Herr Dr. Martens, welche Rolle spielen Kardiologen in der Schlaganfallversorgung?
Unsere Aufgabe liegt darin herauszufinden, ob ein Schlaganfall, also ein Gefäßverschluss im Kopf, durch eine Herzrhythmusstörung verursacht wurde. Schlaganfälle werden ja meist durch winzige Blutgerinnsel ausgelöst, die infolge von Ablagerungen in den Hals- oder Kopfgefäßen abgelöst und über die Blutgefäße ins Gehirn gespült werden. Die Kardio-logie kommt ins Spiel, weil sich solche Blutgerinnsel auch durch eine Rhythmusstörung ausbilden und mit dem Blutfluss zusammen ins Gehirn gelangen können. Dies ist besonders oft bei Menschen mit Vorhofflimmern der Fall – das für rund 30 Prozent aller kryptogenen Schlaganfälle, d. h. Schlaganfälle ohne klare Ursache, verantwortlich ist.
Wie klären Sie ab, ob Vorhofflimmern vorliegt?
Das geschieht zunächst über ein 24-Stunden-EKG in der Klinik. Oft wird noch ein 7-Tage-EKG empfohlen, das auch vom niedergelassenen Arzt durchgeführt werden kann. Das Problem ist, dass Vorhofflimmern meist paroxysmal auftritt, d. h. sehr spontan und nicht unbedingt dann, wenn das EKG geschrieben wird. Wenn wir weder bei den neurologischen noch bei den kardiologischen Untersuchungen etwas finden können, empfehlen wir die Implantation eines Eventrekorders zum Langzeitmonitoring. Hiermit kann der Herzrhythmus rund um die Uhr überwacht und auch asymptomatisches Vorhofflimmern zuverlässig erkannt werden.
Was passiert mit der Information?
Die Daten des Ereignisrekorders werden in der Regel quartalsweise in der Klinik oder beim Niedergelassenen ausgelesen und überprüft. Das schafft allerdings Probleme. Das Auslesen der Daten ist mit viel Personalaufwand verbunden. Wichtiger ist hierbei aber noch, dass oft viel zu viel Zeit zwischen dem Auftreten einer Rhythmusstörung und ihrer Entdeckung liegt. Aus unserer Sicht macht ein Ereignisrekorder daher nur Sinn, wenn die Patienten auch telemedizinisch überwacht und auftretende Episoden zeitnah an den Arzt übermittelt werden. Man spricht hier vom Telemonitoring. Hiermit lassen sich die Daten tagesaktuell über ein mobiles Übertragungsgerät (Transmitter) vom Patienten an die Klinik oder Praxis übertragen. Nur so können wir frühzeitig reagieren und weitere Schlaganfälle vermeiden. Leider weigern sich die Kassen bislang aber, das Telemonitoring zu bezahlen!
Die engmaschige telemedizinische Überwachung der kryptogenen Schlag-anfallpatienten mit Eventrekorder ist also nicht Standard?
Leider nein. Der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) ist der Meinung, dass ein 7-Tage-EKG zur Abklärung eines kryptogenen Schlaganfalls ausreichend ist. Das heißt, wenn wir Patienten in unserer Klinik mit einem Eventrekorder und Patientengerät (Transmitter) versorgen, werden uns in 90 Prozent der Fälle die Kosten dafür nicht erstattet – wohlwissend, dass diese Patienten schon mal einen Schlaganfall erlitten haben und ohne kontinuierliches Monitoring ein sehr hohes Risiko haben, einen weiteren zu erleiden.
Was müsste sich Ihrer Ansicht nach hier ändern?
Die Implantation eines Event-rekorders sollte immer in Kombination mit einem lückenlosen Telemonitoring erfolgen, das regulär von den Kassen erstattet wird. Um diesem Ziel näher zu kommen, haben wir Gespräche mit dem MDK Bayern aufgenommen, wo wir unsere Beweggründe deutlicher darlegen und konkrete Vorschläge für den telemedizinisch begleiteten Einsatz von Eventrekordern bei kryptogenen Schlaganfallpatienten diskutieren. Die Entscheidung darüber, wann und bei wem ein Eventrekorder sinnvoll ist, sollte grundsätzlich am Risiko des Patienten und nicht an der Erstattungssituation festgemacht werden. Optimismus und Rückenwind gibt uns der im Dezember 2020 verabschiedete GBA-Beschluss für Herzschwächepatienten. Dieser hat das Telemonitoring für Herzinsuffizienzpatienten als klinisch sinnvoll eingestuft und dazu geführt, dass das Telemonitoring demnächst eine Kassenleistung werden wird.