Ob nun in den Verwaltungen von Krankenkassen, Krankenhäusern, Universitätskliniken oder medizinischen Versorgungszentren, auf den Stationen und in den Arztpraxen unseres Landes – an allen Stellen des deutschen Gesundheitssystems werden die massiven Strukturdefizite und die seit Jahrzehnten verschleppten Reformen sicht- und erfahrbar. Das aktuelle Defizit der Pflegeversicherung von rund 1,5 Milliarden Euro ist dabei nur ein Indikator für den – vor allem finanziell – zunehmend katastrophalen Gesamtzustand unseres solidarischen Gesundheitssystems. Dabei geht es um viel mehr als eine funktionierende Gesundheitsversorgung – es geht auch und gerade um einen der zentralen Stabilitätsanker von Demokratie.
Statt zu rekapitulieren, welche Versäumnisse dazu geführt haben, möchte ich den Blick auf die Lösungsansätze sowie Handlungsfelder richten, die es nun braucht, um die Qualität der Gesundheitsversorgung zukunftsfest zu machen. Dabei richte ich meinen Fokus auf das Krankenhauswesen. Vorab sei aber einmal gesagt: Der jahrzehntelange Stillstand im ewig gleichen Rhythmus der Legislaturperioden und die damit einhergehende Besitzstandssicherung der Stakeholder in unserem Gesundheitssystem rächen sich. Das System ist in sich festgefahren.
Es braucht eine durchgreifende Neuausrichtung. Nun gab und gibt es immer wieder Hoffnungsschimmer, wie aktuell zweifelsohne die Krankenhausreform, von der unter anderem durch die Zentralisierung von Leistungen und die Reduktion überzähliger Einrichtungen tatsächlich Verbesserungen zu erwarten sind. Aber aktuell ist noch unklar, wie es mit der Reform weitergeht, ob es gelingt, die aus dem Föderalismus resultierenden Restriktionen zu überwinden, die dem dringend notwendigen Gleichklang zur inhaltlichen Weiterentwicklung des Gesundheitswesens oft genug entgegenstehen.
SMART, ECONOMIC, GREEN UND HUMAN
Die Handlungsfelder der künftigen Gesundheitspolitik lassen sich auf vier zentrale Prinzipien herunterbrechen: smart, economic, green und human. Es geht darum, durch konsequente Digitalisierung, sinnvolle Ökonomie und mehr Nachhaltigkeit die stationäre Gesundheitsversorgung wieder menschlicher zu machen. Mit positiven Abstrahleffekten auf das gesamte Gesundheitssystem, denn die Kliniken und Krankenhäuser sind das Rückgrat der medizinischen Versorgung in unserem Land.
Dass Künstliche Intelligenz die Diagnostik und individualisierte Therapien verbessern wird, daran dürften die meisten wohl nicht mehr zweifeln.
Zu wenig berücksichtigt wird jedoch, dass neben der generellen Digitalisierung in der Administration auch der Einsatz von Robotik einen positiven Einfluss auf die Prozesse in Kliniken mit sich bringen wird. Entscheidend ist jedoch, dass es nicht um Digitalisierung und Technisierung als Selbstzweck geht, sondern um den sinnvollen Einsatz von digitalen Tools und Künstlicher Intelligenz, um den Arbeitsdruck auf das medizinische und pflegerische Personal zu verringern und so wieder mehr Zeit freizusetzen für die menschliche Interaktion und die persönliche Betreuung. Es geht in Summe also darum, für mehr Effizienz zu sorgen, im Krankenhaus gleichermaßen wie an den Schnittstellen zu anderen Leistungserbringern in der Gesundheitsversorgung, um die Voraussetzung für die so dringend erforderliche sektorenübergreifende Vernetzung zu schaffen.
Dazu braucht es eine leistungsfähige IT-Infrastruktur und die elektronische Patientenakte als wesentliche Grundlage. Ohne digitale Systeme ist die angesichts des Personalmangels und demografischen Wandels zwingend erforderliche Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung schlichtweg nicht möglich, was wiederum die Brücke schlägt zum Handlungsfeld der Ökonomie.
Auch hier muss einmal mehr die Zielsetzung neu definiert werden. Denn entgegen der Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten geht es nicht darum, Kosten einzusparen oder den letzten Cent aus dem DRG-System zu pressen, sondern nachhaltig die Effizienz zu steigern, aber mit Blick auf den Menschen. Um es einmal klar und deutlich zu sagen: Ja, wir brauchen mehr Wirtschaftlichkeit und Effizienz – aber nicht aus Profitdenken und zur Abrechnungsoptimierung, sondern weil eine Gesundheitsversorgung am Rande des finanziellen Zusammenbruchs – denn genau hier stehen wir gerade – niemals menschlich sein kann.
Nur betriebswirtschaftlich gesunde Krankenhäuser können langfristig die medizinische Versorgungsqualität bieten, die Patienten in einem Land wie Deutschland zu Recht erwarten. Weil auch hierbei der Mensch verstärkt in den Mittelpunkt des Handels gestellt werden muss, gilt es, den Blick zu erweitern um psychosoziale Komponenten und der Prävention mehr Bedeutung zukommen zu lassen.
Wer das tut, muss auch bedenken, dass Gesundheitsschutz Klimaschutz bedeutet. Ein intaktes Umweltmanagement trägt zur Gesundung von Patienten bei sowie zur Gesundheiterhaltung von allen. Das führt zum Grundprinzip „green“. Aktuell gehen jährlich 5,2 Prozent der deutschen Emissionen auf das Konto des Gesundheitswesens. Aus gutem Grund: Als medizinische Zentren, die rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung stehen müssen, verbrauchen Kliniken naturgemäß viel Energie und gehören mit bis zu acht Tonnen Abfall täglich zu den größten Müllproduzenten unseres Landes. Als derart signifikante Emittenten müssen die politischen Weichen dafür gestellt werden, dass Kliniken ökologisch nachhaltiger agieren, Ressourcen schonen und so ihren CO2-Fußabdruck verringern.
Wichtig an dieser Stelle: Die Digitalisierung kann sich auch hier als hilfreich erweisen, zum einen durch die Optimierung von Prozessen, zum anderen, indem sie für die nötige Transparenz sorgt, Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit zu detektieren und umzusetzen. Damit schließt sich auch ein Kreis, was einmal mehr ein Beleg dafür ist, dass die Digitalisierung zurecht als Game Changer für die Zukunft der Medizin bezeichnet werden kann.
DIE ZUKUNFT ANNEHMEN
Nach Jahren und Jahrzehnten des Mehltaus und des Stillstands steht unser Land vor großen Herausforderungen. Mehr noch: Durch die sich radikal verändernde Welt werden wir gezwungen, endlich die Komfortzone zu verlassen und uns der unerbittlichen Realität in vielen Politikfeldern zu stellen. Das gilt neben Wirtschaft und Verteidigung explizit auch für die Gesundheitsversorgung. Dies wird nicht ohne schmerzhafte Entscheidungen und den Verlust von liebgewonnen Gewohnheiten funktionieren. Die Medizin steht vor der doppelten Herkulesaufgabe, mit mehr alten Menschen, weniger Personal und weniger Geld dennoch menschlicher zu werden. Die Wege und Lösungsansätze dazu habe ich aufgezeigt. Ich bin trotz manch erlebter Frustration optimistisch, dass wir in Deutschland noch die Kraft haben, an den Aufgaben zu wachsen.