Die eigenen Stärken leben

Umfragen beweisen, dass viele ältere Menschen glücklicher und zufriedener sind als junge. Die Juristin und Coachin Dorothee B. Salchow ist Expertin für Positive Psychologie und attestiert älteren Menschen unter anderem existentiellen Mut und praktische Weisheit.

Dorothee B. Salchow ist Juristin, Mediatorin und Coachin, Zertifizierte Anwenderin und Trainerin für Positive Psychologie.
Dorothee B. Salchow ist Juristin, Mediatorin und Coachin, Zertifizierte Anwenderin und Trainerin für Positive Psychologie.
Interview: Andrea Hessler Beitrag

Frau Salchow, wie definiert die Positive Psychologie Glück und hilft sie auch älteren Menschen, es zu finden?

Die positive Psychologie definiert Glück in erster Linie als Wohlbefinden und Zufriedenheit. Grundlage ist, dass sie nicht defizitorientiert ist; es geht nicht um psychische Erkrankungen, sondern um die Stärken eines Menschen. Eines der bekanntesten Konzepte hierfür ist das PERMA-Modell des Psychologen Martin Seligmann. Es basiert auf fünf Säulen. Diese sind positive Emotionen, Engagement, also die eigenen Stärken leben, Relations, womit gute Beziehungen gemeint sind, sodann Meaning, das bedeutet, dass man im Leben und bei dem, was man tut, einen Sinn sieht. Und schließlich Achievement, dass man Ziele erreicht. Alte Menschen haben ein intuitives Wissen dafür, dass diese fünf Säulen wichtig sind.

Wie wirkt sich das auf ihr Leben aus?

Alte Menschen haben im Gegensatz zu jüngeren keinen so starken Drang mehr zu hedonistischem Glück, das in erster Linie nach Freude und Genuss strebt. Sie pflegen eher einen eudamonischen Lebensstil, der auf gute Taten, Altruismus und Tugendhaftigkeit ausgelegt ist und nach innerer Harmonie strebt. Zudem haben sie eine höhere Beziehungsorientierung und sie wollen etwas geben, hinterlassen. Je älter Menschen sind, desto stärker ist das ausgeprägt.

Kann man diese Entwicklung auch forcieren? Kommen auch Menschen zu Ihnen, um sich im fortgeschrittenen Alter bei ihrem Weg zu einem besseren, glücklicheren Selbst helfen zu lassen?

Auf jeden Fall. Manche Menschen tragen lange Probleme mit sich herum. Ein typisches Beispiel ist die Beziehung zu den Kindern. Die zu verbessern könnte im Rahmen eines Coaching-Prozesses als wichtigstes Ziel formuliert werden. Dann arbeiten wir Stärken des Coachees heraus, basierend auf dem Charakterstärken-Modell, das von Wissenschaftler:innen unter der Leitung von Martin Seligman und Christopher Petersen entwickelt wurde. Es definiert 24 kulturübergreifende wertvolle Stärken, die über einen langen Zeitraum hinweg als wichtig für einen guten Charakter erachtet wurden und sich als entscheidend für ein erfülltes, glückliches Leben gezeigt haben. Dazu zählen zum Beispiel Enthusiasmus, Freundlichkeit, Fairness und Sinn für das Schöne. Und wir arbeiten mit den Werten des Coachees.

Inwiefern stehen die Werte des Coaches in Zusammenhang mit seinem oder ihrem Lebensglück?

Das Leben in den eigenen Stärken fördert Wohlbefinden, Beziehungen und Sinnerleben. Nehmen wir das Beispiel mit der Beziehung zu den Kindern. Bei einer Coachee, einer älteren Dame, haben wir als wichtigen Wert „Liebe zum Lernen“ herausgearbeitet. Diesen Wert hat sie bisher in ihrer persönlichen Weiterbildung eingesetzt. Sie hat dann für sich formuliert, dass sie diese Stärke auch für die Beziehungen zu ihren Kindern einsetzen kann: indem sie sich über das weiterbildet, was in deren Leben wichtig ist. Etwa über Erziehung – die heute wohl anders läuft als früher. So hat sie einen für sich stimmigeren Zugang gefunden und das Verhältnis zu ihren Kindern verbessert. 

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