Was kann die digitale Akte?

Ab 2021 soll die elektronische Patientenakte (ePA) den Patienten stärken und das Gesundheitssystem effizienter machen. Noch aber sind viele Details ungeklärt.
Illustrationen: Ivonne Schulze
Illustrationen: Ivonne Schulze
Axel Novak Redaktion

Den Fortschritt in seinem Lauf – hält weder Ochs noch Esel auf … Und so ist es ja auch mit der elektronischen Gesundheitskarte. Die gibt es nun seit bald zehn Jahren in Deutschland. Wer heute ärztliche Leistungen in Anspruch nimmt, greift zu dem kleinen Plastikkärtchen der neusten Generation, erkennbar am Zeichen G2.


Mit einem Lichtbild des Versicherten soll sie, ganz alte Schule, Missbrauch verhindern. Doch auf dem Mikrochip daneben befindet sich Hightech: Neben den so genannten Versichertenstammdaten wie Name, Anschrift und Geburtsdatum finden sich auch Zertifikate, mit denen Versicherte sich authentifizieren oder Daten verschlüsseln können.


Zu Beginn des kommenden Jahres haben Versicherte erstmals die Möglichkeit, mit ihren Ärzten zusammen eine elektronische Patientenakte anzulegen, die so genannte ePA. Da bahnt sich eine veritable digitale Revolution im Gesundheitswesen an.

 

Was soll die ePA?
Durch mehr Transparenz erhofft sich der Gesetzgeber, dass Patienten über Diagnose und Therapie genauer und umfassender informiert sind und besser über ihre Gesundheit mitentscheiden. Die digitale Datenübermittlung soll außerdem für mehr Effizienz im Gesundheitswesen sorgen: Die Patienten profitieren dann von digitalen Angeboten. Schon im ersten ePA-Jahr 2021 könnte jeder fünfte Versicherte eine digitale Akte anlegen.

 

Was steht drin?
Die elektronische Patientenakte enthält die Stammdaten des Versicherten sowie Befunde, Diagnosen, Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte oder Impfungen. Außerdem ist ein Notfalldatenmanagement möglich, das Informationen zu Allergien und Arzneimittel-Unverträglichkeiten, sowie relevante Diagnosen und weitere Hinweise wie beispielsweise zu einer aktuellen Schwangerschaft oder zu Implantaten enthält. Auch sind Kontaktdaten von Ärzten und Personen, die im Notfall verständigt werden sollen, enthalten. Künftig könnten auch zusätzliche Dokumente wie Impfpass, Mutterpass oder das Untersuchungsheft sowie beispielsweise Bonushefte digital verwaltet werden. Dafür stehen drei separate Fächer zur Verfügung – eines für die Leistungserbringer, also die Ärzte. Eines für die Krankenkassen und eines für Daten, die der ePA-Inhaber selbst eingestellt hat. Das kann ein Tagebuch über Blutzuckermessungen sein, aber auch persönliche Erklärungen zu einer Organspende, zur Patientenverfügung oder eine Vorsorgevollmacht. Zwei Jahre lang wird protokolliert, wer auf welche Daten zugegriffen hat, um Missbrauch zu verhindern.

 

Können Versicherte ihre Akte einsehen?
Ziel ist, dass Patienten ihre Daten künftig auch außerhalb der Arztpraxis eigenständig einsehen können. Das soll zum Beispiel über Smartphones oder Tablets geschehen. Noch aber ist das Zukunftsmusik für das Jahr 2022. An der App, die das möglich machen soll, wird noch gebastelt.

