Typ-1-Diabetes: Früherkennung ist entscheidend

Vom Typ-1-Diabetes sind nicht nur Kinder betroffen. Fakt ist: Je früher die Erkrankung diagnostiziert wird, desto besser kann sie behandelt werden. Ein Gespräch zu neuen Möglichkeiten der Früherkennung

Prof. Dr. med. Peter Achenbach, stellvertretender Direktor des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München
Prof. Dr. med. Peter Achenbach, stellvertretender Direktor des Instituts für Diabetesforschung am Helmholtz Zentrum München
Sanofi Beitrag

Herr Prof. Achenbach, für viele Menschen ist Diabetes gleich Diabetes. Doch warum unterscheidet die Medizin zwischen Diabetes Typ 1 und Typ 2?

In beiden Fällen handelt es sich um Stoffwechselstörungen – vereinfacht gesagt, kann der Körper durch die Nahrung aufgenommenen Zucker wegen eines Insulinmangels oder einer Insulinresistenz nicht verarbeiten. Insulin ist ein Hormon, das Zellen dazu anregt, Zucker aus dem Blut aufzunehmen. Ist dieser Mechanismus gestört, kommt es zu einer Überzuckerung. Der Diabetes Typ 2, der häufig auch als „Altersdiabetes“ bezeichnet wird, kann unter anderem aufgrund des Ernährungsverhaltens entstehen – wer an Übergewicht leidet, hat ein deutliches höheres Risiko. 
 

Und der Typ-1-Diabetes?

Noch immer wird daran geforscht, wie es überhaupt zur Entstehung der Erkrankung kommt. Fakt ist:  Immer mehr Menschen erkranken weltweit an Typ-1-Diabetes, einer progressiven und nicht heilbaren Stoffwechselerkrankung. Vor allem während der Corona-Pandemie ist die Zahl enorm angestiegen. Genau genommen handelt es sich zunächst um eine Autoimmunerkrankung: Betroffene tragen sogenannte Inselautoantikörper in sich, sowie auch spezielle T-Zellen, die „Kämpfer“ des Immunsystems, die fälschlicherweise die insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse angreifen und nach und nach zerstören. Erst dann kommt es zur Stoffwechselstörung. Auch wenn glücklicherweise in der Regel in Deutschland niemand mehr bei der klinischen Manifestation des Typ-1-Diabetes stirbt, müssen Betroffene aber, wenn die Funktion der Betazellen nicht mehr ausreichend ist, lebenslang externes Insulin zuführen. 
 

Warum ist die Früherkennung eines Typ-1-Diabetes so wichtig?

Die Diagnose Typ-1-Diabetes erfolgt oft erst, wenn es bereits zu lebensbedrohlichen Komplikationen gekommen ist. Dabei kann man mit einem einfachen Bluttest schon das Vorliegen der Autoimmunerkrankung feststellen. Denn je früher die Erkrankung erkannt wird, desto besser! Wenn Autoantikörper im Blut nachgewiesen werden, kann man die Betroffenen schulen, damit Diabetes­symptome erkannt werden, und regelmäßig den Blutzuckerspiegel kontrollieren. Studien zeigen, dass bei rechtzeitiger Früherkennung und Behandlung die Ketoazidose-Rate drastisch sinkt und die Funktion der noch verbleibenden Betazellen verbessert wird. Der Einstieg in die Insulintherapie erfolgt dann zum richtigen Zeitpunkt. 
 

Richtig verstanden verläuft die Erkrankung also in Stadien?

Die Medizin unterscheidet verschiedene Frühstadien des Autoimmunprozesses bei Typ-1 Diabetes:  Im Frühstadium 1 finden sich im Blut Antikörper, die sich gegen die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse richten. Um das nachzuweisen, wird das Blut auf sogenannte Inselautoantikörper hin untersucht. Im Stadium 2 weisen die Betroffenen bereits erhöhte Blutzuckerwerte auf, die aber noch nicht zu Diabetessymptomen führen. Und beim Stadium 3 sprechen wir von einem klinisch manifestierten Typ-1-Diabetes. Der Blutzucker ist ohne Behandlung dauerhaft zu hoch, und es treten die oben erwähnten Symptome auf. Eine Studie mit schwedischen Daten zeigt, dass Menschen, bei denen sich ein Typ-1-Diabetes vor dem zehnten Lebensjahr manifestiert, eine um 16 Jahre geringere Lebenserwartung haben.
 

Was bedeutet dieses frühe Wissen von der Erkrankung für die Betroffenen? 

