Wie der Wald das Immunsystem stärkt

Spazierengehen unter Bäumen – das heißt neuerdings „Waldbaden“. Was steckt wirklich hinter dem Trendbegriff?

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Dr. Ulrike Schupp Redaktion

Puls und Blutdruck sinken. Wer an Depressionen, Erschöpfung oder Stress leidet, atmet auf und fühlt sich schon nach wenigen Minuten ein bisschen besser. Der Körper baut Adrenalin und Cortisol spürbar ab. Gleichzeitig werden die Lunge sowie das Immunsystem gestärkt und die Schlafqualität gefördert. Eine neue Wunderpille, vielleicht mit drastischen Nebenwirkungen? Nein. „Shinrin Yoku“ stammt aus Japan und ist dort schon lange Teil der Gesundheitsvorsorge. 

Der Trend, der in Deutschland „Waldbaden“ heißt, ist frei von Risiken und Nebenwirkungen. Er beschreibt das Erleben des Waldes mit allen Sinnen, für mindestens zwei Stunden, besser noch für vier. Leistung spielt dabei keine Rolle. Wer sich für ein Waldbad entscheidet, muss weder wandern noch joggen. Er darf entspannt hinschauen, wie das Licht durch Zweige und Blätter schimmert und sich dabei auf den eigenen Atem konzentrieren. Er lernt, wie es sich anfühlt, barfuß über Moos zu gehen, raue oder glatte Baumrinde zu berühren, Waldtieren zu lauschen oder den Geruch von Gräsern wahrzunehmen. 

Ausgebildete Guides bieten dafür Touren an. Atemübungen gehören dann dazu, Meditationen oder Übungen für eine bessere Intuition. Es geht um Achtsamkeit und ein Wahrnehmen ohne Bewertung. Kliniken wie das Rehafachzentrum Bad Füssing oder das orthopädische Rehazentrum Lichtenau bieten Genesenden Waldbäder unter therapeutischer Begleitung an. Auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg führt eine „Waldbademeisterin“ Gestresste achtsam durch den über 389 Hektar großen Park.

Doch auch Wellnesshotels haben den Trend für sich entdeckt. Das Biohotel Retter im Naturpark Pöllauer Tal bietet so etwa neben Waldbaden Yoga am Waldrand. 

Das Klima unter all den Bäumen gilt wegen seiner Luftfeuchtigkeit und der kühleren Temperaturen als besonders gesund. Bäume geben außerdem Terpene ab, Duftstoffe, die andere Pflanzen vor Schädlingen und Angreifern warnen und das Immunsystem der Pflanzen stärken. Wie die Terpene auch den Menschen beeinflussen können, hat Qing Li, ein japanischer Immunologie-Professor und Spezialist für Forrest Medicine in vielfältigen Studien untersucht. Für eines seiner Experimente ließ er Teilnehmende in Hotelzimmern übernachten. Bei einem Teil wurde ohne ihr Wissen nachts Waldluft ins Zimmer geschleust. Im Ergebnis hatten diese Probanden deutlich mehr und aktivere körpereigene Killerzellen im Blut. Ihr Immunsystem war also nachweislich stärker. Allerdings handelte es sich um die Terpene einer japanischen Zypressenart. Anders als in Japan steckt die Waldmedizin in Deutschland noch in den Anfängen. Der positive Einfluss des Waldes auf die Atemwege, das Herz-Kreislaufsystem und den Serotoninspiegel sowie der Abbau von Stresshormonen beim Waldbaden ist jedoch messbar. Auch die präventive Wirkung bei depressiven Symptomen gilt als belegt. Ähnlich positiv sollen sich jedoch auch „Bergbaden“ oder andere achtsame Aufenthalte in der Natur auf die Gesundheit auswirken. Und natürlich funktioniert  Waldbaden auch ohne Guide oder Wellness Hotel. Wer möchte, beginnt mit einem langen, achtsamen Waldspaziergang, absichtslos und ohne Stress.
 

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