Mehr Mut statt Muskeln!

 Viele Männer kümmern sich um ihre Gesundheit erst, wenn’s wehtut – oder bereits gefährlich ist. Doch langsam zeichnet sich ein positiver Wandel ab.

Illustratorin: Olga Aleksandrova
Illustratorin: Olga Aleksandrova
Silke Amthor Redaktion

Männer sind stark, leistungsfähig und eigentlich unkaputtbar. Glauben sie zumindest. Die Realität der Helden im Geiste sieht jedoch anders aus. Männer haben, statistisch gesehen, immer noch eine um fünf Jahre kürzere Lebenserwartung als Frauen. Aber: „Männer sterben nicht früher, weil sie Männer sind. Sie leben riskanter, ernähren sich ungesünder, sind biologisch teilweise gegenüber Frauen benachteiligt – und sie sind echte Meister im Verdrängen, wenn es um ihre Gesundheit geht“, sagt Professor Frank Sommer, Urologe und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit (DGMG) in Hamburg. Ist der vermeintlich starke Mann also doch das schwächere Geschlecht? Das belegt jedenfalls die Statistik: Verletzungen im Job kommen bei Männern dreimal so häufig wie bei Frauen vor. 73 Prozent aller Selbstmorde werden von Männern begangen, 75 Prozent aller Verkehrstoten sind männlich. Und rund 60 Prozent aller Männer sind übergewichtig, bei Frauen sind es „nur“ 46 Prozent.
 

ANGST VOR PRÄVENTION


Hinzu kommt, dass Männer körperliche, aber auch seelische Symptome und Krankheiten gerne lange Zeit ignorieren, Schmerzen herunterspielen. Und sie sind echte Vorsorgemuffel. Zumindest, was die Babyboomer und die Nachkriegsgeneration angeht. Dabei fehlt es Männern nicht unbedingt am Wissen um Prävention. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Bremer Handelskrankenkasse (hkk) unter 1007 Männern ab 35 war 95 Prozent die Prostatakrebs-Früherkennung bekannt, bei der Darmkrebsund Hautkrebs-Vorsorge waren es 94 beziehungsweise 93 Prozent. Wirklich in Anspruch genommen haben diese Präventionsmaßnahmen jedoch nur rund zwei Drittel der Befragten. Die Gründe sind laut einer Befragung der DGMG unter 970 Männern vielfältig: 78 Prozent fühlten sich durch lange Wartezeiten abgeschreckt, jeder vierte Mann hatte Angst vor einem schlechten Befund und jeder Fünfte fürchtete Schmerzen bei der Untersuchung.

Sind Männer also selbst schuld, weil sie sich zu wenig um ihre Gesundheit kümmern? Ganz so einfach ist das nicht. „Traditionelle Rollenbilder begünstigen, dass Männer von klein auf stark sein, Schmerzen ausblenden und gesundheitliche Probleme bagatellisieren sollen“, so Sommer. Prävention ist zudem nicht in der männlichen Lebenswelt verankert.
 

»Männer sind echte Meister im Verdrängen, wenn es um ihre Gesundheit geht.«
 


Mann geht erst zum Arzt, wenn es bereits wehtut. Auch das hat Gründe: Denn mit dem Gesundheitssystem kommen die meisten Männer deutlich später in Kontakt als Frauen. Die gehen meist bereits ab dem Teenager-Alter regelmäßig zum Frauenarzt und nehmen fast automatisch regelmäßige gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen wahr. Männer dagegen haben kein vergleichbares „eingebautes“ Vorsorgesetting und suchen Fachärzte häufig erst im höheren Alter auf. Oft, wenn bereits die ersten Zipperlein da sind, die Symptome ernsthafter Erkrankungen sein können. So kann ein häufiger nächtlicher Harndrang auf Prostata-Krebs hinweisen. Und: „Die Ursachen von Erektionsstörungen sollten immer ärztlich abgeklärt werden. Wenn eine Gefäßverengung dahintersteckt, ist das ein Frühhinweis auf ein erhöhtes Herzinfarktrisiko“, so Sommer. Ein weiterer Grund, warum Männer früher sterben, ist ihnen in die Wiege gelegt. Während Frauen zwei X-Chromosomen in ihren Zellen tragen, haben Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Dieses Y-Chromosom kann im Laufe des Lebens bei der Zellteilung verlorengehen. Die Folge sind ein erhöhtes Risiko für Herzkreislauf-Erkrankungen, Alzheimer, Diabetes und Makuladegeneration. 

