Concetta Tatti ist drei Jahre alt, als sie plötzlich Schmerzen beim Gehen spürt, immer öfter stolpert sie und fällt hin. Ständig bekommt sie hohes Fieber und auf ihrem Gesicht breiten sich rote Flecken aus. Die ratlosen Eltern laufen von einer Praxis zur anderen, bis sie endlich in einer Kinderklinik erfahren, dass ihre Tochter an juveniler Dermatomyositis leidet, einer entzündlich rheumatischen Erkrankung von Haut und Muskeln. „Damals war die Erkrankung kaum erforscht, die Kinderärzte hatten einen solchen Verlauf kaum zu Gesicht bekommen. Das einzige, was sie meiner Mutter sagen konnten war, dass es eine Autoimmunerkrankung ist“, sagt die heute über 40-Jährige, die unter dem Dach der Deutschen Rheuma-Liga eine Selbsthilfegruppe für Betroffene gegründet hat.
Allein bei den rheumatischen Erkrankungen finden sich über hundert unterschiedliche Formen, die äußerst selten sind und deshalb sowie aufgrund ihrer vielschichtigen Symptome nur schwer zu diagnostizieren. Ihre Ursachen sind noch lange nicht wirklich geklärt. Als relativ sicher gilt, dass kleinste Veränderungen im Erbgut beteiligt sind.
Der Leidensdruck bei den Patientinnen und Patienten mit rheumatischen Autoimmunerkrankungen ist hoch. Ihr Umfeld kann die Beschwerden meist nicht wirklich nachvollziehen. „Warum fehlt ein Kind so häufig in der Schule?“, „Was sind das für Krankheiten, die Haut, Muskeln oder Bindegewebe, Gelenke und Organe in Mitleidenschaft ziehen können und große Schmerzen verursachen?“. Hausärzte tappen oft monatelang im Dunklen, bevor sie Rheuma-Spezialisten hinzuziehen. Wie Concetta Tatti haben Betroffene meist eine Odyssee hinter sich, bevor sie endlich ihre Diagnose erhalten. Autoimmunerkrankungen nehmen allgemein zu. Dabei kann das Immunsystem, welches den Menschen im intakten Zustand vor Viren, Bakterien, Parasiten oder sonstigen Fremdstoffen schützt, nicht mehr zwischen »fremd« und »selbst« (auto) unterscheiden. Infolgedessen greift das Immunsystem gesundes, körpereigenes Gewebe an. 10 bis 15 Millionen Deutsche sind bereits betroffen. Forschende führen die Zunahme unter anderem auf Umweltfaktoren und Kontakt mit Giftstoffen wie Silikonstaub, Inhaltsstoffe in Kosmetika, Nikotin und Weichmacher in Plastik zurück. Außerdem soll Vitamin-D-Mangel das Risiko einer Erkrankung erhöhen.
Fortschritte der Entwicklung geeigneter Medikamente werden oft dadurch erschwert, dass die Patientenzahlen bei seltenen Erkrankungen dann eben doch sehr gering sind. Dadurch wird es zum Beispiel schwieriger, zu aussagekräftigen Studien zu kommen. Dem Bundesministerium für Bildung und Forschung zufolge kann die Erforschung von Orphan Diseases allerdings richtungsweisend sein, um andere komplexe Krankheitsbilder zu verstehen. Schon heute sind laut dem Verband forschender Pharmaunternehmen rund ein Drittel der Medikamente, die in den vergangenen fünf Jahren neu auf den Markt kamen, sogenannte Orphan Drugs, also Pharmazeutika zur Behandlung einer seltenen Erkrankung.
Gegen Dermatomyositis erhält Concetta Tatti Kortisonpräparate und Immunsuppressiva. Zusätzliche Behandlungen sind notwendig, je nachdem, welches Organ betroffen ist. Das „Rheuma“ verläuft trotz wirksamer Medikamente, Bewegung und Physiotherapie meist chronisch. Zum Formenkreis zählen dabei Erkrankungen des Bewegungsapparates ebenso wie auch entzündliche Erkrankungen des Bindegewebes (Kollagenosen) oder der Blutgefäße (Vaskulitiden) und des Immunsystems. Die entzündliche Autoimmunerkrankung betrifft oft den ganzen Körper. Überschießende Reaktionen der körpereigenen Abwehr richten sich dabei gegen Knochen und Gelenke, schädigen die Haut, die Blutgefäße, Nerven und Muskeln. Wird die Erkrankung früh genug erkannt, kann der Verlauf positiv beeinflusst werden.
