»Niemand braucht täglich Fleisch«

Gesunde Ernährung verspricht mehr Kraft und Konzentration, weniger Entzündungen und Schmerzen und Prävention von Krankheiten wie Adipositas, Gicht, Demenz, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Der Ernährungsmediziner Prof. Dr. Stephan C. Bischoff über die neuesten Forschungsergebnisse und wirksamsten Effekte von Ernährung auf Körper, Geist und Gesundheit.

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Petra Lahnstein Redaktion

Herr Professor Bischoff, weniger Fleisch, mehr Gemüse, weniger Zucker, weniger Fastfood und mehr gesunde Fette – ist diese 5-Schritte-Formel das A und O einer gesunden Ernährung?

Das ist schon ein recht tragfähiges Konzept. Allerdings sollte die Betonung auf „so viel Ballaststoffe, wie vertragen wird“ liegen, das heißt reichlich Gemüse, auch Obst und Vollkornprodukte, „wenig Zucker“, das bedeutet vor allem keine gesüßten Getränke und wenig Alkohol und wenig hoch verarbeitete Lebensmittel wie Fastfood und Convenience Food. Fleisch und Fisch werden nicht öfter als zwei bis dreimal pro Woche benötigt. Gesunde Öle und Fette wie Olivenöl und unbehandelte Nüsse sind sinnvolle Ergänzungen.
 

Inwiefern kann eine gesunde Ernährung das Risiko für chronische Krankheiten reduzieren?

Nahezu jede chronische Erkrankung kann durch gesunde Ernährung positiv beeinflusst werden und sollte Teil der Therapie sein, und wenn es nur die Gewichtsnormalisierung bei übergewichtigen Patienten mit Arthrosebeschwerden ist. Einige chronische Erkrankungen können auch durch gesunde Ernährung verhindert werden, weil die gesunde Ernährung die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens in der Allgemeinbevölkerung senkt. Dazu zählen insbesondere kardiometabolische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Typ-2-Diabetes, die alle vor allem bei Übergewicht auftreten, aber auch viele Gelenkbeschwerden, diverse Krebsarten, vor allem die entlang des Verdauungstrakts.
 

Wie hoch schätzen sie den prozentualen Anteil einer gesunden Ernährung ein, um sich vor Krankheiten zu schützen?

Der Lebensstil inklusive Ernährung machen 50 bis 80 Prozent aus, der Rest ist Genetik, das heißt Veranlagung und somit nicht beeinflussbar. Aber was an dieser Stelle wirklich wichtig ist: Der persönliche Lebensstil, inklusive Ernährung, ist ein Bereich, den wir beeinflussen können und sollten! Und wenn die Genetik ungünstig ist, wird Lebensstil inklusive Ernährung noch wichtiger als ohnehin!
 

Häufig fallen im Zusammenhang mit einer gesunden Ernährung die Begriffe „Mittelmeerkost“ oder „Asien-Küche“. Welche Aspekte bringen diese Formen der Ernährung mit sich?

Hierbei handelt es sich um mehr oder weniger urtümliche Ernährungsformen, die mit gesundheitlichen Vorteilen einhergehen und die häufig von modernen Kostformen verdrängt werden wie Fastfood und hochverarbeiteten Lebensmittel, auf englisch Ultra-Processed Food, die gesundheitliche Nachteile aufweisen. Besonders gut wurde die Mediterrane Ernährung untersucht, die hierzulande eine hohe Akzeptanz aufweist. (siehe Infokasten).
 

Statt bis zu 600 Gramm Fleisch, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung seit kurzem nur noch bis zu 300 Gramm Fleisch pro Woche. Also lieber verzichten oder ganz weglassen? Oder kann der Konsum von Fleisch auch gesundheitsfördernd sein? Wenn ja, inwiefern? Oder ist ein positiver Einfluss eher Fisch mit seinen wertvollen Omega-3-Fettsäuren vorbehalten?

