Ein erster Vorgeschmack

 GKV-Kostenexplosion, Pflegesicherung, Fachkräftemangel – die Herausforderungen sind enorm. Wie auch die Erwartungen an die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken.

Illustratorin: Olga Aleksandrova
Illustratorin: Olga Aleksandrova
Mirko Heinemann Redaktion

Die Führung des Gesundheitsministeriums gilt als eine der schwierigsten Aufgaben im Kabinett. Bevor Nina Warken ihr Amt antrat, hatte sie wenig mit Gesundheitspolitik zu tun. Die Juristin war Generalsekretärin der CDU in Baden-Württemberg, als sie der Ruf nach Berlin ereilte. Als Bundesgesundheitsministerin obliegt ihr nun die Aufgabe, die explodierenden Kosten und die überbordende Bürokratie im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen und ein zukunftsfähiges Konzept zu erarbeiten, wie das deutsche Gesundheitssystem fit gemacht werden kann – das unter Einbezug sehr vieler Akteure: „Gesundheitsversorgung ist eine der zentralen Säulen unserer sozialen Sicherung, hier braucht es einen breiten gesellschaftlichen Konsens“, so die Erwartung der Deutschen Krankenhausgesellschaft. 

Aus der Nähe kannte Nina Warken die Branche bis dato nur aus dem parlamentarischen Begleitgremium zur Covid-19-Pandemie, in dem sie Mitglied war. Dennoch konnte sie sich bereits einen Eindruck davon verschaffen, wie heiß der Stuhl ist, auf dem sie jetzt sitzt. Ihr Vorgänger Karl Lauterbach von der SPD, ein Mediziner, kam mit hoher Bekanntheit aufgrund seiner Expertise in der Pandemie und großer Zustimmung aus der Bevölkerung ins Amt. Im Lauf der Zeit zeigten sich zunehmend die politischen und finanziellen Grenzen seiner Gesundheitsreformen. Seine Krankenhausreform war von erheblichen Konflikten mit Ländern und Kassen geprägt. Die Pflegereform blieb unvollendet. 

Nun ist es an Nina Warken. Sie plant tiefgehende Strukturreformen in der Krankenhauslandschaft, darunter eine bundesweite Reform der Finanzierung und die Zentralisierung nach Versorgungsstufen. Das „Primärarztmodell“ soll grundsätzlich Hausarztbesuche als erste Anlaufstelle vorschreiben, um unnötige Facharztbesuche zu reduzieren. Das Honorarsystem der niedergelassenen Ärzte soll durch Jahrespauschalen ergänzt werden, um den Verwaltungsaufwand zu senken. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen soll vorangetrieben, die elektronische Patientenakte als Standard verankert werden. 

Auch eine große Pflegereform ist angekündigt. „Die soziale Pflegeversicherung ist eine Erfolgsgeschichte, die wir fortschreiben wollen“, lässt sich Nina Warken zitieren. „Um das System zukunftsfest zu machen, brauchen wir eine mutige Reform.“ Demnach soll die Pflegeversicherung neu geordnet, Leistungen gebündelt und stärker an tatsächlichen Bedürfnissen ausgerichtet werden. Ein Schwerpunkt liege auf der Stärkung der ambulanten und häuslichen Pflege gegenüber der stationären Versorgung. Pflegende Angehörige sollen besser unterstützt werden, unter anderem durch flexiblere Pflegezeitregelungen, finanzielle Entlastungen und leichteren Zugang zu Pflegeleistungen. Beiträge sollen ohne Leistungskürzungen stabil bleiben, dazu werden eine moderate Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze und die Stärkung kapitalgedeckter Elemente angedacht. Zur Fachkräftesicherung geplant sind Investitionen in Ausbildung, bessere Bezahlung, die Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs und gezielte Fachkräfteprogramme sowie Integration von ausländischen Fachkräften.

Das klingt gut. Doch es braucht seine Zeit. Denn zuallererst werden Kommissionen eingesetzt. Bis Ende des Jahres soll die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Zukunftspakt Pflege“ gemeinsame Eckpunkte vorlegen, die im kommenden Jahr in ein Gesetzgebungsverfahren einfließen sollen. Die Reaktionen aus der Pflegebranche hierzu reichen von Skepsis bis hin zu Entsetzen. Die Diakonie, eine der bundesweit größten Pflegeinstitutionen, mahnt, jetzt komme es darauf an, dass Bund und Länder eine gemeinsame Linie finden und „die Chance auf eine echte Pflegereform nicht verpassen. 
 

»Nina Warken konnte sich bereits einen Eindruck davon verschaffen, wie heiß der Stuhl ist, auf dem sie jetzt sitzt.«


Notwendig sind auch ein Abbau von Bürokratie und mehr Transparenz darüber, welche Leistungen Pflegebedürftigen zustehen“, so Elke Ronneberger, Bundesvorständin Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Das Pflegebündnis Mittelbaden hingegen wird von der Zeitung „Klinik Management aktuell“ folgendermaßen zitiert: „Wir befürchten, dass Experten-Kommissionen hier nicht ausreichend sind. Es ist fünf nach zwölf, wir haben keine Zeit mehr.“ 

Eine weitere Kommission soll erarbeiten, wie die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung stabil bleiben können. Denn die Ausgaben der Krankenkassen explodieren, allein im ersten Halbjahr 2025 stiegen sie um 7,95 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Vorschläge soll nun die „FinanzKommission Gesundheit“ machen, die paritätisch mit zehn Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Ökonomie, Medizin, Sozialrecht, Ethik und Prävention besetzt ist. „Ohne politische Einflussnahme“ werde sie sowohl die Versorgungsstrukturen als auch die Einnahmen- und Ausgabenseite unter die Lupe nehmen, so Warken. Bis März 2026 sollen erste Maßnahmenvorschläge vorliegen, ab 2027 sollen sie greifen. 

Den Krankenkassen ist das zu spät. Die Finanzkommission könne Sofortmaßnahmen nicht ersetzen, so der GKV-Spitzenverband. Bis Ende des Jahres erwartet die gesetzlichen Krankenkassen ein Defizit von rund acht Milliarden Euro, das entspricht 0,4 Prozentpunkten. „Die Politik muss jetzt handeln, um Beitragserhöhungen Anfang 2026 zu verhindern“, so die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Verbands, Stefanie Stoff-Ahnis. Der GKV-Spitzenverband fordert ein sofortiges Ausgabenmoratorium für alle Leistungsbereiche. Damit sollen kurzfristig Beitragserhöhungen verhindert und die Finanzsituation stabilisiert werden. Die Maßnahme sieht vor, Preis- oder Honorarerhöhungen auszusetzen, soweit sie über die laufenden Einnahmen der Kassen hinausgehen. Das Moratorium soll solange gelten, bis ein Gleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen wiederhergestellt ist.

Die Herausforderungen sind enorm. Und der Ton der Akteure ist scharf. Diese Debatten bieten einen ersten Vorgeschmack darauf, was Nina Warken in dieser Legislaturperiode noch erwarten wird.

Erster Artikel