Ein Weg, der niemals endet

In Sachen Pflege tut sich etwas, aber noch lange nicht genug. Warum spielt das Thema in der Politik eine so kleine Rolle?

Illustrationen: Olga Aleksandrova
Illustrationen: Olga Aleksandrova
Axel Novak Redaktion

Müritz, Plau und Elde – wer sich an diesen Gewässern in der mecklenburgischen Landschaft ausruht, findet viel Ruhe und Erholung. Das gilt auch für die Menschen, die hier als Pflegebedürftige leben. Zum Beispiel im Caritas-Altenpflegeheim St. Nikolaus in Parchim. Das Haus knapp 40 Kilometer südöstlich von Schwerin bietet 90 Bewohnerinnen und Bewohnern ein Zuhause mit umfassender Pflege und Betreuung. Und das so gut, dass es mit dem Deutschen Altenpflegepreis 2024 ausgezeichnet wurde. 

Grund für den Fachverlag Vincentz, das Konzept als herausragend zu würdigen, ist das Projekt „Gemeinsam auf Tour“. Demnach löst eine neue Struktur die klassische Wohnbereichspflege in Altenheimen ab. Die Pflegekräfte arbeiten nun wohnbereichsübergreifend und bewegen sich je nach Fähigkeiten und Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner durch das ganze Haus. Individuelle Betreuung statt Schubladendenken, Anerkennung von Pflegekompetenz statt Dienst nach Vorschrift – Parchim ist ein Beispiel für neue Wege zu einer zukunftsorientierten Pflege. 

Und die ist mehr als nötig, denn immer mehr Menschen wollen hierzulande gepflegt werden. Knapp 5,7 Millionen Menschen waren im Dezember 2023 pflegebedürftig, mehr als 1,7 Millionen Pflegekräfte kümmerten sich um sie. Doch die Zahl der Alten und Pflegebedürftigen hält mit der Zahl der Fachkräfte nicht Schritt. So geht das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung davon aus, dass bis 2040 allein in der ambulanten Pflege bis zu 183.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden.
 

MEHR ANREIZE IM JOB


Es stellt sich die Frage, wie Nachwuchs gefunden und Pflegeberufe attraktiv gemacht werden können. Die letzte Bundesregierung hat hier einiges getan. Pflegehilfskräfte erhalten jetzt 16,10 Euro pro Stunde, qualifizierte Pflegehilfskräfte 17,20 Euro und Pflegefachkräfte 20,50 Euro pro Stunde. Pflegedienste, ambulante Betreuungsdienste und stationäre Pflegeeinrichtungen müssen darüber hinaus Tariflöhne zahlen. Darüber hinaus haben Beschäftigte in der Altenpflege Anspruch auf neun Tage bezahlten Urlaub, zusätzlich zu den gesetzlich vorgeschriebenen 20 Tagen. Die Arbeit wird übrigens fast ausschließlich von Frauen verrichtet, gut vier von fünf Beschäftigten in der Pflege sind weiblich.

Auf administrativer Ebene soll eine genauere Ermittlung des Pflegepersonalbedarfs sicherstellen, dass auf den Stationen der Krankenhäuser ausreichend Fachpersonal zur Verfügung steht. Die Patientinnen und Patienten werden je nach Pflegebedarf in eine von 16 Schweregradgruppen eingeteilt, die sich an der täglichen Pflegezeit orientieren. Aus der Summe der erforderlichen Pflegezeiten ergibt sich dann der tatsächliche Bedarf an Pflegepersonal. Seit Anfang des Jahres müssen die Krankenhäuser regelmäßig über ihre Personalausstattung berichten. Können sie die vorgegebenen Personalschlüssel nicht einhalten, drohen Sanktionen.
 

LOHN IM DUALEN STUDIUM


Auch in der Ausbildung hat sich einiges getan. Fast 150.000 junge Menschen absolvierten 2024 eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege. Dass die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge 2024 im Vergleich zu 2023 um neun Prozent gestiegen ist, könnte bereits auf Verbesserungen zurückzuführen sein. So war ein Pflegestudium bisher kaum realisierbar, weil die Studierenden finanziell auf sich allein gestellt waren und während des Vollzeitstudiums lange, unbezahlte Pflichtpraktika absolvieren mussten.

Künftig wird das Pflegestudium weiterhin als duales Studium angeboten, die Studierenden werden während des Studiums bezahlt und erhalten zwischen 1.200 und 1.500 Euro monatlich.

Und noch etwas hat sich weiterentwickelt: Die Integration ausländischer Pflegekräfte. Sie halten das Gesundheitssystem überhaupt erst am Laufen: Rund 15 Prozent aller Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in Deutschland haben eine ausländische Staatsangehörigkeit. In jedem Krankenhaus und in allen Berufsgruppen arbeiten ausländische Fachkräfte. Pflegeheime wären ohne ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter undenkbar. Statistisch gesehen haben Ausländerinnen und Ausländer laut Bundesagentur für Arbeit seit 2022 die Pflegeberufe übernommen. Allein in der Altenpflege hat heute rund ein Drittel der Beschäftigten einen Migrationshintergrund, etwa 15 Prozent haben eine andere als die deutsche Staatsangehörigkeit.
 

ERLEICHTERTE ANERKENNUNG


Da die Zahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund stark zunimmt, stellen immer mehr Menschen aus dem Ausland einen Antrag auf Anerkennung ihrer mitgebrachten Qualifikationen. Das überarbeitete Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll deshalb die Integration ausländischer Pflegekräfte erleichtern, indem die Anerkennungsverfahren vereinfacht und vereinheitlicht werden. 

Ein geplantes Pflegeberufegesetz sollte die Pflegeberufe weiter stärken, indem Pflegefachkräfte vor allem in der häuslichen Pflege mehr Befugnisse erhalten hätten. Die Ampel-Regierung hat das Gesetz jedoch nicht durch die Gremien gebracht, ebenso wenig wie die Erhöhung der Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung. Seit dem 1. Januar 2025 zahlen die Versicherten höhere Beiträge, der allgemeine Beitragssatz ist auf 3,6 Prozent gestiegen, Eltern mit Kindern zahlen etwas weniger.

Kritiker sind allerdings skeptisch, ob das Pflegesystem mit all diesen Reformen langfristig auf einen guten Weg gebracht wurde. Denn über die Weiterentwicklung des Systems wird schon lange nicht mehr diskutiert. Im aktuellen Bundestagswahlkampf spielte die Pflegepolitik keine Rolle. „Pflege betrifft jährlich über 31 Millionen Menschen in Deutschland direkt oder indirekt“, sagt Christine Vogler vom Deutschen Pflegerat. „Warum wird sie dann im Wahlkampf so stiefmütterlich behandelt? Statt über die Finanzierung hinauszudenken, wird Pflege zu einer reinen Kostenfrage degradiert. Das greift viel zu kurz.“ 

In Parchim hat man deshalb die Sache selbst in die Hand genommen. Überlastung und hohe Ausfallzeiten bedrohten das Haus bereits 2017. Die neue Geschäftsführung ging neue Wege. Pflegedienstleiterin Martina Karsten betont jedoch bei der Preisverleihung: „Es ist ein Weg, der nie enden wird.“

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