Fleisch ist nach wie vor ein guter und gesunder Proteinlieferant, was vor allem für Heranwachsende und auch für ältere Menschen mit zunehmender Gefahr des Muskelschwundes (Sarkopenie) besonders relevant ist. Dies kann nicht mit Fisch kompensiert werden, denn unsere Gewässer sind bereits heute überfischt. Aber niemand braucht täglich Fleisch – im Gegenteil, übermäßiger Fleischkonsum bringt gesundheitliche Nachteile. Insbesondere, wer viel rotes Fleisch und Wurst isst, hat ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs. Auch ökologisch ist hoher Fleisch- und Wurstkonsum problematisch, denn deren Produktion ist klima- und ressourcenbelastend.
 

„Ernährungsumstellung statt Hungern“ lautet ein wichtiges Prinzip in der Ernährungslehre – gleichzeitig empfehlen Experten häufig auch das Fasten – von wochenweiser Reduktion bis hin zu regelmäßigem Intervallfasten, bei dem man bis zu 16 Stunden pro Tag auf Essen verzichtet. Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht die gesündesten?

Das hängt von der Zielsetzung ab. Totales Fasten wird nicht mehr empfohlen, weil zu gefährlich hinsichtlich Sarkopenie (Anm. der Redaktion: Verlust von Muskelmasse und Abnahme der Muskelkraft sowie der körperlichen Ausdauer) und Mikronährstoffdefiziten. Aber moderates Fasten kann sowohl zur Gewichtsreduktion als auch zur spirituellen Bereicherung sinnvoll sein. 
 

Wissen ist Macht, heißt es in einem altbekannten Sprichwort. Doch obwohl in heutigen Zeiten mehr Wissen über Ernährung und Gesundheit zur Verfügung steht, gibt es immer mehr Menschen, die an Übergewicht und Fettleibigkeit leiden oder gesundheitliche Beschwerden entwickeln, die auch in Zusammenhang mit einer Fehl- oder Mangelernährung stehen können. Wie erklären Sie sich das?

Wissen ist Macht, aber Wissen schützt nicht davor, wider besseren Wissens das Falsche zu tun, so wie es beispielsweise Ärzte gibt, die rauchen. Aber das gilt schon lange nicht mehr nur für den Arzt, sondern für alle Menschen. Jeder weiß heute hinreichend über die Gefahren, die von Rauchen, ungesunder Ernährung und mangelnder Bewegung ausgehen. Das richtige Tun erfordert aber nicht nur ein Wissen, sondern auch Motivation, und dies wir bei vielen Präventionsstrategien vernachlässigt.
 

Wie kann es Menschen gelingen, nicht nur zeitweise, sondern dauerhaft ihre Ernährung umzustellen, ohne in alte Muster zurückzufallen?

Psychologische Aspekte müssen bei allen Ernährungsund Lebensstilinterventionen berücksichtigt werden und gehören deshalb essenziell zu jedem vernünftigen Gewichtsreduktionsprogramm, Stichwort Motivation. Dies ist Aufgabe von dafür geschulten Fachkräfte.

Prof. Dr. Stephan C. Bischoff ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Allergologie, Ernährungsmediziner und Direktor des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim.
Prof. Dr. Stephan C. Bischoff ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Allergologie, Ernährungsmediziner und Direktor des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim.
Illustration: Josephine Warfelmann
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Illustration: Josephine Warfelmann

Seit einiger Zeit weiß man nicht nur, dass der Darm über Botenstoffe mit dem Gehirn kommuniziert, Darmbakterien können auch Krankheiten wie Diabetes, Depressionen oder gar Krebs beeinflussen. Welche Erkenntnisse gibt es hierzu?