Hilfen und eine Vielzahl von Informationen finden Menschen, die an einer seltenen rheumatischen Autoimmunerkrankung leiden, vor allem bei der Deutschen Rheuma-Liga, der größten nationalen Selbsthilfeorganisation von Betroffenen. Außerdem hat die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie bundesweit Regionale Kooperative Rheumazentren zertifiziert, die auf die Behandlung von Rheuma, und auch von Orphan Diseases spezialisiert sind. In diesen Zentren haben sich Universitäten, Praxen und Kliniken zusammengeschlossen, um Erkrankungen interdisziplinär und fächerübergreifend zu behandeln. Alle sind in einer „Rheuma-Landkarte“ verlinkt, sodass Spezialistinnen und Experten in der Region schnell gefunden werden können (siehe Abspann).
Seit 2003 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung bisher insgesamt 107 Millionen Euro in nationale Verbundprojekte investiert, die sich mit seltenen Erkrankungen befassen. Bis 2022 sollen hier noch einmal 25 Millionen fließen. 11 Forschungsverbünde haben sich in Deutschland auf Orphan Diseases spezialisiert. Sie sind international vernetzt und unterstützen so etwa auch das International Rare Diseases Research Consortium. Damit wird nicht zuletzt der Tatsache Rechnung getragen, dass in den einzelnen Ländern teilweise nur wenige Menschen an den einzelnen Erkrankungen leiden und ein internationaler Austausch von Wissen und Daten einfach notwendig ist, um diese Erkrankungen besser zu verstehen.
Rheuma-Landkarte
Auf der Seite www.dgrh.de zu „Versorgung“, dann „Landkarte der Rheumazentren”
Seltene rheumatische Erkrankungen
Entzündliches Rheuma hat zahlreiche Erscheinungsformen. Betroffene leiden auch darunter, eine schwere, schmerzvolle Erkrankung zu haben, die die meisten nicht einmal dem Namen nach kennen.
Kollagenosen
(entzündliche Erkrankung des Bindegewebes)
Systemischer Lupus Erythematodes Schubweise auftretende Autoimmunkrankheit, die die Haut, die Gelenke und weitere Organsysteme betreffen kann.
Poly-/Dermatomyositis Systemische Erkrankung mit entzündlichen und degenerativen Veränderungen in den Muskeln (Polymyositis) oder in Haut und Muskeln (Dermatomyositis). Eine Erkrankung ist in jedem Alter möglich.
Systemische Sklerose/Sklerodermie Chronische Erkrankung mit Bindegewebe-Vermehrung und Gefäßanomalien in Haut, Gelenken und Organen wie der Speiseröhre, Lunge, Herz und Nieren.
Mischkollagenosen Seltene Kollagenosen mit Kombination der klinischen Symptome des Systemischen Lupus Erythematodes, der Systemischen Sklerose und Polymyositis. Jo-1-Syndrom Jo-1-Antikörper sind Autoantikörper, die sich gegen körpereigene Zellen richten. Sie sind bei Autoimmun-
erkrankungen wie z.B. Poly-/Dermatomyositis nachweisbar.
Vaskulitiden
(entzündliche Erkrankung der Blutgefäße)
Riesenzellarteriitis Seltene Form der Großgefäßentzündungen, die meist ab 50 Jahren auftritt. Am häufigsten sind Gefäße des Kopfes, die Aorta sowie Gefäße der Arme und Beine betroffen.
Takayasu Arteriitis Entzündliche Erkrankung, die vor allem bei jüngeren Frauen auftritt und die Aorta, ihre Seitenäste und die pulmonalen Arterien betrifft. Ihre Entstehungsursache ist noch nicht bekannt.
Granulomatose mit Polyangiitis Rheumatologische Erkrankung, die mit geschwulstähnlichen Veränderungen der Atemwege und mit einer Entzündung der kleinen und mittleren Gefäße, bei der es zum Absterben von Zellen kommt, einhergeht.
Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis Systemische Vaskulitis von kleinen bis mittleren Gefäßen, die u.a. mit Asthma und entzündlicher Gewebeverdichtung in der Lunge einhergeht.
Panarteriitis Nodosa Systemische, Zellen zerstörende Vaskulitis, die mittlere und kleinere muskuläre Arterien betrifft und zu Gewebeischämie führt. Nieren, Haut, Gelenke, Muskeln, periphere Nerven und Gastrointestinaltrakt sind am häufigsten betroffen. Grundsätzlich kann jedes Organ mit Ausnahme der Lunge erfasst werden.
Weitere entzündliche Erkrankungen der Gelenke wie Behçet-Krankheit, chronisch rezidivierende Polychondritis und viele andere mehr gehören ebenfalls zu den seltenen rheumatischen Erkrankungen.