Doch es gibt Licht am Horizont. Gerade jüngere Männer ab 35 verstehen mehr und mehr, dass nicht nur das eigene Auto alle zwei Jahre zum TÜV muss, sondern auch der eigene Körper regelmäßige Check-ups braucht. Studien zeigen, dass diese Generation heute häufiger Sport treibt, sich gesünder ernährt, regelmäßiger Präventionsangebote nutzt, aber auch offener über ihre psychische Gesundheit redet. Eine Studie der Techniker Krankenkasse von 2023 ergab, dass 41 Prozent der Männer zwischen 35 und 45 angeben, „gezielt etwas für ihre langfristige Gesundheit zu tun“. In der Altersgruppe 55+ waren es nur 27 Prozent.
 

HEALTH INFLUENCER TREIBEN DEN WANDEL


Dieser Wandel hängt sicherlich auch mit einer veränderten Definition von Männlichkeit zusammen. Moderne Männer dürfen Schwächen zeigen, über Gesundheit reden und sich Hilfe suchen. Dazu trägt auch Social Media bei: Health Influencer, Fitness Coaches, aber auch Ärzte erreichen Millionen von jungen Männern mit niedrigschwelligen Gesundheitsinformationen und signalisieren, dass die Beschäftigung mit dem eigenen Körper keine Niederlage, sondern ziemlich clever ist. 

Beeinflusst hat dieses Umdenken auch der relativ neue Longevity-Trend. Dahinter verbirgt sich die Idee, eine möglichst lange Lebensspanne in guter geistiger und körperlicher Gesundheit zu verbringen. „Biohacking ist gerade ein echter Trend. Darunter versteht man diverse Maßnahmen, die dabei helfen, das Optimum aus seinem Körper herauszuholen und somit das biologische Alter positiv zu beeinflussen. Da diese Form der Gesundheitsprävention durch Wearables und Selbstvermessungs-Apps stark technik- und datengetrieben ist, spricht sie besonders Männer an“, erklärt Dr. Stefan Duve, Dermatologe und Longevity-Experte an der clinic utoquai in Zürich. 

Die Kehrseite der Medaille: Besonders junge Männer übertreiben es manchmal mit der Selbstoptimierung. „Looksmaxxing“ heißt dieser teilweise gefährliche Trend, der durch Social Media noch befeuert wird. „Klassische Männlichkeitsbilder verlieren zunehmend an Relevanz. Die körperliche Erscheinung wird dagegen als neues Statussymbol überhöht. Besonders gefährdet davon sind junge Männer in der Findungsphase, die ohnehin mit Selbstwert oder Aussehen hadern“, erklärt Sommer. Beim übertriebenen Biohacking greifen Männer zu Anabolika und fragwürdigen Hormonpräparaten aus dem Internet, unterziehen sich einer chirurgischen Rippenentfernung oder schlagen sich mit harten Gegenständen gegen Kiefer- und Wangenknochen (Bone Smashing) in der Hoffnung, dass durch die Mini-Frakturen der Knochen „maskuliner“ nachwächst. Die Zukunft der Männergesundheit liegt also offenbar in der Balance: Zu erkennen, dass Gesundheitsvorsorge „cool“ sein kann, übermäßige Körperoptimierung allerdings genauso krankmachen kann wie Verdrängen.

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