Im Unruhestand

Senioren werden immer gesünder, fitter und aktiver. So manche ent- decken im Rentenalter erst ihre wahre Bestimmung. Andere hören nicht auf, nach neuen Aufgaben zu suchen. Und wieder andere möchten weitergeben, was sie gelernt oder erfahren haben.
Illustrationen: Franziska Schütz
Illustrationen: Franziska Schütz
Gaby Herzog Redaktion

Gudrun Schreiber kommt viel herum. Zwei Mal in der Woche besucht die 68-Jährige eine Kita in Dortmund, um den Kindern dort etwas vorzulesen. An einem Nachmittag hilft sie, ein paar Kilometer weiter, in einer Schule in Bochum bei der Hausaufgabenbetreuung und begleitet dort die Fünft- und Sechstklässler bei ihren Hort-Ausflügen. „Wir waren zusammen Kanu fahren und in einem Hochseilgarten, wir haben ein Urban-Gardening-Projekt besucht und waren in der Kulturzeche Zollern“, zählt die Frau mit den kurzen, feuerrot gefärbten Haaren auf. Sie stöhnt kurz: „Beim Klettern musste ich mich aus einer zehn Meter hohen Buche abseilen. Mir wird jetzt noch ganz schwindelig, wenn ich daran denke. Hätten die Kinder mich nicht so lautstark angefeuert, dann hätte ich mich das wohl nie getraut. Jetzt bin ich unglaublich stolz auf mich.“

 

Als Gudrun Schreiber vor sechs Jahren in Rente ging, hat sie aktiv nach neuen Herausforderungen gesucht. „Mein Vater war für mich ein warnendes Beispiel. Als er aufhörte zu arbeiten, konnte man ihm dabei zusehen, wie er innerhalb weniger Monate ein alter Mann wurde. Irgendwann hat er nur noch Kreuzworträtsel gelöst und in einer abenteuerlichen Lautstärke ferngesehen.“ So sollte Schreibers Ruhestand nicht aussehen. Schon vor ihrem letzten Arbeitstag als kaufmännische Angestellte suchte sie sich ein Ehrenamt. „Mein erster Einsatz als Lese-Oma war in der Kita meines Enkels. Danach haben mich Freundinnen meiner Tochter angesprochen, ob ich nicht auch in die Schule kommen will. Und schon war ich mittendrin in meinem neuen Leben. Mit Ruhestand im klassischen Wortsinn hat das nichts zu tun.“

 

Fit und aktiv, so ist das neue Selbstverständnis vieler Senioren. Fast jeder fünfte Deutsche ist über 65, im Jahr 2060 wird es fast jeder Dritte sein. Die Werbung hat die Rentner längst entdeckt und spricht sie unter den Marketingbegriffen Silver- oder Best-Ager an. Längst werden ihnen nicht mehr nur Treppenlifte und Hörgeräte angepriesen, sondern Reisen nach Hawaii, teure Funktionskleidung und die neuesten Smartphone-Apps. Auch die Zahl der Seniorenstudenten nimmt immer weiter zu. Der Akademische Verein der Senioren in Deutschland schätzt sie auf rund 55.000, dazu kommen Angebote von Volkshochschulen und privaten Bildungseinrichtungen.

 

Nachbarschaftshilfe gegründet

 

Doch nicht immer gelingt der Übergang in den aktiven Ruhestand reibungslos. „Über die Jahre war unser Bekanntenkreis immer kleiner geworden“, sagt Jürgen Warps. „Viele Freunde sind schon gestorben. Also habe ich mich auf die Suche nach neuen Bekannten gemacht. Das war erst einmal nicht so leicht. Die Stadt ist zwar voll mit Rentnern, aber darunter Menschen zu finden, die so ticken wie man selber, das ist nicht so einfach“, erzählt er. Warps gründete die Nachbarschaftsinitiative „Kuno“ und bot ehrenamtlich gemeinsame Aktivitäten an. „Aber da fühlte ich mich oft ausgenutzt. Die Leute nehmen gerne, geben selber aber wenig zurück. Das war zum Teil enttäuschend.“

 

Trotzdem wollte der 72-Jährige nicht aufgeben. Er fing an, private Ausflugstipps auf seiner selbst gebastelten Homepage zu schreiben. Rund 2000 Menschen folgen ihm und seiner Frau Marianne mittlerweile auf „k50p.de“. „Dabei habe ich dann festgestellt, dass das Schreiben mir viel Spaß macht. Seit einiger Zeit arbeite ich als freier Mitarbeiter für die Seniorenausgabe der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung. Das ist eine Win-Win-Situation. Ich lerne etwas Neues, treffe tolle Leute und bekomme sogar dafür auch noch ein Honorar. Erst wollte ich das gar nicht annehmen, weil es mir nie darum ging. Aber jetzt sehe ich es als eine schöne Art der Anerkennung und investiere das Geld in Gemeinschaftsaktivitäten.“

 

