Jeder Mensch stirbt

Dieser Allgemeinplatz bekommt im Fall einer chronischen, lebenslimitierenden Erkrankung plötzlich eine sehr viel persönlichere Bedeutung.

Dr. Matthias Gockel, Internist und Palliativmediziner. Er ist Autor der  Bücher „Sterben. Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen“ (Berlin Verlag) und „Sterbehilfe. 33 Fragen - 33 Antworten“ (Piper Verlag).
Dr. Matthias Gockel, Internist und Palliativmediziner. Er ist Autor der Bücher „Sterben. Warum wir einen neuen Umgang mit dem Tod brauchen“ (Berlin Verlag) und „Sterbehilfe. 33 Fragen - 33 Antworten“ (Piper Verlag).
Dr. Matthias Gockel Redaktion

Die Chance, zu einem sehr späten Zeitpunkt im Leben, vielleicht sogar friedlich im Schlaf  zu sterben, wird im Fall einer chronischen, lebenslimitierenden Erkrankung auf einmal deutlich geringer. Viele Erkrankungen verkürzen die Lebenserwartung und führen im späteren Verlauf zu Beschwerden durch zunehmende Einschränkung von Organfunktionen. Einschränkungen in der körperlichen Leistungsfähigkeit, sozialen Rollen, der Verlust von Plänen und Träumen kommen als zusätzliche Belastungen hinzu.

Die moderne Medizin hat einige Krankheiten heilbar gemacht, bei vielen anderen jedoch „nur“ die Lebenszeit mit der Erkrankung verlängert, dies ist zweifelsohne ein Erfolg,  aber nicht das einzige, was unser Leben ausmacht.

Die grundsätzliche Frage, wie und wo man sterben möchte, was für Einschränkungen man bereit ist zu akzeptieren, damit der Zeitpunkt möglichst weit in der Zukunft liegt, ist eine Frage, die sich grundsätzlich jeder Mensch stellen sollte, will er diese Entscheidung nicht anderen überlassen. Diese Fragen sollte man idealerweise mit anderen, nahestehenden Menschen besprechen, denn nur so ist gewährleistet, dass diese Menschen auch davon wissen, wenn man selber zu schwach ist, ihnen mitzuteilen was wichtig ist.

Illustration: Stephanie Kolkmann
Illustration: Stephanie Kolkmann

Im Falle von schweren chronischen Erkrankungen stellt sie sich nochmal dringender, da es hier oft zu Krisen und Verschlechterungen kommt, die nur durch eine medizinische Behandlung gebessert oder auch nur überstanden werden. Dies hat aber zur Folge, dass im Verlauf von schweren Erkrankungen es zu der einen letzten, tödlichen Verschlechterung kommt, die dann oft in einem Krankenhaus stattfindet, entscheidet man sich nicht aktiv dagegen. Es ist ein Abwägen zwischen der Chance, doch „noch einmal davonzukommen“ und dem Risiko, an einem Ort zu sterben, der nicht der gewünschte ist.

Entscheidet man sich gegen ein Krankenhaus, stellt sich die Frage, wie die Beschwerden am Lebensende mit einer schweren Erkrankung trotzdem gut gelindert werden können.
Dies ist Aufgabe der Palliativmedizin oder eher der Palliativversorgung, da es im Idealfall nicht nur Ärzte, sondern ein multiprofessionelles Team aus Ärzten, Pflegekräften und anderen Berufen ist, die die Aufgabe der Weltgesundheitsorganisation, die „Behandlung von Schmerzen sowie anderen Problemen körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art“, bestmöglich versuchen, zu erfüllen.

Oft wird die Palliativmedizin als eine Betreuung in der letzten Lebensphase unmittelbar vor dem Tod gesehen. Aber auch wenn sie hier sicher viel Kompetenz und Erfahrung hat, beginnen die wichtigen Fragen und Entscheidungen, die unmittelbar Einfluss und Auswirkung auf die eigene Lebensqualität haben, schon lange vorher.

Zu wissen, wo man in der eigenen Umgebung diese Hilfe findet, sei es in Form von ambulanten Palliativteams, Hospizvereinen, Palliativstationen und Hospizen, kann Sicherheit geben. Und es ermöglicht in den jeweiligen Krankheitsphasen, die ja immer auch Lebensphasen sind, bestmögliche Unterstützung, Rat und Hilfe zu bekommen. Aber es erfordert den Mut, sich diesen Fragen zu stellen, bevor der Tod vor der Tür steht. Aber es lohnt.

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