Generation Downager

Immer mehr Menschen empfinden die Lebensphase zwischen 50 und 80 als zweiten Aufbruch.
Illu Generation Downager
Illustration: Chiara Lanzieri by Marsha Heyer
Klaus Lüber Redaktion

Im Sommer 2015 war der italienische Musikproduzent Giorgio Moroder zu Gast bei Markus Lanz. Moroder ist inzwischen 75 und genießt Kultstatus in seiner Branche. In seinem Studio im München der 1970er Jahre bastelte er als einer der ersten an Synthesizer Disco-Musik, ging dann nach Hollywood und produzierte Soundtracks für mittlerweile legendäre Filme wie Top Gun, Scarface und Flashdance. Irgendwann hatte er genug vom Musikbusiness, zog sich in seine Villa in L.A. zurück, genoss die Ruhe und spielte Golf.


Inzwischen ist die Villa verkauft und zum Golfspielen kommt er kaum noch. Mit 75 Jahren ist Moroder ein weltweit gefragter DJ. Seit die französische Elektro-Band Daft Punkt 2013 einen Song mit ihm produzierte, kann er sich vor Anfragen kaum mehr retten. Er fühle sich inzwischen, so versicherte er bei Markus Lanz glaubhaft, wie Mitte 20. Schließlich sei es doch unglaublich belebend, auf einem Konzert von tausenden junger Menschen bejubelt zu werden. Einem der Songs auf seinem 2014 veröffentlichten Album habe er deshalb auch den programmatischen Titel „74 is the new 24“ gegeben.


Auch wenn es natürlich gewagt ist, die schillernde Biografie eines Weltstars als Beleg für einen gesellschaftlichen Trend anzuführen, muss  man doch sagen, dass Giorgio Moroder ziemlich genau dem Typus Mensch entspricht, der Journalisten, Wissenschaftler und Unternehmer gerade gleichermaßen fasziniert. Die Rede ist von einer neuen Generation älterer Menschen, wahlweise Best-, Silver-, Golden-, Third-, Mid- oder auch Downager genannt, die so wenig mit dem Klischee des tatterigen Rentners zu tun haben wie ein gefeierter 75-jähriger DJ mit einem kreuzworträtsellösenden Opa. Das etwas aparte Akronym GRAMPIES fasst die wichtigsten Eigenschaften noch einmal bündig zusammen: Growing-Retired-Active-Moneyed-People-In-an-Excellent-State.
 

»Die Erwerbstätigkeit älterer Menschen ist in den letzten Jahren erheblich angestiegen.«


Fragt man den Trendforscher Eike Wenzel nach seinem Lieblingsbegriff für diese sich angeblich gerade neu formierende Generation gesunder, glücklicher und kaufkräftiger Rentner, kann er mit den meisten Titeln nur wenig anfangen. Und bringt einen weiteren Begriff ins Spiel: Downaging. Einerseits, so Wenzel, werden wir biologisch gesehen immer älter. Gleichzeitig gebe es einen immer stärkeren Drang, uns dabei individuell immer jünger zu fühlen, also gewissermaßen „Downaging“ zu betreiben. Auch Wenzels Kollege Peter Wippermann von der Folkwang Universität Essen bestätigt gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Die Menschen fühlen sich zumeist zehn bis 15 Jahre jünger, als es im Personalausweis steht.“


Weitere Eigenschaften sammelt das Statistische Bundesamt in der 2015 veröffentlichten Studie „Die Generation 65+ in Deutschland“. Der typische deutsche Rentner sei demnach gesundheitlich fit und hätte Interesse daran, sich weiterzubilden, etwa an der Volkshochschule oder der Universität. Außerdem sei die Erwerbstätigkeit älterer Menschen in den letzten Jahren erheblich angestiegen. Bei den 60- bis 64-Jährigen, die sich im letzten Lebensabschnitt vor dem regulären Renteneintritt befanden, war 2014 mehr als die Hälfte (52 Prozent) erwerbstätig. Dieser Anteil hatte 2005 noch bei 28 Prozent gelegen. Bei den 65- bis 69-Jährigen gingen 2014 noch 14 Prozent zur Arbeit. 2005 waren es sechs Prozent.


Auch angesichts des demografischen Wandels, der laut aktueller Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft dazu führen wird, dass von gegenwärtig 6,7 Millionen Beschäftigten fast jeder dritte in den nächsten 15 Jahren in den Ruhestand gehen wird, erfährt das Rentenalter auch gesamtgesellschaftlich einen Imagewandel. Der Rentner, das ist nicht länger nur ein Kostenfaktor, der mit seinem Rentenanspruch eine immer weiter ausdünnende jüngere Generation belastet. Sondern ein Fortschrittsträger, der weit über das eigentliche Rentenalter noch wertschöpfend tätig ist. „Von einem Generationenkonflikt kann keine Rede mehr sein“, befand der Journalist Steffen Uhlmann im Dezember 2015 in einem Essay für die Süddeutsche Zeitung: „Die Erfahrung der Alten verbindet sich mit der Risikobereitschaft der Jugend und schafft damit einen bemerkenswerten Mehrwert für die gesamte Gesellschaft.“

Abgesehen davon ist die neue Generation agiler und kaufkräftiger Senioren auch ein großes Marktversprechen. Downaging, so Eike Wenzel, werde sich massiv auf den Gesundheitsmarkt auswirken. „Immer mehr Menschen denken proaktiv, wollen aktiv etwas für ihre Gesundheit tun, und sich nicht mehr damit begnügen, erst dann zu handeln, wenn man schon krank sind. Dafür sind sie bereit, sehr viel Geld zu investieren.“ Gesundheit, so Wenzel, werde mittlerweile als Ware konsumiert. „Zwischen 55-80 geben wir relativ frei verfügbares Geld gerne für Gesundheitsdienstleistungen aus, die einen hohen Wohlfühlfaktor haben und uns das Gefühl geben, dass wir länger und gesünder leben können.“

 

Dass es sich hierbei um eine durchaus lohnende Investition handelt, bestätigen zum Beispiel Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Demnach leiden 62 Prozent der 64- bis 69-Jährigen und 80 Prozent der 76- bis 81-Jährigen an Herz-Kreislaufbeschwerden, Muskelveränderungen, Diabetes, Stoffwechselerscheinungen sowie Demenz und Depressionen. Körperliche Bewegung wirkt all diesen Problemen nachweislich und nachhaltig entgegen. So werde nicht nur das Herz-Kreislauf-System gestärkt, sondern auch die Knochenstruktur, was unter anderem vor gefährlichen Stürzen und Brüchen schützt. Auch die Muskeln und Gelenke benötigten Bewegung, um den Menschen bis ins hohe Alter kraftvoll und beweglich zu halten. Laut BZgA empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO ein Mindestmaß von 2,5 Stunden Bewegung pro Woche. Doch nur nur 8 Prozent der 60-69-Jährigen und 4,6 Prozent der 70-79-Jährigen erreichen momentan dieses Pensum.


Vielleicht sollte Giorgio Moroder darüber nachdenken, doch ab und zu wieder auf den Golfplatz zu gehen. Er fühle sich zwar jung wie nie, erzählte er Markus Lanz. Aber der Rücken plage ihn manchmal schon sehr.

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