Das Buch „Die gereizte Frau“ ist mittlerweile drei Jahre alt. Wird heute offener über Wechseljahre gesprochen?
Ja, absolut. Der Anstoß für die neue „Meno-Welle“ hierzulande stammt von Sheila de Liz, die mit ihrem Buch „Woman on Fire“ eine Debatte angestoßen hat. Mein Ansatz war einerseits, meine persönliche Geschichte zu erzählen und zugleich klarzumachen: Wechseljahre sind nicht nur Privatsache. Sie sind ein gesellschaftspolitisches Thema.
Warum waren die Wechseljahre so lange ein Tabu?
Weil der Wert einer Frau jahrhundertelang an ihrer Fruchtbarkeit gemessen wurde. Wer nicht mehr gebären konnte, galt als wertlos. Dazu kommt: Die Medizin hat zu wenig geforscht. Erst die WHI-Studie aus den USA von 2002 sorgte für Aufsehen: Sie besagte, dass eine Hormonersatztherapie grundsätzlich das Brustkrebsrisiko erhöht. Später revidierten die Forschenden die Studie selbst. Das Medikament ist seit Jahren nicht mehr in Deutschland erhältlich. Aber der Fall zeigt, dass Vorurteile bestehen bleiben.
Welche Mythen nerven besonders?
Ganz vorne: „Solange du noch blutest, bist du nicht in den Wechseljahren.“ Das ist Quatsch! Symptome der Perimenopause können durchaus ab 35 Jahren auftreten. Ab 35 fällt der Progesteron-Spiegel. Das kann Schlafprobleme, Erschöpfung, Migräne, Herzstolpern oder Stimmungsschwankungen auslösen. Hitzewallungen kommen oft erst später – durch einen Östrogenmangel.
Es gibt also immer noch zu wenig Aufklärung?
Definitiv. Dabei ist es kein individuelles Versagen, dass Frauen nicht ausreichend aufgeklärt sind. In keinem Schulbuch stehen die Wechseljahre, Ärztinnen und Ärzte sind kaum ausgebildet, Beratungen nicht abrechenbar. Das ist strukturelle Diskriminierung. Deshalb sage ich: Wechseljahre müssen raus aus der Selbsthilfe-Ecke, rein in den gesellschaftlichen Diskurs.
Welche Konsequenzen hat die mangelnde Information?
Die Folgen sind gravierend: Rund zehn Prozent der über 50-Jährigen und 20 Prozent der über 55-Jährigen gehen in Deutschland laut einer Studie wegen unbehandelter Beschwerden früher in Rente. Viele Frauen glauben, dass sie sich Herzstolpern, Schlafprobleme oder auch mentale Verstimmungen wie Angst und Wut nur einbilden, wenn Ärzte keine Erklärung finden.
Du hast mit anderen Frauen politisch Druck gemacht. Was ist daraus geworden?
Gemeinsam mit Sheila de Liz und etwa 30 anderen Ärztinnen, Apothekerinnen und Influencerinnen haben wir die Initiative #wirsind9millionen gegründet. Gemeinsam mit den Unionsparteien haben wir parlamentarische Abende im Bundestag organisiert. Das Ergebnis: Im aktuellen Koalitionsvertrag taucht das Thema Frauengesundheit auf – im Zusammenhang mit Endometriose, Lipödem und eben den Wechseljahren. Ich arbeite gerade an einem Policy Paper, das 2026 veröffentlicht wird.
Haben die Wechseljahre eigentlich auch positive Seiten?
Aber ja! Viele Frauen fühlen sich selbstbewusster, weniger verpflichtet, allen zu gefallen. Mit sinkendem Östrogen, dem „Kümmerhormon“, haben wir weniger das Gefühl, für andere da sein zu müssen. Es bleibt mehr Kapazität für uns selbst. Manche Frauen entdecken ihr Sexleben neu, weil sie nicht mehr über Verhütung oder Schwangerschaft nachdenken müssen. Es geht nun um Lust. Das ist ein ganz neues Gefühl von Freiheit. Ich nenne es: Coming-of-Middle-Age!
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