Im Teufelskreis

Bei seltenen Erkrankungen kommt es besonders häufig zu psychischen Belastungen bei Betroffenen und Angehörigen.
Illustration: Robert Seegler
J.W. Heidtmann Redaktion

Bis zur Diagnose einer seltenen Erkrankung vergehen im Durchschnitt vier Jahre. Bis dahin haben Betroffene häufig eine Odyssee durch Arztpraxen oder Kliniken in ganz Deutschland hinter sich. Bei manchen tritt die Krankheit in Schüben auf. Das kann heißen, dass Patienten sich zwischenzeitlich wieder vollständig gesund fühlen können, bevor die nächste Krankheitswelle über sie hereinbricht. So etwas belastet nicht nur das Verhältnis zum Arbeitgeber, sondern das gesamte familiäre und soziale Umfeld. Sieht man der Person die Erkrankung äußerlich nicht an, wird ihr oftmals auch noch Simulation vorgeworfen. Mit dem Verständnis für den Erkrankten kann es an Grenzen kommen – was den Eindruck der Isolation beim Patienten noch verstärkt.


In diesem Teufelskreis finden sich viele Betroffene einer seltenen Erkrankung wieder. Kein Wunder, dass dieser lange Zeitraum der Unsicherheit und Ungewissheit bis zur Diagnosestellung zu erheblichen psychischen Belastungen führt. Im Extremfall können Unsicherheit und Rechtfertigungsdruck zu ernsthaften psychischen Erkrankungen führen. Eine Befragung von Medizinern der UKE Hamburg unter Patienten mit einer seltenen Erkrankung kam zu dem Ergebnis, dass 42 Prozent der Patienten Symptome einer Depression zeigten. Bei 23 Prozent traten Ängste auf.


Psychische Begleiterkrankungen können zu der eigentlichen Erkrankung hinzukommen, erklärte Johannes Kruse, ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie an der Universitätsklinik Gießen, auf dem letztjährigen Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. „Einen wesentlichen Bestandteil der Belastungen stellt die Sorge vor der Zukunft dar, vor allem auch, weil Informationen über die seltenen Erkrankungen nur spärlich zu erhalten sind. Kann die Erkrankung dann identifiziert werden, sind die Patienten sehr erleichtert“, wird Kruse vom Ärzteblatt zitiert.


Treten die seltenen Erkrankungen im frühen Kindesalter auf und werden nicht als solche erkannt, so entwickele sich häufig in der Verarbeitung dieser problematischen Situation eine erhebliche chronische psychische Belastung. „Liegen dann in der Folge sowohl Symptome durch die körperliche seltene Erkrankung als auch die Symptome einer psychischen und psychosomatischen Störung gleichzeitig vor, ist es wichtig, die somatische und die psychosomatische Komponente zu diagnostizieren und zu behandeln.“ Kruse regte an, interdisziplinäre Versorgungskonzepte an Zentren für seltene Erkrankungen zu entwickeln, um den betroffenen Patienten adäquat helfen zu können.


Alternativ wäre eine psychotherapeutische Begleitung hilfreich, um mit den Auswirkungen einer seltenen Erkrankung besser umzugehen. Zu der Angst kommen oft berufliche Probleme, wenn etwa erkrankte Personen oder betreuende Angehörige immer wieder fehlen und deshalb von Arbeitgebern und Kollegen als unzuverlässig empfunden werden. Welches Schicksal sich hinter dem Fernbleiben verbirgt, wird oft ignoriert oder nicht gesehen. Betroffene sollten sich frühzeitig Hilfe suchen.

 

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