Herz und Seele

Die Erforschung von Herzerkrankungen rückt zunehmend in den Fokus der Medizin. Man weiß: Ein ausgeglichener Lebensstil beugt Erkrankungen vor. Das gilt aber nicht nur für den Körper, sondern auch für die Psyche.
Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
Mirko Heinemann Redaktion

Wie Herz und Bewusstsein zusammenhängen, beginnen die Forscher gerade erst zu verstehen.

 

M an sieht nur mit dem Herzen gut“, sagte der kleine Prinz in Antoine de Saint-Exupérys berühmter Erzählung. Die Hinweise darauf, dass diese Aussage mehr sein könnte als eine lyrische Beschreibung, verdichten sich. Studien belegen eine enge Verbindung zwischen den Organen Herz und Gehirn, die sich offenbar gegenseitig viel stärker beeinflussen, als man bisher glaubte.

Während die modernen Neurowissenschaften davon ausgehen, dass sich Wahrnehmung und Bewusstsein ausschließlich im Gehirn abspielen, war etwa Aristoteles der Ansicht, das Herz und nicht das Gehirn, sei Sitz der Gefühle. Den niedergelassenen Herzchirurgen Priv. Doz. Dr. Reinhard Friedl beschäftigt das Thema sehr. Auf seiner Website www.herzzeit.de sammelt er aktuelle Erkenntnisse und Gedanken zur Frage, wie Herz, Gehirn und das Bewusstsein zusammenhängen. Sie dienen ihm als Grundlage für seinen medizinischen Ansatz, den er „ganzheitliche Herzmedizin“ nennt.

Dass der Lebensstil direkt die Gesundheit des Herzens beeinflusst, ist unumstritten. Wer Sport treibt, trainiert den Herzmuskel, wer übergewichtig ist oder raucht, erhöht das Risiko, dass Arterien verkalken, verfetten oder dass der Blutdruck steigt. Verstopfte Arterien oder Herzkranzgefäße und Bluthochdruck können verschiedene Herzerkrankungen auslösen – bis hin zum Herzinfarkt. Mediziner empfehlen daher zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen regelmäßige körperliche Aktivität und eine gesunde Ernährung, das heißt: wenig tierische Fette, viele Ballaststoffe.

Reinhard Friedl arbeitete jahrzehntelang in der klinischen Chirurgie, wo er Bypässe legte und Eingriffe an den Herzklappen vornahm. „Ich hatte das Gefühl, als reparierte ich Motoren von Autos, die von ihren Besitzern lange Zeit zu sehr belastet wurden“, erinnert er sich. „Gute Fahrer geben aber nicht einfach Gas, sondern sie fahren strategisch so, dass der Motor möglichst viele Runden übersteht. Sie hören auf den Klang ihres Motors, kennen ihn genau und wissen, wie und wann sie ihn belasten können.“

Dass man auf sein Herz hören sollte, gilt nicht nur im übertragenen Sinn – man könnte dies auch als ärztliche Handlungsempfehlung auffassen. Diese Betrachtungsweise teilt Friedl mit vielen Kollegen aus relativ jungen Forschungsfeldern: der Psychokardiologie und der Neurokardiologie. „Der Klang des Herzens setzt sich eben nicht nur aus physiologischen Komponenten wie Nervensignalen, Herzklappentönen, Rhythmus, Pulswellen, elektromagnetischen Wellen zusammen, sondern auch aus Bewusstseinssignalen, also Liebe, Freude, Mitgefühl, Dankbarkeit, Mut“, sagt Friedl.

Dass Emotionen das Herz beeinflussen können, bezweifelt heute niemand mehr. So kann Angst etwa zu Herzrhythmusstörungen führen, manche Menschen können ihre Herzfrequenz sogar bewusst steuern. Wenn sich etwa professionelle Freitaucher auf einen Tauchgang vorbereiten, regeln sie durch autogenes Training oder eine Meditation ihren Herzschlag herunter und reduzieren somit ihren Sauerstoffverbrauch.