 

Welcher Aufwand steht hinter der ePA?
Hinter der e-Gesundheitskarte und der ePA steht vor allem eines: Technik. Das Unternehmen gematik, an der das Bundesgesundheitsministerium, die Kassen und die Ärzte, Zahnärzte, Apotheken und Krankenhäuser beteiligt sind, hat eine eigene Telematikinfrastruktur (TI) ins Leben gerufen, um alle Akteure miteinander zu verbinden. Das geschieht über einen Konnektor, eine Art Router. Die TI wurde 2018 mit dem ersten Tool, dem Versichertenstammdatenmanagement eingeführt: Das System prüft über eine geschützte Online-Verbindung die Daten eines Patienten. Seit Mitte 2020 sollen weitere Services möglich sein: Das Notfalldatenmanagement (NFDM) und der elektronische Medikationsplan (eMP). Auch können nun Nachrichten und medizinische Dokumente zwischen den TI-Teilnehmern verschlüsselt ausgetauscht werden. Ab Januar 2021 sollen Ärzte eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über die TI an die Krankenkassen senden können. Für jede dieser neuen Anwendungsstufen muss der Konnektor neu konfiguriert werden.

 

Wer legt die Akte eigentlich an?
Im Prinzip stellt die Kasse den Versicherten, die das wünschen, eine ePA zur Verfügung. Vorgesehen ist, dass ein Arzt nach Zustimmung des Patienten die ePA befüllt, indem er bestimmte Daten aus seinem Praxisverwaltungssystem in die ePA lädt. Das hat einen Nachteil: Weil der Patient bei der Befüllung entscheidet, welche Daten er zur Verfügung stellt, kann jeder Arzt später nicht davon ausgehen, dass die Akte grundsätzlich medizinisch vollständig ist.

 

Was kostet die ePA?
Die Erstbefüllung soll rund 140 Millionen Euro kosten, weil die Bundesregierung davon ausgeht, dass anfangs nur 20 Prozent der Versicherten die ePA nutzen. Ärzte und Krankenhäuser bekommen für jeden ePA-Eintrag 10 Euro. Wer später aber beim Arzt seine Daten lesen möchte, wird enttäuscht sein. „Ich sage klipp und klar: Wir machen Medizin, nicht den IT-Kundenservice der Krankenkassen! “, so Ulrich Weigeldt, der Bundesvorsitzende des Deutschen Hausärzteverbandes. Auch der Notfalldatenplan oder die Anreize für die Krankenhäuser, die ePA in ihren elektronischen Krankenakten zu speichern, ziehen Kosten in Millionenhöhe nach sich. Diese Kosten tragen die Beitragszahler. Sie sollen allerdings später von einem effizienteren Gesundheitssystem profitieren.

 

Was ist mit den Privat versicherten?
Die ePA betrifft vorerst nur gesetzliche Versicherte. Aber auch die privaten Anbieter entwickeln eine elektronische Gesundheitsakte. Das macht die CompuGroup Medical Deutschland (CGM) analog zu gematik. Auch die CGM-Akte soll im Januar 2021 zur Verfügung stehen.

 

Ermöglicht die ePA neue Geschäftsmodelle?
Im Bereich e-Health bieten Start-ups und innovative Unternehmen die Möglichkeit zu neuen, besseren Services. Allerdings mangelt es heute noch an der Interoperabilität der Schnittstellen, aber auch Anreizen zu mehr Wettbewerb. Der Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) beispielsweise kritisiert die starke Rolle der Kassen bei der Einführung der ePA: Das sei „wettbewerbs- und innovationsfeindlich“.

 

Und wann geht’s los?
Alle gesetzlichen Krankenkassen sollen die ePA bis zum 1. Januar 2021 eingeführt haben. Ab 2022 sollen Versicherte über ihr Smartphone oder Tablet auf die Dokumente zugreifen und bestimmen, wer was sehen darf (muss z.B. der HNO-Arzt die Daten des Gynäkologen lesen?). Ein Jahr später wiederum können Versicherte Daten aus ihrer ePA der Forschung zur Verfügung stellen. Doch bevor wichtige Fragen zur Finanzierung und allgemeinen Organisation nicht abschließend beantwortet sind, verschiebt sich die Einführung der ePA möglicherweise. Wer also bei seiner Kasse um die digitale Akte drängelt, wird sich im Zweifel gedulden müssen.

 

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