»Das war die Sensation«

Interview mit Prof. Angelika Eggert und Prof. Ulrich Keilholz
ASCO
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Interview: Mirko Heinemann Redaktion

Auf dem diesjährigen ASCO-Krebskongress in Chicago vorgestellte Studien belegen die Wirksamkeit neuer Ansätze in der Krebstherapie. Ein Interview mit den Onkologen Prof. Angelika Eggert und Prof. Ulrich Keilholz über Behandlungserfolge und aktuelle Erkenntnisse in der Krebsforschung.  

 

Herr Professor Keilholz, in der Immuntherapie brachte der diesjährige ASCO-Kongress spektakuläre Ergebnisse. Was wurde präsentiert? 

 

Keilholz: Über viele Jahre haben wir versucht, das Immunsystem so zu stimulieren, dass es eigenständig gegen die Krebszellen vorgeht. Das funktioniert nur bedingt. Das Immunsystem lässt sich nicht überstimulieren, sondern schaltet irgendwann ab. So genannte Checkpoints, die das Immunsystem steuern, begrenzen zum einen das Entstehen einer Immunität, und sie begrenzen auch die entstandene Immunität. Das hat seinen Grund. Sonst hätte jede überstandene Infektion eine schwere Autoimmun-Erkrankung zur Folge.  

 

Viele Krebszellen werden vom Immunsystem nicht erkannt, oder sie schalten es sogar selbstständig ab. Was kann man dagegen tun? 

 

Keilholz: Neuartige Medikamente, die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren, können auf das Immunsystem einwirken. Der erste entwickelte Checkpoint-Inhibitor, ein Antikörper, der jetzt beim Hautkrebs zugelassen ist, ist Ipilimumap. Dieser Antikörper setzt den Checkpoint außer Kraft, der das Entstehen einer Immunität verhindert. Aber dabei entstehen auch Immunreaktionen, etwa Entzündungen der Haut, des Darms oder der Lunge. Nun aber wurden neue Antikörper entwickelt. Sie erlauben, dass Immunität, die bereits da ist, sich auswirken kann. Und, das wichtigste: Diese Antikörper wirken bei einer Vielzahl von Tumorerkrankungen. Diese breite Wirksamkeit war die Sensation beim diesjährigen ASCO-Kongress. 

 

Voraussetzung ist aber, dass eine Immunität gegen die Krebszellen bereits entstanden ist?

 

Keilholz: Bei der Entstehung von Tumoren entsteht parallel eine Immunität, diese ist aber ineffektiv, weil die Ausführung der Immunität blockiert ist. Das war bekannt. Wenn man aber mit Hilfe der neuen Antikörper den Checkpoint blockiert, der diese Ausführung verhindert, entstehen wenige Autoimmunreaktionen, aber eine sehr starke Anti-Tumoraktivität. Diese Antikörper wirken in 20 bis 40 Prozent aller Tumorpatienten und dann sehr dauerhaft. Bei den vielen Patienten, bei denen in den Studien eine Remission der Tumoren erreicht worden ist, dauert sie bis heute an. 

 

Wie bewerten Sie diesen Erfolg?

 

Keilholz: Ich bin vor 30 Jahren genau deshalb in die Krebsforschung gegangen: um Immuntherapien und molekular gezielte Behandlungen zu entwickeln. Das war lange Zeit frustrierend, weil wir bei unseren Versuchen zwar immer ein bisschen erreicht haben, aber von einem Durchbruch stets weit entfernt waren. Das könnte sich jetzt ändern. Ich sehe die aktuelle Entwicklung mit großer Freude.  

 

Frau Professor Eggert, gibt es auf dem Feld der Kinderonkologie ebenfalls Anlass zu Optimismus? 

 

Eggert: Wie auch in der Erwachsenen-Onkologie verzeichnen wir bei der Immuntherapie große Erfolge im Bereich der Leukämien und der Lymphome mit neuartigen Antikörpern und genetisch veränderten T-Zellen, den so genannten CAR-T-Zellen. Bei unseren eigenen Patienten sehen wir Remissionen, konnten also den Krebs heilen, wo wir keine Hoffnung mehr gehabt haben. Das wäre noch vor fünf Jahren nicht möglich gewesen. Was jetzt ansteht ist, diese Erfolge auf das Feld der soliden Tumoren auszuweiten. Dort ist noch viel Forschungsarbeit notwendig. 

