Klartext reden

Wird es ernst, sollten Angehörige und Freunde die Lage nicht überspielen oder beschönigen. Ehrlichkeit ist jetzt wichtig.
Illustrationen: Banu Nefes Yildiz
Illustrationen: Banu Nefes Yildiz
Anke Nolte Redaktion

Die Geschwister Sophie und Markus Heumer (Name geändert) setzen sich jeden Nachmittag in den Garten des Hospizes und trinken Kaffee. Sie lauschen dem Rauschen der alten Bäume, knüpfen Kontakte mit anderen Patienten – und reden einfach viel miteinander. Ganz in Ruhe. Über Politik, über Literatur, über die Tochter von Herrn Heumer, über seine schwere Krebserkrankung, über den Sinn des Lebens und über den Tod. „Wir verbringen so viel Zeit miteinander wie seit der Kindheit nicht mehr“, sagt die Schwester.

 

Gute Gespräche brauchen Zeit. Und gute Gespräche brauchen einen geschützten Rahmen. Den haben die Geschwister im Hospiz gefunden. Gute Gespräche sind von gegenseitigem Verständnis geprägt, und von Offenheit füreinander. Insofern hat ein gutes Gespräch wenig mit Kommunikationstechniken oder einer Methode zu tun, sondern vielmehr mit einer inneren Haltung. Einer Haltung, in der wir mitfühlen können und präsent sind. Eine Haltung der Achtsamkeit, in der wir uns dem „Hier und Jetzt“ überlassen und die Einzigkeit der Situation bewusst erleben. Das gelingt natürlich nicht immer, aber wir können es zumindest versuchen. Eine Ausnahmesituation, wie es das Lebensende bedeutet, kann dabei hilfreich sein. Denn wir kommen in Kontakt mit dem Wesentlichen. Wenn wir es zulassen.

 

Gekreuztes Schweigen

 

Doch oft herrscht am Lebensende Sprachlosigkeit. Heikle, existenzielle Themen werden umgangen und verdrängt. Das ist sehr verständlich, denn das Lebensende macht Angst. Es ist bedrohlich, unvorstellbar und unendlich traurig, dass ein nahestehender Mensch oder man selbst bald sterben wird. Das Sprechen darüber zwischen schwerkranken Menschen und ihren Angehörigen und engen Freunden ist wegen der eigenen Betroffenheit oft schwierig – auch wenn Politik, Gesellschaft und Medien den Tod immer weiter enttabuisieren. Angehörige und Freunde wissen oft gar nicht, was sie sagen sollen, und haben Angst, etwas Falsches zu sagen. Manche flüchten sich in Floskeln wie „Das wird schon wieder!“, „Alles halb so wild!“ oder: „Die Ärzte machen dich schon wieder gesund“. Gerade Partner neigen dazu, sich gegenseitig zu schonen. Sie wollen den anderen nicht noch zusätzlich belasten. „Sagen Sie es nicht meiner Frau/ meinem Mann“, das hören Hospizmitarbeitende und Palliativmediziner immer wieder. Experten nennen das auch „Gekreuztes Schweigen“.

 

Viele Sterbenskranke wünschen sich jedoch Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Sie möchten nicht behandelt werden wie ein rohes Ei. „Klartext ist mir am liebsten“, so hat sich eine sterbenskranke Patientin auf der Palliativstation geäußert. Es tauchen schließlich so viele Fragen auf, über die es sich lohnen würde zu sprechen. Wie möchtest du beerdigt werden? Was passiert mit dem Haus nach meinem Tod? Was bedeutet es zu sterben? Wie möchten wir die letzte Lebensphase gestalten? Es kann zudem guttun, zusammen auf das Leben zurückzublicken: Welche Höhepunkte und welche Krisen habe ich, haben wir erlebt? Welche Menschen waren und sind wichtig? Auch kann es sehr entlastend sein, über Gefühle wie Trauer, Angst, Verzweiflung oder auch Wut zu sprechen. Je offener alle Beteiligten mit ihren Gefühlen umgehen, desto größer ist die Chance, dass sie sich in ihren Ängsten und in ihrer Trauer nicht gegenseitig blockieren.

 

Mitfühlendes Zuhören

 

Doch wie kann man miteinander ins Gespräch kommen, auch über die existenziellen Fragen wie Leben und Tod? Ein guter Einstieg kann zum Beispiel sein, über ganz praktische Dinge wie etwa eine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht zu sprechen und sich gemeinsam die Formulare anzuschauen. Es kann auch helfen, von sich zu erzählen: Was liegt mir auf dem Herzen? Welche Ängste habe ich? Mit welchen Gefühlen habe ich sonst noch zu kämpfen? Fragen stellen, die ehrliches Interesse bekunden – auch das ist eine weitere wichtige Komponente eines guten Gesprächs. Nicht zuletzt hat auch das Zuhören gerade am Lebensende eine besondere Bedeutung. Aufmerksames, mitfühlendes Zuhören kann den anderen dazu ermuntern, über besonders schwierige Themen und Gefühle zu sprechen. Denn der Sprechende, dem auf diese Weise zugehört wird, fühlt sich wohl und angenommen, sodass er sich womöglich mehr öffnet.

 

Es braucht oft Mut, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Doch es kann sich lohnen. Denn über ehrliche, offene Gespräche können sterbenskranke Menschen wie auch ihre Angehörigen und Freunde diese schwierige Phase des Lebens ein Stück weit mitgestalten und zueinander finden, was sehr tröstlich sein kann.

 

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