Natürlich müssen die Betroffenen fachgerecht im Arzt-Gespräch aufgefangen werden, sobald es die Diagnose im Frühstadium gibt. Denn neben der medizinischen Komponente gibt es auch eine soziale: Zu wissen, dass die Erkrankung schon im Frühstadium da ist, ermöglicht Familien und Betroffenen eine bessere Planung und Vorbereitung. Dadurch ist die psychische Belastung für die Betroffenen, aber auch für deren Familien, bei Auftreten der Stoffwechselstörung deutlich niedriger – sie können sich besser darauf vorbereiten und den Umgang mit der Erkrankung üben. Viele Menschen haben uns das bereits bestätigt. 
 

Was sind die Ursachen für einen Typ-1-Diabetes? Wird die Krankheit vererbt?

Das ist noch nicht zu 100% geklärt. Eine genetische Veranlagung spielt auf jeden Fall eine Rolle. Fakt ist: Ein Typ-1-Diabetes in der nahen Familie erhöht das individuelle Erkrankungsrisiko um etwa 10 bis 15-fach. Aber: Fast 90 Prozent der Menschen, die an Typ-1-Diabetes erkranken, haben keinen nahen Verwandten, der ebenfalls erkrankt ist – es kann also prinzipiell jeden treffen. Studiendaten geben Hinweise darauf, dass frühkindliche Virusinfektionen das Auftreten von Typ-1-Diabetes begünstigen könnten. 
 

Wäre es nicht sinnvoll, alle Kinder so früh wie möglich auf einen Typ-1-Diabetes zu testen?

Absolut. In großen Studien führt man diese Testung bereits seit über 20 Jahren durch, und in Italien wurde gerade erst letztes Jahr ein Gesetz erlassen, dass alle Kinder und Jugendlichen im Rahmen der Regelversorgung gescreent werden können. In Bayern führt unser Institut seit dem Jahr 2015 die Fr1da-Studie durch. In Kooperation mit Kinderärzten wurden mittlerweile fast 200.000 Kinder im Alter von zwei bis zehn Jahren auf Inselautoantikörper getestet. Fr1da gibt es auch in Niedersachsen, Sachsen und Hamburg. Und bundesweit können sich alle Menschen unter 21 testen lassen, die einen Verwandten mit Typ-1-Diabetes haben. Der Bluttest ist kostenlos und erfolgt über den Kinderarzt im Rahmen der normalen Vorsorgeuntersuchungen. Die Betroffenen können dann fachgerecht geschult, nachuntersucht und rechtzeitig behandelt werden – mit allen positiven Folgen, die ich oben beschrieben habe. Wir plädieren deshalb dafür, dass die Untersuchung auf Inselautoantikörper bei Kindern zum Standard wird – damit könnte viel Leid vermieden werden.
 

Fakten zum Typ-1-Diabetes

Typ-1-Diabetes ist die häufigste Stoffwechselerkrankung im Kindes- und Jugendalter in Deutschland, – kann aber auch im Erwachsenenalter auftreten - etwa 1 von 250 Kindern und Jugendlichen ist betroffen, aber auch ungefähr genauso viele Erwachsene. Die Ursachen sind noch unklar, genetische Faktoren spielen aber eine geringe Rolle. Erkrankte tragen Autoimmunkörper in sich, die die Zellen der Bauchspeicheldrüse angreifen, welche Insulin produzieren. Über kurz oder lang kommt es so zum Diabetes. Symptome sind unter anderem starker Durst und vermehrtes Trinken, häufiges Wasserlassen, eine plötzliche Gewichtsabnahme oder Müdigkeit. Wer diese Symptome beobachtet, sollte umgehend den Blutzuckerspiegel kontrollieren lassen. Unbehandelt kann ein Typ-1-Diabetes zu einer sogenannten diabetischen Ketoazidose, einer Übersäuerung des Blutes, führen. Das ist eine Stoffwechselentgleisung, die im Extremfall tödlich ist. Aber auch Hospitalisierungen können zu kognitiven Langzeitschäden führen. Das Tückische ist, dass die Krankheit oft erst diagnostiziert wird, wenn Komplikationen auftreten. 

 

www.gemeinsam-typ1.de

K1DS ARE HEROES

Die K1DS ARE HEROES-Kampagne

Mit der Awareness-Kampagne K1DS ARE HEROES möchten Forschende die Öffentlichkeit für Typ-1-Diabetes sensibilisieren und über die Möglichkeiten zur Früherkennung und Prävention aufklären. K1DS ARE HEROES ist eine Initiative von der Globalen Plattform zur Prävention des Autoimmunen Diabetes (GPPAD), Helmholtz Munich, der Technischen Universität München, dem Klinikum rechts der Isar, dem Kinderkrankenhaus AUF DER BULT, und dem Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und dem CRTD der TU Dresden.

Mehr Infos unter: www.hero-k1ds.de

Nächster Artikel
Medizin
März 2024
Professor Jürgen Schäfer
Redaktion

»Teamarbeit ist extrem wichtig«

Professor Jürgen Schäfer hat vor einem Jahrzehnt das Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZusE) am Universitätsklinikum Gießen-Marburg ins Leben gerufen.