Nahezu alle chronischen Erkrankungen sind gekennzeichnet durch Veränderungen auf der Ebene der Darmbakterien. Man ist weltweit damit beschäftigt, krankheitstypische beziehungsweise prognose- und therapierelevante Muster, so genannte „Patterns“, zu definieren, weil man der Überzeugung ist, dass diese medizinisch relevant sind. Gleichzeitig wird an Interventionsmöglichkeiten geforscht, die es uns erlauben, aus ungünstigen Patterns günstige zu machen, und hierbei spielt die Art und Weise der Ernährung erneut eine zentrale Rolle.
 

Kann jeder und jede durch die Art der Ernährung etwas für seine oder ihre Darmgesundheit tun? Gibt es genderspezifische oder altersbedingte Unterschiede?

Genderspezifische Unterschiede sind mir nicht bekannt, mit zunehmendem Alter sollten Veränderungen in der Ernährung sowie eine gezielte Gewichtsreduktion allerdings behutsamer angegangen werden. Insofern Medikamente eingenommen werden, sollte man auch bedenken, dass durch eine Ernährungsänderung auch Medikamentenanpassungen notwendig sein können.
 

Sie forschen auf dem Gebiet der sogenannten Mikro-Algen. Was hat es damit auf sich? Werden Mikro-Algen ein wichtiger Bestandteil einer zukünftigen gesundheitsorientierten Ernährung sein?

Mikroalgen sind eine interessante Quelle von Nährstoffen wie Omega-3-Fettsäuren, Beta-Carotin und anderen Vitaminen, Ballaststoffen und Protein. Nach unseren Forschungen sind sie deshalb heiße Kandidaten für zukünftige Nahrungsquellen, die zudem nahezu unbegrenzt, umweltschonend und vegan verfügbar sind.
 

Ein weiterer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist Ernährung und Adipositas. Welche Ernährung ist aus Ihrer Sicht am besten geeignet, wenn man abnehmen möchte?

Hier muss man zwischen der Abnehmphase und der Gewichtserhaltungsphase unterscheiden. Die Ernährung in der Abnehmphase ist grundsätzlich ungesund, weil deutlich energiereduziert und unausgewogen – kein Zucker, kein Alkohol, wenig Kohlenhydrate, wenig Fett, viel Eiweiß, viele Mikronährstoffe – aber das ist die wirksamste Form der Ernährung zum Abnehmen. Sie wird auch als sogenannte „Formulardiät“ angeboten und ist zusammen mit einer guten Bewegungs- und Verhaltenstherapie höchst effektiv zum Abnehmen. Die Ernährung in der Gewichtserhaltungsphase sollte dagegen gesund, ausgewogen und energiebedarfsadaptiert sein. Neu ist, dass das Problem Hungergefühl nicht nur mit einer intelligenten Lebensmittelauswahl, sondern auch mit Medikamenten kontrolliert werden kann, was die Erfolgschancen weiter erhöht. 
 

MEDITERRANE ERNÄHRUNG STATT HOCHVERARBEITETER LEBENSMITTEL

Frisch, gesund und möglichst unverarbeitet – dafür steht die sogenannte mediterrane Küche (auch Mittelmeerdiät genannt), die vor allem auf Gemüse und Obst (enthalten Vitamin A, C, E, Flavonoide und Carotinoide), Hülsenfrüchte und Vollkorn (fördern ein gesundes Mikrobiom), Nüsse und Pflanzenöle (enthalten antioxidative Polyphenole), Kräuter und Gewürze wie Rosmarin, Oregano, Knoblauch (ebenfalls antioxidativ), Fisch und Meeresfrüchte (liefern entzündungshemmende Omega-3-Fettsäuren) setzt, ohne dabei ganz auf Fleisch als Eiweißlieferant zu verzichten. Verschiedene Untersuchungen konnten positive Effekte dieser Ernährungsform, die eine Vielzahl an gesunden Fetten, Vitaminen, Mineralien und Ballaststoffen aufweist, nachweisen.

