Erhöhtes Risiko

Mit dem Klimawandel steigt die Wahrscheinlichkeit, dass tropische Infektionskrankheiten auch in Deutschland heimisch werden. Um dem vorzubeugen, können alle Menschen mithelfen.

Illustration: Olga Aleksandrova
Illustration: Olga Aleksandrova
Verena Mörath Redaktion

In Deutschland leben über 50 Mückenarten. Sie sind lästig, aber mehrheitlich nicht gefährlich. Mit Ausnahmen: Die heimische Culex-Mücke kann das West-Nil-Virus übertragen und kommt in ganz Deutschland vor. Neben Culex gibt es noch eine Reihe exotischer Mückenarten in Europa, wie beispielsweise die Asiatische Tigermücke. Sie ist auch schon im Südwesten Deutschlands, vor allem in Baden-Württemberg, und auch in Berlin nachgewiesen worden.

Die Tigermücke ist klein, silber-schwarz gemustert und findet die milderen Winter, die wärmeren und längeren Sommer hier prima, sind sonst eher die Tropen und Subtropen ihre Heimat. Diese Mücke ist zwar schmächtig im Vergleich zu heimischen Mückenarten, aber sie kann weit mehr als zwanzig Krankheitserreger übertragen. Darunter das Dengue-, Chikungunyaund das berüchtigte Zika-Virus. Pro Jahr gibt es in Deutschland über 1.000 diagnostizierte Fälle von Dengue, Chikungunya- und Zika-Virus, das zum Beispiel mit Reiserückkehrern nach einer Thailand-Urlaubsreise im Blut nach Deutschland importiert wird. Die gute Nachricht ist: Diese Fälle sind nicht die Folge von lokalen Virenübertragungen durch Mücken.

Neben der Tigermücke landeten hier zudem die Asiatische Buschmücke und die Koreanische Buschmücke, die die Viren der japanischen Enzephalitis und des Chikungunya-Fiebers sowie Fadenwürmer auf Menschen übertragen können. Und ebenfalls gibt es vier Arten der Anopheles-Mücke, die bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts die einheimische Malaria übertragen hat. Anopheles bleibt aber seitdem harmlos, denn es gibt kaum Menschen mit Plasmodien – Parasiten, die Malaria auslösen – im Blut, und zudem sind für eine Übertragung in Deutschland die klimatischen Hürden recht hoch. Zurzeit bleibt also eine akute Malaria-Erkrankung importiert, das heißt: Nach wie vor werden in Deutschland reiseassoziierte Malaria-Fälle registriert und müssen rechtzeitig behandelt werden, um Todesfälle zu vermeiden. Weltweit sterben immer noch 600.000 Menschen pro Jahr an Malaria – in der Regel kleine Kinder.

Aber mit dem erstmals in Afrika beschriebenen West-Nil-Virus können wir uns infizieren, auch wenn wir gar nicht auf Reisen waren. Wie das? Eine Mücke, die den Erreger in sich trägt und ihn bei ihrer Blutmahlzeit auf uns überträgt, kann auch an einem See in Brandenburg, auf dem Balkon oder im Park zustechen. Sie selbst wird zwar nicht am West-Nil-Fieber erkranken, aber sie ist ein sogenannter Vektor. Nicht nur exotische Arten, auch heimische Mücken können Vektoren werden. Unter anderem übertragen sie hier das oben beschriebene West-Nil-Virus.

Eine in Deutschland erworbene Infektion mit dem West-Nil-Fieber wurde erstmals 2018 nachgewiesen, „heute liegen die Fallzahlen immer noch weit unter 30 im Jahr“, rechnet die Epidemiologin am Robert-Koch-Institut (RKI) Christina Frank vor. Die Dunkelziffer schätzt das RKI aber als höher ein, denn bei den meisten Betroffenen verläuft die Infektion leicht oder symptomlos. „Circa 80 Prozent der Infizierten bemerken nicht, dass sie infiziert sind. Und wenn Symptome auftreten, sind sie nicht eindeutig“, schildert Frank. Patienten haben leichte Übelkeit, Kopfschmerzen und Fieber. Nur selten ist der Krankheitsverlauf ernster, es kann eine Hirn- oder Hirnhautentzündung auftreten. „Bis heute sind Tropenkrankheiten genau das: Krankheiten, mit denen man sich in den Tropen ansteckt,“ sagt Christina Frank, „das größte Infektionsrisiko gehen wir ein, wenn wir verreisen.“ Aber erkrankte Reiserückkehrer könnten dazu beitragen, dass das Risiko von Transmissionen tropischer Krankheiten durch invasive Stechmückenarten sich erhöhe.