Den Berufsalltag als Abteilungsleiter im Landesumweltamt hat Hartmut Kretschmer verlassen, trotzdem führt er sein Engagement für den Insektenschutz jetzt ehrenamtlich weiter. „Ich fände es schade, von heute auf morgen aufzuhören das zu tun, was ich richtig und wichtig finde. Aber jetzt habe ich die Freiheit, mich besonders um die Themen zu kümmern, die mich interessieren.“

 

Im Einsatz für bedrohte Insekten

 

Vor allem Schmetterlinge haben es dem 66-Jährigen angetan. Schon als kleiner Junge hat er die Raupen des Tagpfauenauges in Einmachgläsern gesammelt, gefüttert und dann in die Freiheit entlassen. Heute zieht Kretschmer mit Sonnenhut, Köcher und Notizbuch durch Brandenburg. Während seiner Sichtungs-Spaziergänge streift der promovierte Biologe auf genau vorgegebenen Routen über die Wiesen und zählt die Tagfalter entlang des Weges. „Diese Arbeit ist unglaublich wichtig. Wir wissen, dass die Zahl der fliegenden Insekten in den vergangenen 25 Jahren um 75 Prozent abgenommen hat. Da müssen wir was tun! Und nur durch regelmäßiges Zählen können wir beurteilen, ob die Schutzmaßnahmen, die wir getroffen haben, erfolgreich waren oder ob wir nach neuen Wegen suchen müssen. Weil dieses Transekt-Monitoring extrem zeitintensiv ist, sind die Naturschützer auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen. Und ältere Menschen haben oft mehr Zeit als jüngere. Außerdem ist es eine gute Möglichkeit, etwas Neues zu lernen.“

 

Elisabeth Reuschel und ihr Mann Norbert haben sich Bienen angeschafft. „Weil mein Vater Bienen hatte, wusste ich, dass dieses Hobby sehr viel Arbeit macht, für das man viel Zeit braucht“, erklärt die ehemalige Bankkauffrau. „Wir haben uns lange vorbereitet, viel gelesen und bei anderen Imkern Rat geholt, bevor wir uns die ersten Bienen in den Garten geholt haben.“ Heute kümmert sich das Ehepaar um 15 Völker, die an mehreren Standorten auf der Insel Rügen stehen und erntet bis zu 600 Kilogramm Honig im Jahr. „Ich habe das Gefühl, dass Elisabeth eher jünger als älter wird“, sagt  ihr Mann. „Wenn es um ihre Bienen geht, gibt es kein Halten mehr. Als in diesem Sommer eine junge Königin mit ihrer Anhängerschaft in den Birnbaum des Nachbarn geflogen ist, da war sie nicht mehr zu stoppen. Man kann gar nicht so schnell gucken und da klettert sie mit der langen Leiter auf das Scheunendach oder in den Baumwipfel, um ihre Lieblinge wieder nach Hause zu holen.“

 

„Ich bin selber überrascht, wie fit mich die Bienen halten“, sagt die mehrfache Großmutter und fischt eine in Not geratene Biene aus der Regentonne. „Ich bin viel an der frischen Luft und lerne ständig dazu und lade Kindergartenkinder zu uns ein, um ihnen einen Einblick in diese wunderbare Welt der Bienen zu geben. Mir ist klar, dass ich durch meinen Einsatz nicht die Welt retten werde. Aber es kann ja nicht schaden, irgendwann einmal damit anzufangen.“
 

Ältere Menschen sind Zeitzeugen

 

Auch Ruth Winkelmann hat eine Mission. Als Zeitzeugin will die heute 92-Jährige dazu beitragen, dass junge Menschen den Holocaust nicht vergessen und aus der Geschichte lernen können. Regelmäßig berichtet sie deswegen an Schulen und Universitäten aus ihrem bewegten Leben. Als Halbjüdin in Berlin geboren, verlor sie beinahe ihre gesamte Familie im Konzentrationslager. Winkelmann selbst musste sich über Jahre hinweg immer wieder in einem Schrebergarten verstecken und entkam mehrere Male nur knapp der Deportation. „Klar, es gibt viele Bücher und Filme, die das Thema gut erklären, aber durch ein persönliches Treffen mit einer Zeitzeugin, ist die Geschichte besonders eindrucksvoll greifbar. Die Bomben haben nicht irgendein Haus zerstört. Es war mein Haus. Und die Nazis haben nicht irgendeinen Mann in Auschwitz ermordet. Es war mein Vater“, sagt sie eindringlich.

 

Wie eine Hochbetagte sieht Ruth Winkelmann dabei nicht aus. Sie werde oft auf 75 geschätzt, sagt sie mit erstaunlich fester Stimme. „Man darf sich selber nicht zum alten Eisen legen. Aber nicht nur hier oben muss man beweglich bleiben“, sagt sie und tippt sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Dann steht sie auf. „Dienstags gehe ich ins Fitnessstudio, mittwochs mache ich Aqua-Fitness und gehe anschließend in die Sauna. Heute habe ich meinen Rückenfit-Kurs”, erklärt sie, um dann resolut das Gespräch zu beenden: „Tut mir leid, ich muss los.“

 

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