Vom Krokodil zu den Kontrazeptiva

Die Verantwortung für Verhütung und Familienplanung wanderte im Lauf der Jahrhunderte von Frauen zu Männern und wieder zurück.
Kontrazeptiva
Kontrazeptiva
Moritz Kohl Redaktion

Die Antike war nicht gerade die verklemmteste Epoche. Mit Dionysios’ stummem Einverständnis feierten die Griechen rauschende Feste, im alten Rom gehörte die Sexualität noch zum öffentlichen Leben. Doch in der antiken Oberschicht war es nicht unbedingt erwünscht, viele Kinder zu haben – also wurde verhütet. Zäpfchen aus Krokodilkot, Olivenöl oder Weihrauch in der Scheide sollten Spermien abhalten. Die Griechen versuchten bereits, unfruchtbare Zeiten im Monatszyklus auszumachen. Und um 100 n. Chr. empfahl Soranus von Ephesus Frauen, nach dem Akt schlichtweg in die Hocke zu gehen und zu niesen.

 

Die Verantwortung für diese wenig zuverlässigen Methoden blieb meist bei den Frauen. Viele gefährdeten nach misslungener Verhütung mit Abtreibungsversuchen ihr Leben oder setzten das Kind nach der Geburt aus. Auch die Kindstötung galt nicht umsonst noch bis zu Zeiten von Goethes Faust als klassisch weibliche Tat. Im christlichen Mittelalter gehörte die Geburtenkontrolle nach dem Gebot der Kirche dann in Gottes Aufgabenbereich. Sex war nur zu Fortpflanzungszwecken erlaubt. Also fand er im Privaten statt. Natürlich versuchten die Menschen sich weiterhin an Verhütung, experimentierten mit Kräutern und hofften auf den Coitus Interruptus.

 

Ab dem 18. Jahrhundert erreichten erste Kondome aus Leinen und Schafsdarm die Massen, Männer aus der Oberschicht hatten sie schon früher
verwendet. Verhütung war beliebt: Im Bürgertum waren Familien mit wenigen Kindern en vogue, Bauern wollten ihr Erbe nicht auf zu viele Nachkommen verteilen. Familienplanung ist außerdem nicht erst seit dem 20. Jahrhunderts ein Thema. Männer sollten schon im Mittelalter wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, bevor sie heirateten und Kinder zeugten. Diesen Weg können heute auch Frauen wählen: erst die Karriere, dann das Kind. Firmen wie Apple und Facebook ermöglichen es ihren Mitarbeiterinnen dabei seit neuestem, per Social Freezing ihre biologische Uhr durch eine soziale zu ersetzen. Junge, gesunde Eizellen werden solange eingefroren, bis ein Kind in den Lebensplan passt.

 

Bis dahin verhüten viele Frauen selbst, seit die Antibabypille die Verhütung revolutionierte. Das Medikament manipuliert mit den Hormonen Gestagen und Östrogen den Monatszyklus und sorgt für vorübergehende Unfruchtbarkeit. In den 50er Jahren in den USA entwickelt, wurde die Pille ab 1961 von deutschen Gynäkologen verschrieben, zunächst nur für verheiratete Frauen, offiziell gegen Menstruationsbeschwerden. In den 70ern waren die moralischen Hürden genommen. Seitdem gilt die Pille als eine der sichersten Verhütungsmethoden. Einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2011 zufolge ist sie auch die beliebteste. 53 Prozent der verhütenden Deutschen nannten die Pille als erste Wahl. An zweiter Stelle folgte mit 37 Prozent das Kondom – heute meist aus Latex statt Gedärm.

»Das Kondom ist das zweitbeliebteste Verhütungsmittel.«

Daneben gibt es ein großes Repertoire an Kontrazeptiva, auf die Frauen zurückgreifen können – wie sicher sie jeweils sind, bewertet der sogenannte „Pearl-Index“. Ebenfalls hormonell wirken Hormonspiralen, Hormonstäbchen, Vaginalringe und Verhütungspflaster. Diese Mittel müssen rechtzeitig ausgewechselt werden und ständig im beziehungsweise am Körper bleiben. Die Hormone stehen auch im Ruf, häufig Nebenwirkungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auszulösen.

 

Ohne Hormone funktioniert die Kupferspirale. Sie kann bis zu fünf Jahre in der Gebärmutter bleiben, das Kupfer beeinflusst dort den Schleim. Ein Diaphragma wird vor dem Geschlechtsverkehr in die Scheide eingeführt. Es hält Spermien vom Eindringen ab und muss richtig sitzen, um Schutz zu bieten. Ebenso möglich ist es, mit Temperaturmessungen und genauer Kenntnis des eigenen Zyklus zu ermitteln, zu welchen Zeiten frau unfruchtbar ist. Hier helfen heute auch Apps und Computer. Die Methode funktioniert aber nur mit viel Disziplin und bei einem regelmäßigen Zyklus. Ist die Familienplanung abgeschlossen, bleibt sowohl Frauen als auch Männern eine unumkehrbare Lösung: die Sterilisation.

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