Trotz dieses Risikos bleibt bislang das West-Nil-Virus das Einzige, das bislang hierzulande regional endemisch geworden ist. Weder Dengue-Fieber- oder Chikungunya-Fieber-Infektionen sind bislang lokal durch Mücken übertragen worden. „Alle Dengue-Fälle sind wie die meisten Tropenkrankheiten importierte Fälle, keine lokal übertragenen“, bestätigt Beate Kampmann, Direktorin des Instituts für Internationale Gesundheit an der Charité in Berlin und gemeinsam mit Christian Drosten Leiterin des Charité Centrum Global Health (CCGH).

Beate Kampmann wie auch Christina Frank geben zu bedenken: Umso wärmer es wird, desto besser können sich Vektoren weiterentwickeln, weil ihre Eier und Larven die Wintermonate überleben. Zudem dehnt sich die Mückensaison zeitlich mit steigenden Temperaturen aus und virale, parasitäre und bakterielle Erreger könnten vermehrt übertragen werden. Außerdem gibt es lokal übertragene Fälle von West-Nil-Fieber in einigen Ländern Südeuropas, in Österreich und Frankreich, auch weite Teile des Balkans und die Türkei sind betroffen. Deshalb rechnet auch Christina Frank damit, „dass die Zahl zum Beispiel der West-Nil-Diagnosen steigen kann“. Dennoch: „Es gibt keinen Grund zur Panikmache“, betont Beate Kampmann in dem Zusammenhang.

„Ich denke, das öffentliche Gesundheitswesen muss überwachen, ob die Fallzahlen zunehmen und wo es Übertragungs-Hotspots gibt“, so Kampmann. Wenn diese regional klar begrenzt seien, müsse nachverfolgt werden, ob die Anzahl der Tigermücken dort disproportional angestiegen sei. „Am besten ist es, Brutstätten und Mückenlarven zu bekämpfen, bevor es zu vermehrten Krankheitsausbrüchen kommt“, empfiehlt Christina Frank. Hierfür sei dringend eine Übersicht vonnöten, die das Vorkommen invasiver Mücken anzeigt, die vorsorgliche Mückenbekämpfung erleichtere und anzeigt, wo reiseassoziierte Virusimporte von Dengue, Chikungunya oder Zika besonders relevant sein können.

Ein Anfang ist getan: Schon seit 2012 gibt es den Mückenatlas – ein Bürgerforscher-Projekt – initiiert vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) in Müncheberg und dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald. Es handelt sich um ein Mücken-Monitoring, an dem alle Bürger und Bürgerinnen mitarbeiten können. Es sind bis heute über 30.000 Mückeneinsendungen aus der Bevölkerung eingegangen. Alle können vorbeugen: Bei Fernreisen in tropische und subtropische Gebiete, mittlerweile auch bei Reisen ins europäische Ausland ist es sinnvoll, sich über Infektions- und Tropenkrankheiten vor Abfahrt zu informieren, beraten und empfohlene Schutzmaßnahmen zu beherzigen. „Noch besser wäre, wenn sich alle Reiserückkehrenden aus den Tropen im Sommer und Herbst nach der Landung ein bis zwei Wochen lang hier konsequent gegen Mückenstiche schützen würden! Denn bei Dengue beispielsweise sind 80 Prozent der Infizierten symptomlos, haben aber genug Virus im Blut für die Aufnahme durch die Mücken“, warnt Epidemiologin Frank. Bei auffälligen Symptomen nach der Rückkehr sollte man sich untersuchen und behandeln lassen, bevor eine Mücke zusticht, ein Vektor wird und bei der nächsten Blutmahlzeit den Erreger weiter gibt.

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