In einer Studie, an der unter anderem Prof. Dr. C. Bischoff beteiligt war, konnte aufgezeigt werden, dass sich eine mediterrane Diät positiv auf die gestörte Darmbarriere der teilnehmenden Frauen auswirkte. Marker für eine gestörte Darmbarriere, auch „leaky gut“ genannt, wie LBP im Blut und Zonulin im Stuhl verringerten sich, das bedeutet die Darmbarriere wurde stabilisiert. Gleichzeitig stiegen gesunde Fettsäuren im Darm (SCFAs wie Propionat und Butyrat) an, die gut für den Darm und das Immunsystem sind.

Die Studie zeigte auch: Je besser jemand die mediterrane Ernährung einhielt, desto mehr dieser gesunden Fettsäuren konnten nachgewiesen werden – mithilfe von Künstlicher Intelligenz konnte sogar vorhergesagt werden, wie sich die Ernährung auf die Darmgesundheit auswirkt. In Zukunft könnten diese Werte dabei helfen, individuell passende Ernährungsempfehlungen zu geben.

In einer weiteren Studie konnte darüber hinaus aufgezeigt werden, dass Personen mit einem hohen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen von einer mediterranen Diät profitieren. In der Gruppe der Menschen, die sich mediterran ernährten und eine zusätzliche Gabe von extra nativem Olivenöl oder Nüssen erhielten, traten seltener schwere Herz-Kreislauf-Ereignisse auf als bei der Kontrollgruppe, die ausschließlich eine fettreduzierte Ernährung befolgte.

Derzeit laufen weitere Studien, die einen positiven Zusammenhang dieser Ernährungsform auf Krankheiten, die mit einer Beeinträchtigung der Darmbarriere zusammen hängen – wie zum Beispiel Diabetes und Krebs – untersuchen.

Prof. Dr. Stephan C. Bischoff ist Facharzt für Innere Medizin, Gastroenterologie und Allergologie, Ernährungsmediziner und Direktor des Lehrstuhls für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Adipositas und Adipositas-assoziierte Komorbiditäten, krankheitsbedingte Mangelernährung, Nahrungsmittelallergien und -Unverträglichkeiten, Darmbarriere und mukosale Immunologie, Pro- und Präbiotika sowie Mikroalgen für zukünftige Ernährungsformen.
 

ZUSAMMENHANG VON ADIPOSITAS UND GESTÖRTER DARMFLORA

Der Ernährungsmediziner Prof. Dr. Stephan C. Bischoff erforscht an der Universität Hohenheim, inwiefern Bakterien im Darm und eine gestörte Darmbarrierefunktion Fettleibigkeit und Übergewicht sowie damit assoziierte Stoffwechselerkrankungen beeinflussen. Dafür wird untersucht, inwieweit sich die Bakterienansammlung im Darm bei Fettleibigen von der bei Normalgewichtigen unterscheiden. In einer Übersichtsarbeit wurde aufgezeigt, dass das Darmmikrobiom eine Rolle bei der Entstehung von Adipositas und Fettleber spielt, indem es die Energieaufnahme aus der Nahrung beeinflusst und dass entzündungsfördernde Stoffe wie Lipopolysaccharide, die vermehrt ins Blut gelangen, die Entstehung von Stoffwechselerkankungen wie beispielsweise Diabetes begünstigen.

Diese Erkenntnisse eröffnen neue Möglichkeiten, Übergewicht gezielt über den Darm zu beeinflussen und zu behandeln.Bis zu 16 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter ausgeprägtem Übergewicht, darunter immer mehr Kinder und Jugendliche. Etwa die Hälfte der erwachsenen Bundesbürger bringt mehr auf die Waage, als gesund wäre.

Dabei ist die Adipositasrate, also die Rate an krankhaftem Übergewicht (BMI von 30 und mehr), in den letzten zwei Jahrzehnten gestiegen: Zwischen 2003 und 2023 erhöhte sich der Anteil der Betroffenen von 12,2 Prozent auf 19,7 Prozent. Dieser Anstieg unterstreicht die Notwendigkeit verstärkter Präventions- und Interventionsmaßnahmen.
 

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