»Die Haut ist unsere Marke, die wir nach außen tragen.«

Akne, Neurodermitis, Nesselsucht oder Schuppenflechte – das sind die vier häufigsten chronischen Hautkrankheiten. Betroffene leiden nicht nur körperlich, sondern oft auch seelisch unter der jeweiligen Erkrankung.
PROF. DR. MED. UWE GIELER ist seit mehr als 40 Jahren Hautarzt und Psychotherapeut. Als Chefarzt leitet er die Vitos Klinik für Psychosomatik in Gießen.
PROF. DR. MED. UWE GIELER ist seit mehr als 40 Jahren Hautarzt und Psychotherapeut. Als Chefarzt leitet er die Vitos Klinik für Psychosomatik in Gießen.
Interview: Iuna Mihu Redaktion

Moderne Behandlungsansätze gehen weit über die Hautpflege hinaus, auch die mentale Gesundheit ist ein wichtiger Faktor. Einer, der die Sorgen und Nöte von Patienten mit chronischen Hautkrankheiten nur zu gut kennt, ist Prof. Dr. Uwe Gieler. Der Chefarzt der Vitos Klinik für Psychosomatik in Gießen ist seit mehr als 40 Jahren Hautarzt und Psychotherapeut. Im Interview erklärt er, wie die Psyche mit der Haut in Verbindung steht.

 

PROF. DR. MED. UWE GIELER ist seit mehr als 40 Jahren Hautarzt und Psychotherapeut. Als Chefarzt leitet er die Vitos Klinik für Psychosomatik in Gießen. Außerdem leitet er eine Psychodermatologie-Sprechstunde in der Universitäts-Hautklinik Gießen. Er ist zudem Ehrenpräsident der European
Society of Dermatology and Psychiatry und einer der deutschlandweit führenden Experten für Psychosomatik der Haut. Er hat zahlreiche Fachpublikationen sowie auch Sachbücher veröffentlicht.

 

Herr Professor Gieler, wie genau sind Haut und Psyche miteinander verbunden?
Bereits in der embryonalen Phase gibt es eine enge Verbindung zwischen Gehirn und Haut. Denn beide Organe stammen aus demselben Keimblatt, dem sogenannten Ektoderm. Gehirn und Haut sind über sehr viele Nervenbahnen miteinander verbunden. Über Nervenbotenstoffe werden dabei Signale in beide Richtungen übertragen. Die Haut und das Gehirn kommunizieren. Ein Beispiel: Hat sich eine Stechmücke auf die Haut gesetzt, wird das vom Gehirn gemeldet, damit wir zuschlagen und die Mücke vertreiben können. Das Gehirn meldet aber nicht nur äußere Einflüsse, auch emotionale Spannungen, Stress und andere Faktoren, die die Psyche belasten, werden an die Haut, das größte Organ des menschlichen Körpers, übermittelt. Die Haut „antwortet“ dann. Das konnten wir bei Neurodermitis-Patienten deutlich zeigen. Während einer Stresssituation werden bei Menschen mit Neurodermitis bestimmte Neuropeptide (Nervenbotenstoffe) aktiviert. Dadurch verstärkt sich der Juckreiz und die Betroffenen kratzen sich mehr. Die sehr komplexe Hautkrankheit ist Forschungsgegenstand der Psychoimmunologie, ein Forschungsgebiet, das die Wechselwirkung zwischen Immunsystem, Nervensystem und Psyche untersucht.

Seit wann forschen Sie an der Wechselbeziehung von Haut und Psyche?
Als ich vor rund 35 Jahren mit meiner Forschung anfing, wurde das sehr verlacht. Das hat mich motiviert, mit Laborforschern zusammenzuarbeiten, um die Verbindung zwischen Psyche und Haut zu beweisen. Heute wissen wir aus mehreren Studien, Haut- und Bluttests, dass Stress tatsächlich in der Haut ankommt und dort Transformationen hervorruft. Ich bin Kliniker, in erster Linie will ich den Menschen helfen, mit ihrer Krankheit besser fertigzuwerden.

Und was bedeutet das für die Patienten, die zu Ihnen kommen?
Dass ich sie zuerst einmal ernst nehme. Wichtig ist, den Menschen zu glauben. Damit beginnt die eigentliche Arbeit: Welche Maßnahmen sind sinnvoll? Welche Hautpflege? Braucht der Patient vielleicht eine spezielle Neurodermitis-Schulung? Wenn bereits depressive Verstimmungen da sind, Stigmatisierungsgefühle, soziale Ängste oder sozialer Rückzug, weil man seine Haut nicht zeigen möchte, beginnt auch die psychotherapeutische Arbeit, die wir hier an der Klinik dann ambulant oder stationär durchführen.

