Die Seele gesund erhalten

Seltene Erkrankungen stellen Betroffene und Angehörige vor besonders große Belastungen. Das betrifft auch und gerade die psychische Verfassung. Was bei deren Pflege hilft – und wo es Hilfe gibt.

Illustrationen: Olga Aleksandrova
Illustrationen: Olga Aleksandrova
Jost Burger Redaktion

Man nennt sie die Waisen der Medizin: Krankheiten, die so selten sind, dass es selbst in der Ärzteschaft wenig Wissen um sie gibt, der Zugang zu Therapien, so sie überhaupt existieren, schwierig ist. In der EU gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als eine Person von 1000 an ihnen leidet. Zwischen 6000 und 8000 dieser Seltenen Erkrankungen sind bekannt, in Deutschland gibt es an die vier Millionen Betroffene – und sie haben fast immer einen langen Leidensweg hinter sich. 

Allein vier Jahre dauert es im Schnitt, bevor Betroffene einer Seltenen Erkrankung eine Diagnose erhalten. Vier Jahre, in denen sie unter unerklärlichen Symptomen leiden, von Praxis zu Praxis ziehen, soziale Interaktion und ein normales Leben immer schwieriger werden. Das alles, während die körperlichen Auswirkungen ihrer Erkrankung stets präsent sind. Nicht selten hören sie dann noch den Vorwurf, das sei ja alles nur eingebildet. Dass das auf die Seele schlägt, liegt auf der Hand. Steht endlich eine Diagnose, ist das in aller Regel für die Betroffenen und ihr Umfeld eine große Erleichterung. Doch die psychische Belastung durch die Krankheit verschwindet dadurch nicht. Studien aus den USA und Großbritannien legen nahe, dass bis zu 75 Prozent der Betroffenen an Depressionen leiden, über 80 Prozent zeigen Angst- und Stresssymptome. Die Zahlen steigen, wenn keine Behandlungsoptionen bestehen: Bis zu 90 Prozent der Betroffenen berichten dann von Depressionen, 35 Prozent tragen sich zumindest zeitweise mit Suizidgedanken.
 

FÜR DIE SEELE SORGEN


Neben der Unterstützung durch das persönliche und fachliche Umfeld ist deshalb die eigene Selbstfürsorge, die mentale Gesundheit, ein zentrales Element, damit Betroffene mit ihrer Situation auch seelisch klarkommen. Für viele bedeutet das: Sich auf das zu konzentrieren, was dennoch schön ist im Leben. So wie Sarah Rothenbaum. Bei der 35-Jährigen wurde mit Anfang 30 eine Fibromyalgie und ein Morbus Bechterew festgestellt – die nicht heilbaren Erkrankungen führen zu starken Schmerzen im ganzen Körper und zu fortschreitenden Bewegungseinschränkungen. Beide sind zwar sehr selten, aber nicht im engeren Sinne Seltene Erkrankungen. Rothenbaums Bewältigungsstrategien lassen sich aber übertragen. „Ich habe gelernt, mich an Kleinigkeiten zu freuen, die Krankheit zwar zu akzeptieren, aber mich auf keinen Fall unterkriegen zu lassen“, sagt Rothenbaum, und berichtet, welche Freude ihr ein Marienkäfer machte, der sich ihr auf die Hand setzte. „Mit hat auch geholfen, meinen Geist zu beschäftigen – im Krankenhaus etwa habe ich begonnen, Sprachen zu lernen.“ Hilfreich war zudem, sich von den Sorgen abzulenken, etwa mit Bastelarbeiten. Unter anderem in einer Psychotherapie lernte sie, Achtsamkeit zu entwickeln: „Ich kenne die Stressfaktoren, die einen Schub meiner Krankheiten auslösen, und kann sie vermeiden.“
 

UNTERSTÜTZUNG DURCH DAS NETZWERK


Seltene Erkrankungen sind auch für das familiäre Umfeld eine große Belastung. Bei der Mutter von Alexandra Glusak wurde mit Anfang 80 eine amyotrophe Lateralsklerose, ALS, diagnostiziert. ALS befällt die motorischen Nerven, sie ist nicht heilbar, und sie führt im Schnitt nach drei Jahren zum Tod, meist durch die Lähmung der Atemmuskulatur. „Ich musste hilflos zuschauen, wie meine Mutter, die bislang kerngesund und sportlich aktiv war, in kürzester Zeit immer mehr Fähigkeiten verlor“, erinnert sich die 55-Jährige. „Die Krankheit war immer schneller als wir – kaum war der Zugang zum Haus für den elektrischen Rollstuhl umgebaut, konnte sie ihn nicht mehr benutzen. Wir hatten kaum Zeit, uns darauf einzustellen oder uns auf den Tod meiner Mutter vorzubereiten.“ Geholfen hat Alexandra Glusak und ihrer Familie, auf das private und fachliche Netzwerk zurückzugreifen. Angehörige und Freunde unterstützten im Alltag, hörten Alexandra Glusak einfach zu, unternahmen kleine Ausflüge mit der Mutter, solange das noch ging. Eine Mitarbeiterin der Caritas kam einmal in der Woche zu Besuch, die Palliativstation des örtlichen Krankenhauses, auf der Alexandra Glusaks Mutter schon einen Platz hatte, half bereits im Vorfeld bei der Organisation der häuslichen Pflege. Ohne diese Unterstützung hätte sich Alexandra Glusak beim Tod ihrer Mutter völlig alleingelassen gefühlt und betont: „Man muss sich Hilfe holen, wo man kann – das lindert nicht den Schmerz, aber hilft, mit der Situation umzugehen.“
 

Hilfe und Information


Eine Vielzahl von Organisationen unterstützt Betroffene, Angehörige und Fachpersonal mit Informationen, Hilfsangeboten und Beratung. Eine Übersicht.

ACHSE Die „Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen“ ist ein Netzwerk von Selbsthilfeorganisationen und fördert das Wissen über Seltene Erkrankungen in der Bevölkerung, in Politik und Medien und beim Fachpersonal. Zudem berät sie kostenlos Betroffene und ihre Angehörigen sowie ratsuchende Ärztinnen und Ärzte. 
T 030 330 07 08-0 | 
www.achse-online.de

Eva Luise und Horst Köhler Stiftung. Die Stiftung hat sich dem Engagement und der Hilfe für Menschen mit Seltenen Erkrankungen verschrieben.
www.elhks.de

EURORDIS Die Europäische Vereinigung von Patientenorganisationen setzt sich für die Verbesserung der Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit Seltenen Erkrankungen und deren Familien ein.
www.eurordis.org

RESEARCH4RARE Bundesweit tätige Forschungsverbünde zu Seltenen Erkrankungen.
www.research4rare.de

NAKOS Die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Mit bundesweiter Onlinesuche nach Unterstützungsangeboten, telefonischem Beratungsangebot, Verzeichnis Seltener Erkrankungen.
www.nakos.de

Orphanet Das Portal, getragen von einem Konsortium von 40 Partnerländern aus Europa und weiteren Mitgliedern rund um den Globus, sammelt Wissen über Seltene Erkrankungen.
www.orpha.net

Zentrales Informationsportal über Seltene Erkrankungen (ZIPSE) Das Portal bietet Zugang zu qualitätsgesicherten Informationen über Seltene Erkrankungen und ist Teil des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Seltenen Erkrankungen (NAMSE). Es verweist auf verfügbare Informationen weiter.
www.portal-se.de

 

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