Genuss ohne Reue?

Wenn es um missbräuchlichen Alkohol- und Tabakkonsum geht, ist die klassische Forderung: Abstinenz. Die gelingt aber oft nicht. Eine Alternative ist, den Konsum einzuschränken und zu kontrollieren.

Illustration: Ivonne Schreiber
Illustration: Ivonne Schreiber
Oskar Rheinhold Redaktion

Ein Glas vom guten Rotwein am Abend, die Zigarette nach dem guten Essen – für viele Menschen gehört das zu einem genussvollen Leben. Gut, wer es dabei belassen kann, wer dem Genuss ohne Reue folgen kann. Doch Millionen von Menschen gelingt dies eben nicht. Sie konsumieren Alkohol oder Tabak in bedenklichen Mengen oder sind schlicht und einfach süchtig. Mit allen Folgen für ihre Gesundheit, für ihr Umfeld, für die Gesellschaft. Die naheliegende Lösung wäre Abstinenz. Doch die gelingt bekanntermaßen in vielen Fällen nicht. Wer einmal versucht hat, mit dem Rauchen aufzuhören, kann ein Lied davon singen. Und die Rückfallquoten von Alkoholkranken bewegen sich, je nach Studie, zwischen 40 und 60 Prozent, das US-amerikanische National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (INAAA) spricht sogar von 70 Prozent.
 

SCHADENSMINDERUNG STATT ABSTINENZ


Aber ist Abstinenz vielleicht gar nicht der richtige Weg? Ist es möglich, den Konsum von Alkohol und Tabak so zu gestalten, dass die Folgen weniger schwerwiegend sind? Seit den 1970er-Jahren gibt es das Konzept der „Harm Reduction“, der Schadensminderung. Ursprünglich wurde es entwickelt mit Blick auf illegale Drogen. Heute wird das Prinzip auch auf Alkohol- und Tabakkonsum angewandt. Prinzipiell geht es um Maßnahmen, die darauf abzielen, die negativen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Konsums von Genussmitteln zu reduzieren – anstatt den Konsum selbst vollständig zu verhindern. Der Ansatz richtet sich häufig an Menschen, die möglicherweise keine vollständige Abstinenz anstreben oder für die ein Entzug unrealistisch ist. 

Beispiel Alkohol: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt Männern, nicht mehr als zwei Standardgläser pro Tag zu trinken. Ein Standardglas entspricht ca. 330 ml Bier mit einem Alkoholgehalt von 4 bis 5 Prozent. Frauen sollten nicht mehr als ein Standardglas pro Tag trinken. Es sollten zudem zwei alkoholfreie Tage pro Woche eingehalten werden. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung betont allerdings in ihrem neuesten Positionspapier (wie es im Prinzip auch die WHO tut), dass schon geringe Mengen an Alkohol gesundheitsschädlich sind – und empfiehlt, auf Alkohol komplett zu verzichten. Das war’s dann mit dem Genuss …
 

SELBSTBESTIMMUNG UND EIGENVERANTWORTUNG


Und das ist der Knackpunkt an der Diskussion. Wer kein Problem damit hat, gar keinen Alkohol zu trinken oder bei ein oder zwei Bieren, einem oder zwei Gläsern Wein (pro Woche, wohlgemerkt) zu bleiben, muss sich vielleicht gar nicht so viele Sorgen um seine Gesundheit machen. Wer den Griff zum Glas nicht unter Kontrolle hat, wer alkoholkrank ist, aber eine Abstinenz nicht schafft, dem helfen vielleicht die Maßnahmen zur „Harm Reduction“, wie sie im Kasten „Harm Reduction“ bei Alkohol dargestellt sind. 

Beispiel Rauchen: Nikotin an sich macht zwar süchtig. Das eigentliche Problem sind aber die Dutzende Stoffe, die beim Verbrennen von Tabak entstehen. Eine Möglichkeit, die schädlichen Folgen des Rauchens zu minimieren, sind deshalb E-Zigaretten. Sie „verdampfen“ eine in der Regel nikotinhaltige Flüssigkeit, die dann eingeatmet wird. Kritiker merken allerdings an, dass auch diese Technik Gesundheitsrisiken beinhaltet – und der Gebrauch von Tabak, den die meisten Menschen mit Nikotin gleichsetzen, also schlicht: das Rauchen – verharmlost wird. Davon abgesehen, sind die Strategien zur Schadensminderung beim Alkoholkonsum auch auf den Gebrauch von Tabak übertragbar.

Genuss ohne Reue also? Es ist kompliziert. Wer die wissenschaftlich bewiesenen Folgen auch geringer Mengen Alkohol und Tabak in Kauf nehmen will, wird dies als selbstbestimmter Mensch tun. Wer merkt, dass er die Alltagsdrogen nicht „im Griff“ hat, sollte sich um Hilfe bemühen, mit dem Ziel der Abstinenz. Gelingt diese nicht, dann mögen Konzepte der „Harm Reduction“ hilfreich sein – doch auch diese erfordern Willensstärke, Hilfe von außen und ein unterstützendes Umfeld.
 

„HARM REDUCTION“ BEI ALKOHOL


FESTLEGUNG PERSÖNLICHER GRENZEN: 
Hier können die Empfehlungen der WHO hilfreich sein. Für Männer nicht mehr als zwei Standardgläser, für Frauen nicht mehr als ein Standardglas pro Tag. 
"NÜCHTERNE TAGE" EINFÜHREN: 
Dahinter steht die bewusste Entscheidung, an bestimmten Tagen komplett auf Alkohol zu verzichten. Solche „nüchternen Tage“ helfen, den Körper zu entlasten und das Bewusstsein für den eigenen Konsum zu schärfen. 
LANGSAM TRINKEN UND ABWECHSELN: 
Langsam zu trinken, kleine Schlucke zu nehmen und alkoholfreie Getränke zwischendurch zu konsumieren, kann helfen, die Kontrolle zu behalten. Dies reduziert die Gesamtmenge an Alkohol und vermeidet einen schnellen Rausch. 
VERMEIDUNG VON "BINGE DRINKING": 
Anstelle großer Mengen in kurzer Zeit zu konsumieren, ist es hilfreich, in moderatem Tempo und geringere Mengen zu trinken. 
ALTERNATIVE FREIZEITGESTALTUNG: 
Aktivitäten, bei denen Alkohol keine Rolle spielt, wie Sport, Hobbys oder Treffen in alkoholfreien Umgebungen, können helfen, Gewohnheiten zu ändern und den Konsum bewusst zu senken. 
BEWUSSTES TRINKEN:
Manche Menschen verfolgen ein „Achtsamkeitskonzept“ beim Konsum, indem sie auf ihr eigenes Befinden und die Gründe für das Trinken achten. So kann reflektiert werden, ob das Bedürfnis nach Alkohol wirklich vorhanden ist oder ob es besser durch andere Wege (z. B. Entspannungsübungen) befriedigt werden kann.
 

ALKOHOLKRANKHEIT

Anlaufstellen für Menschen, die alkoholkrank sind:
• Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS): www.dhs.de
• Caritas Suchtberatung: www.caritas.de 
• Diakonie Deutschland: www.diakonie.de 
• Sucht & Drogen Hotline: bundesweite Telefonnummer 01806 313031

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