Die Crux mit der Pflege

Wenn Senioren zu Hause allein nicht mehr zurechtkommen, stehen Entscheidungen an: Ambulanter Pflegedienst? 24-Stunden-Betreuung? Pflegeheim?
Illustrationen: Franziska Schütz
Illustrationen: Franziska Schütz
Mirko Heinemann Redaktion


Und dann war die Entscheidung gefallen. „Wir können Mama und Papa in ihrem Haus nicht mehr allein lassen”, hatte die älteste Tochter festgestellt. Zwar gab es massiven Widerspruch der beiden Senioren. Aber was sollten sie sonst tun? Die Tochter lebte mit ihrem Mann und zwei Kindern in Köln, mehr als eine Stunde mit dem Auto entfernt und sie hatte einen Vollzeitjob. Öfter als einmal am Wochenende konnte sie die Betreuung nicht übernehmen. Ihr Bruder lebte in Süddeutschland. Und einen Alternativplan konnten die Eltern nicht vorlegen. Ihre gewohnte Umgebung wollten sie nicht verlassen. „Ins Heim? So weit sind wir noch nicht.”

 

Angefangen hatte es bei der Familie aus dem Sauerland mit der Krebserkrankung des Vaters. Prostata, zwar erfolgreich operiert, aber der Krebs hatte schon gestreut. Und dann hatte er die Knochen befallen. Irgendwann konnte der Vater nicht mehr laufen. Dazu kam eine Parkinson-Erkrankung, die langsam aber sicher immer heftiger wurde. Der Senior konnte kaum mehr stehen, seinen Tag verbrachte er im Rollstuhl. Seine Frau litt unter heftigen Alterserscheinungen. Jeder Schritt fiel ihr schwer. Dazu kamen Einkauf, Gartenarbeiten und der Hausputz. „Zu viel, zu viel”, hatte sie schon lange gejammert.

 

Somit war es klar: Die beiden Oldies, 81 und 84 Jahre alt, würden eine 24-Stunden-Haushaltshilfe zur Seite gestellt bekommen. Damit sind sie mitnichten Pioniere: Schon 150.000 Menschen, meist Frauen aus Osteuropa, arbeiten in deutschen Haushalten als Betreuerinnen älterer Menschen, schätzt der Caritasverband. Zugleich weiß er, dass ohne sie das deutsche Pflegesystem zusammenbrechen würde. Eine ausgebildete deutsche Pflegekraft für eine Rundumbetreuung ist derzeit kaum zu finden geschweige denn zu bezahlen. Und die Haushaltshilfen müssen auch nicht ausgebildete Pfleger sein, sondern bei den Alltagsbedürfnissen assistieren: auf die Toilette helfen, den Haushalt organisieren, einkaufen.

 

Aber wie findet man eine Haushaltshilfe? Und mit welchen Kosten muss man rechnen? Zu diesem Zweck haben sich Vermittlungsagenturen gegründet. Die wiederum arbeiten meist mit Pendants in den entsprechenden Herkunftsländern zusammen, etwa in Polen, der Ukraine, der Slowakei oder in den baltischen Ländern. Seriöse Ansprechpartner zu finden ist nicht ganz einfach. Man muss auf den Bekanntenkreis setzen. Gute Agenturen sprechen sich herum.

 

Die Senioren aus dem Sauerland hatten Glück: Freunde von Freunden hatten bereits gute Erfahrungen mit einem Vermittlungsdienst gemacht.

 

Dort lagen die monatlichen Pflegekosten zwischen 1.500 und 2.600 Euro brutto pro Monat, je nach Qualifikation der Haushaltshilfe. Faustregel bei diesen Beschäftigungsverhältnissen: Je besser die Deutschkenntnisse, desto besser die Bezahlung. Auch ein Führerschein, Kenntnisse im Kochen oder in der Gartenpflege wirken sich aus. Günstigere Kräfte gibt es auch, aber da schrammen die Arbeitsverhältnisse schon mal an der Legalität vorbei. „Wichtig war uns, dass unsere Haushaltshilfe sozialversichert ist”, beteuert die Tochter der Sauerländer.

