Katalysator für Veränderung

Kunst kann Visionen und Utopien aufzeigen. Aber welche Rolle spielen künstlerische Werke und der Kulturbetrieb beim Thema Nachhaltigkeit?
Ally Bisshop, Echoes & Nymphs, 2022. Aliens are temporary, Kunstraum Kreuzberg / Bethanien. Foto: Dani Hasrouni
Ally Bisshop, Echoes & Nymphs, 2022. Aliens are temporary, Kunstraum Kreuzberg / Bethanien. Foto: Dani Hasrouni
Lena Fließbach Redaktion

Aus Aluminium gegossene Blätter einer fleischfressenden Pflanze an silbernen Ketten breiten sich wie Fangeisen auf dem Boden aus; mundgeblasene Glas-
objekte werfen Lichtspiegelungen an die Wände. In der aktuellen Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien in Berlin treffen Steine, Samen und Erde auf Projektionen, Sound und künstliche Materialien. Abhängig von den subjektiven Assoziationen, Emotionen und dem Wissen der Betrachter:innen verbinden sich die Werke in der Ausstellung zu unterschiedlichen Erzählungen über das menschengemachte Zeitalter, neue Lebensentwürfe und Körper sowie über Verbindungen zwischen Mensch und Natur. „Bei ‚Aliens are temporary – eine mutierende Erzählung‘ geht es um (kosmische) Visionen und Imaginationen, aber auch um die Präsenz von Dingen und Wesen, die schon vor langer Zeit mit uns und über uns hinaus existierten. Es ist ein Projekt, das auch eine Erfahrung produzieren will“, sagen die Kuratorinnen der Ausstellung Sonia Fernández Pan, Sylvia Sadzinski und Anaïs Senli.

Kunst schafft Räume für Begegnungen und Debatten, das wird auch bei der Eröffnung an diesem Abend im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien deutlich. Hier können Menschen unterschiedlicher Meinung sein, diskutieren und sich austauschen. Es steht ihnen frei, sich auf die Werke einzulassen, individuelle Bedeutungen zu finden, ohne dass jemand etwas vorschreibt oder mit erhobenem Zeigefinger Zahlen und Fakten herunterrasselt. Hier können Visionen, Utopien und Inspirationen entstehen. „Kunst besitzt die Fähigkeit, den gewohnten Zugang zur Realität zu unterbrechen“, meinen die Kuratorinnen. „Wir denken, dass die Rolle der Vorstellungskraft in der heutigen Zeit sehr wichtig ist, da wir Lösungen finden müssen, die es vorher nicht gab.“

Dürren, Hitzewellen und Überschwemmungen machen deutlich, wie dringend der Lösungsbedarf ist. Und dass die Klimakrise kein Zukunftsgespinst, sondern längst da ist. Wie können wir die Verbindung zur Erde, zu nicht-menschlichen Wesen und zur Natur, die wir längst verloren haben, wiedergewinnen und ins Handeln kommen? Die Kunsthistorikerin und Co-Gründerin des Berlin Art Prize Alicia Reuter glaubt daran, dass Kunst in der Lage ist, wichtige ökologische Botschaften zu vermitteln. Sie müsse nur auf ein Publikum treffen, das bereit ist, die Botschaft aufzunehmen.

Vera Kox … into deliquescence, 2021 Aliens are temporary, Kunstraum Kreuzberg / Bethanien
Vera Kox … into deliquescence, 2021 Aliens are temporary, Kunstraum Kreuzberg / Bethanien
Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman. Serpent Rain, 2016, HD-Video, Sound, 30 min. Aliens are temporary, Kunstraum Kreuzberg / Bethanien
Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman. Serpent Rain, 2016, HD-Video, Sound, 30 min. Aliens are temporary, Kunstraum Kreuzberg / Bethanien

Als Beispiel nennt sie die Künstlerin Cecilia Vicuña, die bei der diesjährigen Venedig Biennale den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk erhielt. Die Dichterin und Künstlerin beschäftigt sich seit fast fünf Jahrzehnten mit Themen wie dem Zusammenbruch der Umwelt, der vom Menschen verursachten Zerstörung und dem Schwinden der Artenvielfalt. „Jetzt findet sie endlich ein aufgeschlossenes Publikum. Ich glaube nicht, dass das daran liegt, dass sich ihre Botschaft geändert hat. Ich glaube, es liegt daran, dass wir jetzt bereit sind, ihr zuzuhören.“ Kürzlich hat Alicia Reuter „Primal Green“ initiiert – eine Plattform für Berliner Künstler:innen und Kulturschaffende, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen wollen. Die ersten Vorträge und Panels haben bereits stattgefunden.

