Herr Professor Schäfer, Sie werden auch als der deutsche „Dr. House“ bezeichnet. Woher das?
Um unsere Medizinstudenten und Medizinstudentinnen für Seltene Erkrankungen und die Faszination der Diagnosefindung zu begeistern, begann ich vor gut 15 Jahren ein seinerzeit neuartiges Lehrformat zu entwickeln. Ich nutzte die damals recht beliebte Fernsehserie „Dr. House“, um Studierende in ein Seminar zum Thema „Seltene Erkrankungen“ zu locken. Dass dies mit der Hilfe von Dr. House funktioniert, konnten wir auch wissenschaftlich nachweisen. So wurde die Fernsehserie Dr. House für uns zu einem Türöffner, um junge Mediziner für die Seltenen zu begeistern.
Sie wird als Wiederholung immer noch gezeigt. Wobei: Dr. Gregory House ist zwar ein hoch intelligenter, aber auch sozial schwieriger Charakter.
Ja, hier zeigt sich schön das Spannungsfeld zwischen einem menschlich empathischen oder einem fachlich brillanten Charakter. Was ist mir lieber, bei Prof. Brinkmann von der Schwarzwaldklinik zu sterben, währenddessen er an meinem Bett sitzt und mir die Hand hält, oder bei Dr. House gesund zu werden, währenddessen er im Flur steht und über die Klinikleitung schimpft. Natürlich braucht es in der Medizin beides und wir in Marburg und an allen anderen Universitätskliniken auch bemühen uns, sowohl fachlich exzellente als auch menschlich integre Persönlichkeiten auszubilden.
Sie hingegen werden als sehr empathischer Arzt beschrieben. Für Betroffene von Seltenen Erkrankungen ist das enorm wichtig: Sieben Jahre dauert es im Durchschnitt, bis sie eine korrekte Diagnose erhalten.
Ja, das ist eine Tortur, psychisch wie körperlich. Als anlässlich meiner Uni-Seminare über Seltene Erkrankungen die Bezeichnung „deutscher Dr. House“ durch die Medien ging, bekam ich Tausende von Zuschriften von verzweifelten Patientinnen und Patienten. Das war der Anstoß für unsere Geschäftsführung, das Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen am Universitätsklinikum Marburg zu gründen. Das war vor über zehn Jahren.
Wie läuft eine Diagnostik bei Seltenen Erkrankungen ab?
Primär sichten wir aufgrund der Dringlichkeit natürlich Klinikanfragen, zuallererst die aus den Fachabteilungen unseres eigenen Hauses oder anderer Universitätskliniken. Es folgen die Patientenfälle, bei denen sich Kollegen externer Einrichtungen oder Niedergelassene mit der Bitte um Hilfe an uns wenden. Da wir keine eigenen Betten haben, ist für uns die enge Zusammenarbeit mit einem anfragenden Hausarzt sehr wichtig, da dieser dann unsere Vorschläge letztendlich auch umsetzen muss.
Wie kann eine medizindetektivische Forschung aussehen?
Wir treffen uns zu regelmäßigen Teamsitzungen in einer Gruppe von etwa zehn Kolleginnen und Kollegen aus völlig verschiedenen Schwerpunkten, also von der Allgemeinmedizin bis hin zur Psychosomatik. Dabei wird jeder Patientenfall ausführlich und manchmal auch kontrovers diskutiert. Mit diesem Ansatz der Teambesprechungen kommen wir oftmals auf die richtige Spur.
Was, wenn es sich um eine neue Krankheit handelt, die noch nie beschrieben wurde?
Das kommt zwar selten, aber durchaus auch immer wieder mal vor. So hatten wir einen Mitte 60-jährigen Patienten, der hatte immer wieder Lähmungsattacken, und dies seit fast 50 Jahren. Dabei bekam er aus heiterem Himmel einen Schwächeanfall. Diese fürchterlichen Attacken durchlebte er zum Schluss fast täglich.
Wie sind Sie bei der Diagnostik vorgegangen?
Wir haben zunächst gemeinsam mit dem Patienten überlegt, wann die Lähmungen vor allem auftraten. Der Patient selbst hatte den Verdacht, dass die Anzahl und Stärke der Schübe mit der Ernährung zusammenhängen könnten. Drum baten wir den Patienten, ein detailliertes Ernährungs- und Befindlichkeitstagebuch zu führen, in dem er dezidiert festhielt, was er zu welchen Zeiten zu sich nahm und wie er sich im Laufe des Tages fühlte. Der Patient, selbst Mathematiker, hat dann selbstständig die Konzentrationen in den Nahrungsmitteln ermittelt und mit seinem Befinden korreliert. Dabei zeigte sich, dass die Symptome immer dann verstärkt auftraten, wenn er besonders viel Kalium zu sich nahm.