»Betroffene angemessen behandeln«

Weshalb in der Mukoviszidose-Versorgung strukturelle Defizite bestehen. Ein redaktioneller Gastbeitrag von Stephan Kruip, Mukoviszidose e.V.
Illustration: Lara Paulussen
Illustration: Lara Paulussen
Stephan Kruip Redaktion

Mukoviszidose ist eine der häufigsten unter den seltenen Erkrankungen, mehr als 8.000 Menschen leben hierzulande mit der Erbkrankheit. Ihre medizinische Versorgung hat daher in vielen Bereichen Modellcharakter auch für andere seltene Erkrankungen – sowohl im Sinne eines Best-Practice-Versorgungsmodells als auch im Aufzeigen von dramatischen strukturellen Defiziten unseres Gesundheitssystems.

Interdisziplinäre Behandlung

Mukoviszidose ist eine Multiorganerkrankung – ihre Komplexität erfordert eine hochprofessionelle und interdisziplinäre Versorgung der Betroffenen. Diese erfolgt vorrangig in spezialisierten Mukoviszidose-Ambulanzen an Kliniken mit qualifiziertem Fachpersonal. Zum Behandler-Team gehören verschiedene Fachärzte, Pflegekräfte, Ernährungstherapeuten, Physiotherapeuten und psychosoziale Fachkräfte.
In den letzten Jahren wurden bundesweit Mukoviszidose-Ambulanzen aufgebaut, in denen meist kleine, sehr engagierte Teams die Patientinnen und Patienten betreuen. Dies ist, zusammen mit den Therapie-Fortschritten und der Zulassung neuer Medikamente, eine sehr erfreuliche Entwicklung. Sie hat dazu geführt, dass Lebenserwartung und -qualität der Betroffenen deutlich gestiegen sind. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines heute in Deutschland geborenen Menschen mit Mukoviszidose liegt aktuell bei 55 Jahren.

Steigende Lebenserwartung

Diese Fortschritte haben jedoch auch eine Schattenseite: Das Versorgungssystem ist mit dem steigenden Alter der Betroffenen nicht mitgewachsen. Vielerorts werden erwachsene Patienten in der Pädiatrie versorgt, weil es keine Erwachsenen-Ambulanzen gibt. Das höhere Alter der Betroffenen bringt außerdem neue Herausforderungen mit sich: Es treten vermehrt Folge- und Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Diabetes, Leber- oder Krebserkrankungen auf. Die ohnehin komplexe Behandlung wird dadurch künftig noch zeitaufwändiger, die Anzahl und Ausstattung der Kliniken, die diesem Mehrbedarf gerecht werden könnten, ist jedoch heute schon unzureichend.

Chronische Unterfinanzierung

Dazu kommen grundsätzliche strukturelle Defizite im Gesundheitswesen: Eine so umfassende, interdisziplinäre und lebenslange Versorgung von Betroffenen einer seltenen Erkrankung sieht unser System nicht vor. Der Aufwand der Behandler-Teams wird nicht angemessen vergütet, viele Mukoviszidose-Ambulanzen arbeiten finanziell defizitär, und diese Unterfinanzierung erschwert es, zusätzlich zum ohnehin im Gesundheitswesen vorhandenen Fachkräftemangel qualifiziertes Personal zu gewinnen. Der Mukoviszidose e.V. engagiert sich daher seit Jahren für die ausreichende Finanzierung einer spezialisierten ambulanten Mukoviszidose-Versorgung, um sicherzustellen, dass auch erwachsene Betroffene künftig angemessen behandelt werden können.

 

Stephan Kruip ist Mitglied im Deutschen Ethikrat und Bundesvorsitzender des Mukoviszidose e.V. Der Verein setzt sich seit über 50 Jahren für die Belange von Menschen mit Mukoviszidose und ihren Angehörigen ein.

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