthusiastische Ärzte und Wissenschaftler stetig verbessert wird, eine kinderfreundliche Atmosphäre herrscht und Menschen sich ideell und finanziell viel mehr für kranke Kinder einsetzen. In meinen Augen brauchen wir neben der Grundversorgung durch die Sozialversicherungen auch in Deutschland eine neue Welle philanthropischer Unterstützungen, wir brauchen Mäzene und Stiftungen. Dafür haben wir in München beispielsweise die Initiative pro.movere ins Leben gerufen.
 

Ihre Care-for-Rare Foundation unterstützt Kinder mit seltenen Erkrankungen. Welche Hilfe wird am dringendsten benötigt?
Wir müssen Therapien entwickeln, um den erkrankten Kindern helfen zu können. Dafür müssen wir die seltenen Erkrankungen aber erst mal erkennen und verstehen. Die Care-for-Rare Foundation folgt deshalb dem Motto „Erkennen-Verstehen-Heilen“. Im Rahmen eines weltweiten Netzwerkes unterstützt die gemeinnützige Stiftung die Erforschung der Grundlagen und die Entwicklung neuer Therapien für Kinder mit seltenen Erkrankungen.


Wie unterscheidet sich Ihre Stiftung von den Vereinen und Selbsthilfeorganisationen der Betroffenen?
Die Stiftung wurde aus der klinischen Medizin und der Wissenschaft heraus gegründet, in dieser speziellen Prägung ist sie in vieler Hinsicht eine Ergänzung zu anderen Vereinen und Selbsthilfeorganisationen. Dabei setzt sie eigene Akzente, insbesondere in der klinischen Forschung. Das Ziel, Kindern mit seltenen Erkrankungen zu helfen, ist ein gemeinsames und wird auch in gemeinsamen Aktionen verwirklicht. Mit der ACHSE e.V. hat die Care-for-Rare Foundation zum Beispiel eine gemeinsame Fotowanderausstellung „Waisen der Medizin – Leben mit einer seltenen Erkrankung“ ins Leben gerufen.


www.care-for-rare.org

 

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