Kann die menschliche Stimme als Frühwarnsystem künftig helfen, Herzinsuffizienz effektiver zu behandeln? Künstliche Intelligenz (KI) soll dies möglich machen. Forschende der amerikanischen Mayo Clinic und des Deutschen Herzzentrums an der Charité in Berlin untersuchen zurzeit, wie Stimmproben von Patienten und Patientinnen mit fortgeschrittener Herzschwäche mit Hilfe Künstlicher Intelligenz analysiert werden können. Das Ziel ist eine bessere telemedizinische Therapie. Die Patienten sprechen täglich mehrfach den gleichen Satz in ein Mikrofon. Die KI erfasst kleinste Unterschiede, analysiert relevante Parameter und lernt so, Veränderungen beim Gesundheitszustand der Betroffenen vorherzusagen. Auf der Basis dieses einfachen und schmerzfreien Verfahrens kann die Behandlung frühzeitig angepasst werden.
In dieser sogenannten VAMP-HF Studie (AI Based Voice Analysis for Monitoring Patients Hospitalized with Acute Decompensated Heart Failure) sind Teilnehmende eingeschlossen, die an hydropischer Dekompensation, einer „akuten Flüssigkeitsüberladung“, leiden. Aufgrund der fortgeschrittenen Herzschwäche wird Flüssigkeit im Gewebe nicht mehr ausreichend abtransportiert. Um zu verhindern, dass sich ihr Zustand eventuell lebensbedrohlich verschlechtert, zum Beispiel weil Wasser in die Lunge gelangt, wird ständig geprüft, ob die Therapie anschlägt, bei der meist Diuretika eingesetzt werden. „Mehr Flüssigkeit im Körper führt zu einer veränderten Ausbreitung von Schallwellen und damit auch zu einer Veränderung der Stimme, die für das menschliche Ohr meist nicht hörbar ist, aber dennoch gemessen werden kann“, sagt Dr. Felix Hohendammer, Oberarzt am Herzzentrum der Charité und Leiter der Studie. Die KI basiert auf einem Softwareprogramm des Berliner Start-ups Noah Labs. Künftig sollen die Stimmproben sogar mit einem einfachen Anruf übermittelt werden. Auch in Hessen arbeitet man mit KI an Herz-Kreislauf-Therapien. Im Projekt RisKA (Risikostratifizierung in der Kardiologie mittels Künstlicher Intelligenz) werden EKG-Aufnahmen aus unterschiedlichen Quellen eingelesen, für die Anwendung einer KI vorbereitet, sowie mit Patientendaten ergänzt. Die KI erkennt anhand der Daten komplexe Muster wie sie zum Beispiel bei Vernarbungen im Herzmuskel auftreten. Dies kann die Diagnostik und die frühe Erkennung von Herz-Kreislauferkrankungen vereinfachen. Entwickelt wurde das System von Forschungsgruppen der Kardiologie des Campus Kerckhoff, der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) und der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). „Künstliche Intelligenz ermöglicht es uns, das EKG zu nutzen, um die Medizin zu personalisieren und zu individualisieren und somit Präzisionsmedizin zu ermöglichen“, resümiert Professor Dr. Tim Keller, Projektverantwortlicher an der JLU.
Ebenfalls um die verbesserte Therapie von Patienten und Patientinnen mit Herzschwäche geht es bei einem Forschungsprojekt der Medizinischen Fakultät Heidelberg und der Universitätsmedizin Mainz. Teil des Projekts ist eine Studie zur robotikunterstützten Bewegungstherapie, die ab Juli für sechs Jahre von der Carl-Zeiss-Stiftung unterstützt wird. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen eine KI mit umfassenden Gesundheitsdaten von mehreren tausend Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche trainieren. Anhand des Datenmaterials soll die KI nach wiederkehrenden Mustern und möglichen Zusammenhängen suchen, um bei den Patienten Untergruppen mit übereinstimmenden Krankheitsverläufen zu identifizieren. Diese Gruppen sollen individualisierte Therapien erhalten. Konkret geht es dabei auch um die Frage, bei welcher Merkmalskombination welche Bewegungstherapie am besten wirkt. „Wir hoffen, dass unser systemmedizinischer Ansatz mit vielen molekularen Daten es uns ermöglichen wird, den Verlauf der Erkrankung und die Mechanismen für den Erfolg besser zu verstehen“, sagt Professor Philipp Wild, Leiter der Präventiven Kardiologie und Präventiven Medizin im Zentrum für Kardiologie der Universität Mainz.
HINTERGRUND HERZ-KREISLAUFERKRANKUNGEN
Herz-Kreislauferkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen in Deutschland. Sie belasten das Leben der Betroffenen oft schwer und verursachen jedes Jahr hohe Kosten im Gesundheitssystem.Darunter fallen:
BLUTHOCHDRUCK
Bluthochdruck betrifft 20 bis 30 Prozent der Deutschen. Das Herz pumpt mit jedem Schlag Blut durch das verzweigte Netz der Blutgefäße. Bei jüngeren Menschen entsteht Bluthochdruck, weil es schneller und kräftiger pumpt. Bei Älteren oft durch Arteriosklerose. Auch durch Bluthochdruck können sich Thromben lösen und in die Blutbahn gelangen. Ist die Durchblutung der Herzkranzgefäße dadurch unterbrochen, kommt es zu einem Herzinfarkt. Nieren, Gehirn und andere Organe können durch eine plötzliche Unterbrechung in den versorgenden Gefäßen ebenfalls Infarkte erleiden.
KORONARE HERZKRANKHEIT (KHK) UND HERZINFARKT
Sie betrifft rund fünf Millionen Menschen und lässt sich auf eine Arteriosklerose der Herzkranzgefäße zurückführen. Risikofaktoren sind Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, besonders beim LDL-Cholesterin, Bewegungsmangel, Alter, Rauchen, aber auch Diabetes Mellitus. Die verringerte Durchblutung des Herzens führt zu Symptomen wie Erschöpfung oder Schwindel. Die Erkrankung kann einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt auslösen, bei dem ein Teil des Herzmuskels nicht mehr durchblutet wird. SCHLAGANFALL Rund 270.000 Schlaganfälle pro Jahr gibt es in Deutschland. Die Risikofaktoren sind ähnlich wie bei der KHK. Beim ebenfalls lebensbedrohlichen „Hirninfarkt“ kommt es zu einer Unterbrechung des Blutflusses in einem der Blutgefäße, die das Gehirn versorgen. Zu den Symptomen gehören plötzliche Lähmungen in Armen oder Beinen oder einer Gesichtshälfte, Sprach- und Sehstörungen sowie Kopfschmerzen. HERZSCHWÄCHE Bei Herzschwäche gelingt es dem Herzen nicht mehr, genug Blut und Sauerstoff durch den Körper zu pumpen. Die Folgen sind Erschöpfung, Wassereinlagerungen im Gewebe oder Atemnot. Herzinsuffizienz kann plötzlich in Folge eines Herzinfarktes oder eines sehr hohen Blutdrucks auftreten und ist dann ein Notfall. Meist entwickelt sie sich aber aus einer KHK oder unbehandeltem Bluthochdruck.