 

Auf diesen Aspekt weist auch der Caritasverband hin. Häufig würden Haushaltshilfen nicht angemessen bezahlt und seien nicht sozial- und krankenversichert, so der Verband. Er weist darauf hin, dass die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden müssen. Dazu zählt, dass es sich bei der sogenannten 24-Stunden-Pflege nicht um eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung handeln darf. Rechtlich vorgeschrieben ist eine tägliche Höchst-
arbeitszeit von acht Stunden und die Einhaltung einer täglichen Mindestruhezeit von elf Stunden. Außerdem muss ein freier Tag pro Woche gewährleistet werden.

 

Um ihrem Senior dennoch eine professionelle pflegerische Betreuung zukommen zu lassen, etwa für Katheterkontrolle und Körperpflege, wollten die Sauerländer zusätzlich einen geschulten Pflegedienst engagieren. Der muss natürlich auch bezahlt werden. Ein qualifizierter Pflegedienst wird allerdings von der Pflegekasse als so genannte „Pflegesachleistung” angesehen und in einer Höhe von bis zu 1.995 Euro übernommen – bei höchster Pflegebedürftigkeit, das heißt „Pflegegrad 5”.

 

Dieser „Pflegegrad” – je nach Beeinträchtigungen von 1 bis 5 abgestuft – wird zuvor von der Pflegekasse festgestellt, die der zuständigen Krankenkasse angegliedert ist. Nach Antragstellung schickt die Pflegekasse der zu pflegenden Person einen Fragebogen zu. Anschließend kommt ein Gutachter zur Feststellung des Pflegegrades nach Hause. Solange die Corona-Pandemie noch nicht überwunden ist, führen viele Pflegekassen ersatzweise ein telefonisches Gespräch.

 

Zu beachten gilt: Die Pflegesachleistungen können in Geldleistungen umgewandelt werden, mit denen etwa Privatpersonen oder eben auch Haushaltshilfen bezahlt werden können. Dann verringert sich der Betrag aber um mehr als die Hälfte: Das Pflegegeld bei Pflegegrad 5 beträgt 901 Euro. Es wird an die zu pflegende Person ausbezahlt und ist nicht an Sachleistungen gebunden. Wird es mit Sachleistungen kombiniert,  sinkt der Betrag entsprechend.

 

Am Ende konnte die Familie aus dem Sauerland ein Mal täglich einen professionellen Pflegedienst kommen lassen und behielt dabei noch ein wenig Pflegegeld zurück, das sie in die Kosten für den Betreuer aus Polen einfließen ließ. Das wurde dann nämlich tatsächlich ein Mann – eine große Ausnahme unter den Haushaltshilfen. Auch Zuschüsse für eine neue Dusche haben sie von der Pflegekasse erhalten. Die gibt es bei pflegebedingten Umbauten im Wohnumfeld in Höhe von bis zu 4.000 Euro pro Maßnahme.

 

Privat muss die Familie nun Monat für Monat etwas mehr als 2000 Euro für die häusliche Pflege aufbringen. „Zum Glück hatte mein Vater in einem Industriebetrieb gearbeitet und bekommt eine gute Rente”, so die Tochter. Sonst wäre dieses Konstrukt nicht möglich. Wie lange es so weitergehen kann, darüber möchte sie nicht nachdenken. Ein Alters- oder Pflegeheim in der Umgebung wäre wohl die nächste Stufe. Aber es ist gar nicht so leicht, dort einen Platz zu bekommen. Die Heime sind derzeit völlig ausgebucht. In dieser Situation, findet sie, hilft nur noch die Besinnung auf eine alte Lebensweisheit: „Kommt Zeit, kommt Rat.”

 

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Oktober 2023
Symbolbild, © mauritius images / Cavan Images
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Eine Krebserkrankung bringt viele Sorgen mit sich – auch finanzieller Art. Rita S. hatte vorgesorgt und konnte sich so vollständig auf ihre Genesung konzentrieren.