Von einem Tag auf den anderen stand meine Welt still und drehte sich gleichzeitig in einem rasenden Tempo. Außer der jährlichen Krebsvorsorgeuntersuchung hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt keinen Gedanken an den Krebs verschwendet“, sagt Annette Holl, Mutter von drei Kindern, Lehrerin und Autorin – und mitten im Leben stehend. Wenn Betroffene so wie Holl auf den Seiten von Pink Ribbon, bei der Deutschen Krebshilfe oder auch der Krebsliga über den Augenblick ihrer Diagnose sprechen, dann wird schnell klar: Kaum eine Erkrankung löst so viele Ängste aus wie diese.
Das Risiko, zu erkranken, ist hoch. Jeder zweite Mensch in Deutschland muss im Laufe seines Lebens eine Krebsdiagnose verkraften, so der „Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland“ des Robert Koch Instituts. Allerdings werden die Prognosen durch neue Therapien bei vielen Krebsarten immer günstiger. Viele der Erkrankungen werden aufgrund der staatlichen Vorsorgeprogramme früh erkannt und sind in diesem Stadium oftmals gut behandelbar. Aber auch die Therapien werden immer besser. Vor allem die Immunonkologie und die Molekularbiologie tragen dazu bei, dass Krebs für immer mehr Betroffene zu einer Krankheit wird, mit der sie weiterleben können, bei zugleich hoher Lebensqualität.
Immuntherapien haben sich seit ihren Anfängen in den 1990er-Jahren neben Chemotherapie, Strahlentherapie und operativen Verfahren einen festen Platz in der Krebsbehandlung erobert. Erfolge gibt es vor allem bei schwarzem Hautkrebs, Nierenkrebs und nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom. Mit unterschiedlichen Methoden versuchen sie, die körpereigene Abwehr dazu zu bringen, Krebszellen zu bekämpfen. Denn im Prinzip kann das Immunsystem Zellen, die sich von gesunden Körperzellen unterscheiden, erkennen und entsprechend reagieren. Tumorzellen sind jedoch oft perfekt getarnt, verändern sich ständig und haben häufig sogar die Fähigkeit, die Immunreaktionen zu blockieren. Immuntherapien versuchen, die Überlebensmechanismen der Tumorzellen außer Kraft zu setzen und die körpereigene Abwehr für bestimmte Oberflächenmerkmale der Krebszellen zu sensibilisieren.
So funktioniert die Immuntherapie
Spezielle Medikamente, sogenannte „Immun-Checkpoint-Inhibitoren“, können als Antikörper die Blockierung der Immunzellen lösen, die durch die Krebszellen oft hervorgerufen wird. Sie lockern damit eine Bremse, die im gesunden Körper überschießende Reaktionen des Immunsystems verhindern soll. Der Deutschen Krebsforschungsgesellschaft zufolge gibt es unter anderem für Lungenkrebs, Blasenkrebs, Nierenzellkrebs, Darmkrebs, Magenkrebs, Speiseröhrenkrebs und das Hodgkin-Lymphom bereits zugelassene Checkpoint-Inhibitoren. Weitere Wirkstoffe werden erforscht und sollen nach und nach auf den Markt kommen.
Auf der Seite der Deutschen Krebshilfe erzählt eine Patientin namens Susanne ihre Geschichte und macht Krebspatienten und -patientinnen Mut. Nach ihrer Darmkrebsdiagnose und mehreren Chemotherapien gaben Ärzte der 28-Jährigen kaum noch eine Chance. Der Krebs sei zu aggressiv und zu nah an anderen Organen, um operieren zu können. Nach zwei Jahren Immuntherapie gibt es gute Nachrichten. „Meine Metastasen waren geschrumpft und auch die Tumormarker waren geringer als vor der Therapie“, berichtet Susanne. Sie reist nach Indonesien, wandert den Jakobsweg. Ihre Tumormarker bleiben im einstelligen Bereich.
Dass Immuntherapien gut wirken, bestätigt die aktuelle Studie eines italienischen Forschungsteams, in der die Forscher:innen Daten aus Studien zu über 18.000 Patienten und Patientinnen analysieren. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Betroffene, die eine Immuntherapie erhielten, ihre Lebensqualität als wesentlich besser einschätzten als Erkrankte mit anderen Krebstherapien. Immun-Checkpoint-Hemmer haben verhältnismäßig milde Nebenwirkungen. Reagiert das Immunsystem jedoch aufgrund der medikamentös gelockerten Bremse überschießend, müssen Patienten die Therapie manchmal abbrechen. Die Betroffenen leiden unter Fieber, Ausschlägen oder Entzündungen des Darms und der Nieren.
Hoffnung liegt auf denn neuen Impfstoffen
Zu den Immuntherapien zählen auch Impfungen mit Messenger Ribonucleic Acid (mRNA)-Impfstoffen, die in wenigen Jahren vielleicht schon eingesetzt werden können. Bekannt geworden sind die mRNA-Impfstoffe durch Corona, als Wirkstoff gegen SARS-Cov-19. Längst forschen das Mainzer Unternehmen Biontech (siehe auch Seite 3/Aktuelles) sowie die Konkurrenz von Moderna und Curevac an solchen Impfstoffen gegen Krebs. Geprüft wird die Wirksamkeit gerade in ersten Studien zur Therapie von Hautkrebs.
Die Hoffnung auf Behandlungserfolge in der Zukunft ist groß. Typisch für Krebszellen sind Antigene, bestimmte Proteine, die an ihrer Oberfläche gehäuft auftreten. Durch die Impfung wird das Immunsystem mit diesen Proteinen konfrontiert. Für das Vakzin werden die Krebszellen zunächst ganz genau untersucht. Es gilt, die Erbinformationen zu finden, die den Bauplan für die Eiweiße an ihre Oberfläche liefern. Diese Gene werden in Boten-RNA verpackt, über den Impfstoff verabreicht und dann vom Körper nachgebaut. Das Immunsystem lernt also über einen Umweg, die Eiweiße an der Oberfläche der Tumorzellen wahrzunehmen, um sie dann zu bekämpfen. Schon jetzt zeichnet sich ab: Impfungen schonen das Körpergewebe und haben deutlich weniger Nebenwirkungen als Strahlen- oder Chemotherapie.
CAR-T-Zell-Therapien
Seit 2017 sind CAR-T-Zell-Therapien als Medikation zugelassen. Sie eliminieren Zellen mit einer bestimmten Oberflächenstruktur. Leider können auch hier die Nebenwirkungen heftig sein, da die CAR-T-Zellen ständig aktiv sind und manchmal eine ganze Reihe unerwünschter Off-Tumor-Effekte erzeugen. Für die Therapie werden zunächst Immunzellen, sogenannte T-Zellen, aus dem Körper der Patienten entnommen und im Labor gentechnisch zu CAR-T-Zellen umgebaut. Das heißt, ihre Oberfläche wird mit einem chimärischen, also im Labor zusammengebauten, Antigenrezeptor (CAR) versehen, durch den sie Tumorzellen anhand ihrer spezifischen Oberfläche erkennen können. Die CAR-T-Zellen werden dann vermehrt und dem Patienten oder der Patientin nach einer vorbereitenden Chemotherapie über eine Infusion verabreicht. In der Praxis zeigten sich vor allem bei fortgeschrittenen Lymphomen und bei Blutkrebs Erfolge.