v. l . n. r.: Prof. Dr. Martin Wabitsch, Leiter Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Ulm;
apl. Prof. Dr. Martin Wagner, Leitender Oberarzt Klinik für Innere Medizin I, Sektionsleiter Endokrinologie, Stoffwechsel- und Ernährungswissenschaften Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Ulm;
Prof. Dr. Reiner Siebert, Direktor des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Ulm
„In der Regel kennt man außerhalb der Familie niemanden, der ebenfalls betroffen ist“, erklärt Sabine Tilp, Gründerin des Netzwerks Lipodystrophie. Sie selbst leidet an dieser seltenen Erkrankung. „Lipodystrophie führt zu einer ganz besonderen Verteilung der Fettmassen am Körper”, erklärt Prof. Dr. med. Martin Wabitsch vom Zentrum für Seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Ulm.
„Betroffene sehen daher oft ungewöhnlich aus.“ Die Universitätsklinik Ulm beherbergt eines der wenigen auf Lipodystrophie spezialisierten Fachzentren in Deutschland.
Bei einer Lipodystrophie wird Fett nicht im Unterhautfettgewebe, sondern in Organen wie der Leber, der Bauchspeicheldrüse, dem Herzen und den Muskeln abgespeichert. Dabei kommt es häufig zu Folgeerkrankungen, etwa einem Diabetes, der schwer therapierbar ist. Ein Symptom, das bei vielen auftritt, ist ein Hungergefühl, das so stark ist, dass man „nicht nur den Berg Nudeln auf dem Teller essen möchte, sondern am liebsten den Teller gleich mit“, beschreibt Sabine Tilp.
Im Wesentlichen unterscheidet man zwei Formen von Lipodystrophie: die erworbene und genetisch bedingte. „Für letztere kennen wir eine Reihe von verursachenden Genen“, so Prof. Siebert und es kann dann eine Veranlagung für die Erkrankung auch bei anderen Familienmitgliedern vorliegen, während die erworbene ganz verschiedene Ursachen haben kann: „Möglich sind immunologische Störungen, Infektionen oder die Gabe bestimmter Arzneimittel, insbesondere antiretrovirale Arzneimittel im Rahmen einer HIV-Therapie oder Insulin“, erläutert Prof. Wagner.
Als Folgeerkrankungen können Fertilitätsstörungen auftreten bis hin zur Unfruchtbarkeit bei Frauen, Bauchspeicheldrüsenentzündungen, Herzmuskelvergrößerung, Entwicklung einer Fettleber sowie Fettstoffwechselstörungen und Nieren-Probleme.
Auch Wachstumsstörungen bei Kindern und Jugendlichen kommen vor. „Lipodystrophien können lebensbedrohliche Erkrankungen sein, die unbehandelt zu einer verkürzten Lebenserwartung beitragen“, so Prof. Wabitsch.
Weil Lipodystrophie so selten ist, haben Betroffene es auch im sozialen Umfeld schwer. „Man kann kaum beschreiben wie das ist, wenn man als Frau dauernd gefragt wird, warum man so aussieht, wie man ausssieht“, berichtet Sabine Tilp aus ihrem Alltag. „Ob man viel Sport macht. Ob man was nimmt, um solche Muskeln zu haben. Ob man ein umoperierter Mann ist.“ Im Umgang mit Behörden oder Kassen ist Durchhaltevermögen gefragt: „Welcher Sachbearbeiter hat schon Zeit, sich mit einem Krankheitsbild zu beschäftigen, das ihm schon allein aufgrund der geringen Fallzahlen höchstwahrscheinlich nie wieder begegnen wird?“, so Tilp.
Derzeit besteht keine Möglichkeit, diese Krankheit zu heilen. Ausdauersport und eine begleitete Ernährungstherapie können helfen. Eine Therapiemöglichkeit ist die Behandlung mit dem Hormon Leptin. Es kann zu einer Verbesserung des erhöhten Fettspiegels im Blut (Hypertriglyzeridämie) und
der Fettleber führen, zu einer Verbesserung von Insulin-Resistenz und Diabetes mellitus und auch zu einer Reduktion des Hungergefühls. „Ich persönlich bin Leptin-Patientin und profitiere auch davon“, so Sabine Tilp. Das ist aber längst nicht bei allen Patienten der Fall. Deshalb ist es – wie bei vielen seltenen Erkrankungen – auch bei der Lipodystrophie wichtig, in enger Zusammenarbeit mit den Experten eine individuelle Therapie zu entwickeln.
»Selten sind viele«
1. Süddeutscher Fachtag der Seltenen Erkrankungen am Samstag, 29.02.2020, im Haus der Begegnung in Ulm.