Umgekehrt, und diese Erkenntnisse sind relativ neu, kann aber offenbar aber auch das Herz das Bewusstsein beeinflussen. Sowohl das Hirn als auch das Herz verfügen über eine Wahrnehmungsfunktion, also eine Sensorik sowie über eine Motorik, also eine Bewegungssteuerung. „Auch das Herz ist zu autonomer Informationsverarbeitung fähig“, schreibt Friedl in einem Buchbeitrag. Er beschreibt das Herz als eigenes „kleines Gehirn“ mit 40.000 Nervenzellen und einer biologischen Sensorik für diverse Rezeptoren. Das Herz misst permanent den Druck in den Herzhöhlen und im Blut, bestimmt das chemische Milieu des Blutes, zum Beispiel den Sauerstoffgehalt und pH-Wert, und es hat Rezeptoren für zahlreiche Hormone, Neurotransmitter und andere im Blut gelöste Botenstoffe. Diese Informationen werden in elektrische Signale umgewandelt und über das autonome Nervensystem an das Gehirn gesendet.

Das heißt, neben den bekannten Herzfunktionen als Pumpe und Lebensmotor ist das Herz auch ein Sinnesorgan, das biochemische und physikalische Informationen aus dem Blut und den Zellen wahrnimmt und an das Gehirn weiterleitet. „Man könnte auch sagen, das Herz fühlt für das Gehirn. Und es laufen sehr viel mehr Nervenbahnen vom Herzen zum Gehirn als umgekehrt“, so Friedl.  

Belege für die enge Verbindung zwischen Herz und Wahrnehmung gibt es. So veröffentlichten Wissenschaftler des nationalen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung in Frankreich (INSERM) 2014 in der renommierten Zeitschrift Nature Neuroscience die Ergebnisse einer Studie, die diese belegt. Die Wissenschaftler untersuchten mittels einer Magnetenzephalographie die Neuronenaktivität in den Gehirnarealen, die mit der Herztätigkeit zusammenhängen, und verglichen das Sehvermögen der 17 Testpersonen mit dem Herzrhythmus. Sie zeigten den Teilnehmern wiederholt ein schwer zu erkennendes Bild. Ergebnis: Je höher die direkt mit dem Herzschlag verbundene Gehirnaktivität, desto besser wurden die Bilder wahrgenommen.

Es sei naheliegend, dass die Herztätigkeit auch andere Sinne beeinflusst, glaubt auch Friedl. „Das Gehirn reagiert auf Signale, die aus dem Herzen stammen, und damit beeinflussen Signale aus dem Herzen unsere Wahrnehmung und Entscheidungen.“ Die Verbindung von Herz und Gehirn lässt sich messen. Auch wenn das Herz im EKG scheinbar regelmäßig schlägt, zeigt die Computeranalyse, dass es permanent etwas schneller und langsamer wird. Diese Schwingung wird über Nervensignale gesteuert. Dabei kann die Frequenz gestresst im Millisekundenbereich chaotisch hin- und herspringen oder eine harmonische Langzeitschwingung vollführen.

„Diese Herzfrequenzvariabilität zeigt das emotionale Gleichgewicht des Patienten und erlaubt Rückschlüsse auf den Zustand des autonomen Nervensystemes und das Langzeitüberleben nach Herzinfarkt“, sagt Friedl. Mit der Durchblutung wird sowohl Information vom Herzen an das Gehirn übertragen, die im Blut vorhanden ist, als auch biophysikalische Drucksignale. Letztere enthalten ebenfalls Information. Wenn das Herz erkrankt, verändern sich auch diese Informationen – mit entsprechenden Auswirkungen.

Reinhard Friedl ist der Ansicht, dass die Entstehung des Bewusstseins ein komplexer Prozess ist, an dem nicht nur das Gehirn, sondern auch das Herz signifikant beteiligt ist. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse unterstützen diese Ansichten, die bisher eher auf dem Feld der alternativen Medizin zu finden waren. Daher hofft er auf weitere integrative Studien und feinere Messverfahren, um die Verbindung von Herz und Seele genauer zu verstehen. Damit auch in der Medizin zusammenfindet, was im Volksmund schon längst zusammengehört.

 

Medizin
Juni 2023
Illustration: Olga Aleksandrova
Redaktion

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