Ein ganzheitlicher Ansatz, der aber kein Standard in den meisten Hautarztpraxen ist.
Etwa fünf Prozent aller Hautärzte haben eine Qualifikation für die psychosomatische Grundversorgung. Ich denke, dass heute auch jeder Hautarzt akzeptiert, wenn ein Patient kommt und sagt: „Ich habe eine Stresssituation, die meine Haut verschlechtert.“ Die Realität in den Hautarztpraxen sieht aber leider so aus: Die Hautärztinnen und -ärzte sind gezwungen, zwischen 80 und 100 Patienten am Tag zu behandeln – da bleibt nicht viel Zeit für ein Gespräch. Nun bin ich zum Glück nicht alleine auf dem Gebiet. Wir haben in Deutschland einen Arbeitskreis für Psychosomatische Dermatologie, sodass eine ganze Reihe von Medizinern und Medizinerinnen daran forschen. Es gibt in Deutschland noch weitere spezialisierte Kliniken, die ganzheitliche Behandlungskonzepte in einer stationären Behandlung anbieten. Neben Gießen auch in Hersbruck bei Nürnberg, Stuttgart und Berlin.

Was ist für Betroffene am schlimmsten?
Die Stigmatisierung, weil die Haut sichtbar und fühlbar ist. Sie ist quasi unsere Marke, die wir nach außen tragen.

Und wie äußert sich die Stigmatisierung?
Wir unterscheiden dabei zwischen einer realen und einer antizipierten Stigmatisierung. Die reale Stigmatisierung kommt zum Beispiel bei Menschen mit Schuppenflechte sehr häufig vor. Betroffene werden direkt auf ihre Hautkrankheit angesprochen, werden gefragt: „Ist das ansteckend?“ Oder erfahren Aussagen wie: „Das ist eklig.“ Das erleben leider sehr viele. Bei der antizipierten, also gefühlten, Stigmatisierung denken Betroffene, dass sie abgelehnt werden, obwohl das in dem Moment nicht der Fall ist, weil sie etwa einen Hautausschlag am Knie oder Ellbogen haben. Die Stigmatisierung führt meistens dazu, dass auch psychische Probleme entstehen, zum Beispiel sozialer Rückzug, traurige Verstimmungen oder depressive Zustände.

Ist dies auch bei Hauterkrankungen wie Akne zu beobachten?
Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der tatsächlichen und der gefühlten Schwere der Akne. Wir haben beobachtet, dass etwa junge Frauen mit eher leichten Akne-Reaktionen, die gut behandelbar sind, darunter teilweise so sehr leiden, dass sie suizidal werden. Umgekehrt gibt es schwere Akne-Formen bei Männern, die sich aber nichts daraus machen. Bei anderen Hauterkrankungen wie Schuppenflechte und Neurodermitis hingegen gibt es diese Korrelation. Also, je schwerer die Hauterkrankung, desto mehr psychische Probleme treten auf – Depressionen und Ängste sind bei circa jedem vierten Patienten häufige Begleiterscheinungen dieser Krankheiten.

Das dürfte die Lebensqualität vieler Betroffener deutlich einschränken.
Ja. Daher interessiert uns bei der Behandlung dieser Krankheiten auch, ob der Patient einsam ist und inwieweit die Sexualität eingeschränkt ist. Letzteres kommt oft vor, wenn etwa der Partner oder die Partnerin im Genitalbereich Hautveränderungen hat. Dann ist das für viele hemmend und führt in der Regel zu Problemen.

Das sind natürlich auch Dinge, die man nicht gerne erzählt.
Das stimmt. Betroffene empfinden sehr oft Scham und Ekel – typische Empfindungen für chronische Hautkrankheiten. Ein Patient, der seit Kurzem bei mir in Behandlung ist, hat im Genitalbereich einen Juckreiz. Erst wollte er mir das nicht zeigen, weil ihm das sehr unangenehm war. Dann kam heraus, dass er als kleiner Junge in diesem Bereich wegen einer Verengung der Vorhaut (Phimose) ständig angefasst wurde, was deutlich missbräuchlichen Charakter hatte. Diesem Patienten kann geholfen werden, indem man psychotherapeutisch arbeitet und parallel dazu den Juckreiz behandelt. Die Devise in der Psychotherapie lautet ja: Sprechen hilft. Wir möchten das Unbewusste greifbarer und verständlicher machen, damit die eigene innere Ablehnung weniger wird – und damit auch die Beschwerden an der Haut.

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