 

Welche Forschungsansätze gibt es speziell für Krebs bei Kindern?

 

Eggert: Wir haben in Deutschland gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ ein großes Konsortium unter dem Namen INFORM, das sich damit beschäftigt, alle rezidivierten Tumoren, also Tumoren, die bei Kindern nach einer Behandlung wiedergekommen sind, molekular präzise zu charakterisieren. Auf Basis dieser Ergebnisse wollen wir  Studien mit neuen molekular gezielten Medikamenten initiieren, um diese widerstandsfähigen Tumoren, die eine konventionelle Chemotherapie überlebt haben, mit zielgerichteten Therapien maßgeschneidert anzugehen. 

 

Die molekulare Charakterisierung gilt als wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von Krebstherapien. Wie weit ist die Forschung?

 

Keilholz: Wir benötigen mehr Erkenntnisse über die molekulare Alteration der jeweiligen Krebserkrankung, um noch gezielter einzelne Krebsarten behandeln zu können. Zum Beispiel kannten wir beim Kopf-Hals-Karzinom zwei verschiedene Typen. In Chicago wurden von einer Arbeitsgruppe der Charité vier neue molekulare Untertypen definiert. Beim Lungenkarzinom können wir mittlerweile ca. 25 unterschiedliche Typen unterscheiden. Bei Darmkrebs sind heute vier klinisch relevante Untergruppen unterscheidbar, neue Untergruppen kommen dazu. So kommen wir allmählich in die Lage zu verstehen, bei welchem Patienten eine molekular definierte Krebserkrankung für eine molekulare Therapie oder eine Immuntherapie sensibel ist. 

 

Welche Erkenntnisse brachte der Kongress in Chicago zu den gezielten molekularen Therapien? 

 

Keilholz: Viele Studien gab es zum Melanom, dem Schwarzen Hautkrebs. Hier wurden vor fünf, sechs Jahren die ersten molekular gezielten Therapien eingeführt. Diese haben eine sehr schnelle Wirksamkeit, die aber zeitlich begrenzt ist. Dann haben wir die Resistenzmechanismen erforscht und die zweite Generation von Medikamenten erprobt. Damit wurde die Wirksamkeitsdauer in etwa verdoppelt. Jetzt wird bereits die dritte Generation entwickelt - mit wiederum entsprechend gesteigerter Wirksamkeit.  Diese Entwicklung verläuft unglaublich schnell.

 

Wie wird sich die Krebstherapie in Zukunft verändern?

 

Keilholz: Wir können zusammenfassend sagen: Wo es möglich ist, wird die Resektion des Tumors, also die Operation, der Königsweg bleiben. Die Strahlentherapie wird auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Was sich verändern wird, ist die
Chemotherapie. Sie wird zunehmend von der zielgerichteten Molekulartherapie und der Immuntherapie ersetzt und ergänzt werden. 

 

Prof. Angelika Eggert; Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité Berlin. Präsidentin des Deutschen Krebskongresses DKK 2016. 

 

Prof. Ulrich Keilholz; kommissarischer Direktor des Charité Comprehensive Cancer Center (CCCC), Charité Berlin. Vizepräsident des DKK 2016.

 

DER ASCO-KREBSKONGRESS

 

Jedes Jahr im Juni findet der jährliche Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) in Chicago statt. Auf dem mit 30.000 Teilnehmern größten Krebskongress der Welt werden internationale, klinische Studien aus der Krebsforschung präsentiert, die direkte Auswirkungen auf die Behandlung von Krebspatienten haben. Die Berliner Charité als Deutschlands größte Universitätsklinik spielt dabei eine herausragende Rolle: In Chicago gab es ca. 50 Beiträge und zwei große Vorträge mit Charité-Beteiligung. 20 Prozent der Patienten an der Charité werden derzeit im Rahmen von Studien behandelt. 

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