Lange wurden in der Kultur die Umweltprobleme bereits inhaltlich verhandelt. Aber die meisten Institutionen beginnen erst seit kurzem, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu hinterfragen. In vielen Museen stehen veraltete Strukturen der Transformation im Weg. Aber die ersten Schritte sind getan: Es werden Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppen in den Kultureinrichtungen gebildet und globale wie lokale Netzwerke ins Leben gerufen: Ki Culture bietet weltweit individuelles Coaching, Informationen und Workshops zum Thema Nachhaltigkeit für Kulturschaffende und Institutionen an und das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit ist eine Anlaufstelle für Betriebsökologie im Bereich Kultur und Medien.

Seit Anfang letzten Jahres haben sich auch in Berlin Galerist:innen und Kunstschaffende zusammengeschlossen und eine Untergruppe der zunächst in London initiierten Gallery Climate Coalition (GCC) gegründet. Auf der Berliner Unterseite geben sie Tipps und Informationen für den lokalen Kunstmarkt zu Themen wie Transport, Verpackungen, Energie oder ihrem CO2-Rechner. Am 6. Mai veranstalten sie einen Informationstag in Berlin mit Panels und Workshops. Teil der Berliner GCC Gruppe sind auch Franziska von Hasselbach von der Galerie Sprüth Magers und Carolin Leistenschneider von Haverkampf Leistenschneider. „Wie man unter anderem an Initiativen wie der GCC sieht, ist das Thema Nachhaltigkeit angekommen, wir können in jedem Fall aber noch mehr machen. Der Kunstmarkt allgemein ist sicher noch nicht so nachhaltig strukturiert, wie er sein könnte“, sagt Franziska von Hasselbach.

Im Hinblick auf Nachhaltigkeit kann eine Konsequenz sein, diese bei jedem Projekt von Anfang an mitzudenken, bewusste Entscheidungen zu treffen, individuelle Lösungen zu finden und vor allem sich auszutauschen und nachzufragen – denn auch Kunstinstitutionen sind Teil des Systems von endlosem Wachstum und Ressourcenverschwendung. Mit Blick auf den Hype um NFTs, die wie alle Blockchain-Technologien einen immensen Energieverbrauch haben, scheint es, als ob in puncto Ressourcenschonung vor allem die digitale Kunst in die falsche Richtung steuert. Zudem fühlen sich Akteur:innen des Kulturbetriebs machtlos und glauben, Kunst könne nicht viel ausrichten und die großen Hebel lägen woanders.

Vor diesem Hintergrund findet Carolin Leistenschneider die Rede von Booker Preisträger und Autor Ben Okri sehr bewegend, der bei der Londoner GCC Konferenz im November sagte: „Sie sind die Kunstwelt und Sie halten sich für einen kleinen Teil des größeren Problems, aber Sie sind ein extrem wichtiger Teil. Die Macht dessen, was Sie tun, ist symbolisch größer als Ihr Anteil an der Branche. Das liegt daran, dass Sie mit Visionen zu tun haben. Sie haben mit dem Image zu tun.“

Die Kunstwelt hat mit ihren gewaltigen Bildern, einzigartigen Erlebnissen und mitreißenden Erzählungen einen großen Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung – und kann damit ein Katalysator für Veränderungen sein und eine Vorreiterrolle einnehmen. Wichtig ist: Es geht nicht um Verzicht, sondern ein Umdenken und einen Transformationsprozess, der viel Freude bereiten kann. Gerade der Kulturbetrieb sollte sich nicht einschränken und etwa weniger Kunst produzieren, sondern sich den Möglichkeiten der Kunst bewusst werden.


Lena Fließbach
ist freie Kuratorin und Autorin für zeitgenössische Kunst sowie Expertin für Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb.

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