Sensibles Gehör

Das menschliche Ohr – ein technisches Wunder. Mit neuen Therapien kann die Medizin bei Schwerhörigkeit und sogar bei Taubheit Abhilfe schaffen.
Illustrationen: Ivonne Schulze
Illustrationen: Ivonne Schulze
Dr. Ulrike Schupp Redaktion

Es grenzt an ein Wunder, wie der Schall, der zunächst nichts anderes ist als schwankender Luftdruck, beim Hören in Töne umgewandelt wird. Er wird zu  unterschiedlichsten Sprachen, Opernklängen oder Rap-Songs. Doch ein feines Gehör zu haben, ist leider keine Selbstverständlichkeit. Weltweit sind der WHO zufolge etwa 450 Millionen Menschen von Schwerhörigkeit betroffen. Nach Angaben des Gehörlosenbundes leben in Deutschland etwa 80.000 Gehörlose, bis zu 16 Millionen Menschen sind schwerhörig und etwa drei Millionen leiden unter einem Tinnitus, also störenden, ständigen Ohrgeräuschen.

 

Auswirkungen von Handys, Lärm, Infektionen

 

Um neue Therapien zu entwickeln, analysieren Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen seit einigen Jahren vor allem auch das Geschehen im Innenohr. Entscheidend für den hochkomplexen Hörvorgang ist die Funktionsweise der äußeren und inneren Haarsinneszellen auf der Membran der Cochlea, der Gehörschnecke. Sind diese Zellen nicht funktionsfähig, lässt das Hörvermögen nach. Erst seit kurzem lassen sich isolierte Haarzellen im Labor so lange erhalten, dass sie genauer untersucht werden können. Welchen Einfluss haben Handynutzung, Lärm, Infektionen oder Medikamente auf die sensiblen Zellen im Innenohr? Und wie lässt sich verhindern, dass ein Teil von ihnen im Laufe des Lebens abstirbt?


Vielversprechend sind die Ergebnisse der Genforschung. Etwa 100 Gene sollen nach aktuellem Stand für das Hören relevant sein. An der Washington University School of Medicine haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Gen FGF20 identifiziert, auf dem die Information für erblichen und auch für altersbedingten Hörverlust gespeichert sein könnte. Und in den USA ist es gelungen, Stammzellen aus dem Innenohr von Mäusen in Haarsinneszellen zu verwandeln. Taube Tiere konnten dadurch wieder hören.


Sind Schwerhörigkeit oder Taubheit auf den Verlust der Hörsinneszellen in der Hörschnecke des Innenohrs zurückzuführen, können so genannte Cochlea-Implantate (CIs) Abhilfe schaffen, die in die Hörschnecke eingesetzt werden. Sie regen den Hörnerv schwerhöriger oder sogar tauber Menschen durch elektrische Impulse an, die die natürlichen Impulse aus den Haarzellen ersetzen. Bis zu 1.200 Cochlea-Implantate werden in Deutschland jährlich eingesetzt.


 „Hören“ ist ein überaus komplexer Verarbeitungsprozess von Informationen. Um zu verstehen, wie dieser Prozess gelingt, ist es wichtig, die Funktionsweise des Ohrs nachzuvollziehen, das zunächst einmal aus drei Bereichen besteht, der von außen sichtbaren Ohrmuschel, dem Mittel- und dem Innenohr. Zuerst sammeln sich die Schallwellen in der Ohrmuschel, die aus Haut und Knorpel besteht. Auf dem Weg durch den Gehörgang wandelt das Ohr den Schall in Impulse um, die über Nervenbahnen ins Gehirn geleitet werden. Erst dort werden die eintreffenden Signale „bewertet“. Es entscheidet sich zum Beispiel, ob ein Ton als „laut“ oder als „leise“ empfunden wird, als bedrohlich oder eher beruhigend. Das menschliche Gehör kann Schallwellen in einem Frequenzbereich von 16 bis 20.000 Hz wahrnehmen. Im Vergleich dazu hört ein Hund deutlich mehr Frequenzen – von 15 bis 50.000 Hz und Fledermäuse nehmen sogar hochfrequentierte Töne bis zu 200.000 Hz wahr.


Von der Ohrmuschel aus gelangen die Schallwellen über den Gehörgang ins Mittelohr zum Trommelfell und bringen dieses zum Schwingen. Hinter dem Trommelfell befinden sich das Mittelohr, die luftgefüllte Paukenhöhle, mit den kleinsten Knochen des Menschen: Hammer, Amboss und Steigbügel. Die Knöchelchen heißen so aufgrund ihrer Form. Nachdem der Hammer die Schwingungen aufgenommen hat, leitet der Amboss sie weiter. Der Steigbügel überträgt sie bis zu einem spiralförmig gedrehten Knochenraum, der Gehörschnecke oder Cochlea. Diese ist mit flüssiger Perilymphe gefühlt und an der äußeren und inneren Haut mit den Haarzellen bedeckt.


Durch den Druck des Steigbügels, der die eintreffenden Schwingungen verstärkt, wird die Perilymphe zusammengedrückt und löst dadurch noch einmal weitere Wellen aus. Die Membran und die Haarsinneszellen im Innenohr geraten ebenfalls in Bewegung. Dadurch entstehen Nervenimpulse, die über die Haarzellen über den Hörnerv und weitere Verschaltungsstellen zum Gehirn gesendet werden.

 

So funktioniert der Gleichgewichtssinn

 

Das Ohr ist auch mit dem Nasen-Rachenraum verbunden. Über die Eustachische Röhre kann Luft aus- und einströmen. Das hilft unterschiedliche Druckverhältnisse auszugleichen, im Flieger zum Beispiel durch herzhaftes Gähnen oder Kaugummikauen. Leider können über diesen Kanal außerdem Krankheitserreger ins Mittelohr vordringen und dort Entzündungen hervorrufen.


Auch das Gleichgewichtsorgan des Menschen befindet sich im Innenohr. Mit seinen drei Bogengängen erfasst es ebenfalls über Sinneszellen die drei Dimensionen des Raums und leitet entsprechende Impulse an das Gehirn weiter. Um zu erkennen, aus welcher Richtung ein Schallsignal kommt, benötigt das Ohr den ultrakurzen Zeitunterschied, der dadurch entsteht, dass das Signal, je nachdem woher es kommt, von dem einen oder dem anderen Ohr zuerst wahrgenommen wird.  


Das menschliche Gehör kann bis zu 400.000 Töne unterscheiden und über zehn Oktaven hören, ist aber auch sehr empfindlich. Schwerhörigkeit hat nicht nur genetische oder altersbedingte Ursachen, sondern kann auch durch Lebensstil- und Umweltfaktoren verursacht werden. Ein weiterer häufiger Grund für Hörverlust ist Lärm. Aber auch Infektionen, Medikamente, Verletzungen am Kopf, Alkohol und Nikotin oder Lösungsmittel können unserem Ohr schaden.

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