»Gemischte Teams entwickeln spannendere Produkte«

Wie kann Deutschlands Mittelstand noch erfinderischer werden? Lässt sich Kreativität trainieren? Solchen Fragen gehen die Psychologen Claus-Christian Carbon und Stefan Ortlieb nach. Im Interview erläutern sie, was kreative Unternehmen auszeichnet.
Illustration: Ivonne Schulze
Axel Novak Redaktion

Herr Professor Carbon, Herr Ortlieb, was ist eine Innovation?
Ortlieb: Wir definieren Innovation als eine bewusst herbeigeführte quantitative und qualitative Veränderung, die darauf abzielt, die Wettbewerbsfähigkeit einer Unternehmung zu erhalten oder zu steigern.
 

Und wer ist dafür verantwortlich?
Carbon: Innovation entsteht nicht durch eine Person, sondern in einem komplexen Zusammenspiel vieler Akteure. Die ganze Unternehmensstruktur muss entsprechend angepasst werden. Innovationen setzen ein Soziotop voraus, eine Führungskultur, die Freiräume schafft und Eigenverantwortlichkeit stärkt. Für Unternehmer bedeutet das häufig, dass sie nicht als Gönner auftreten sollen, sondern solche kreativen Prozesse eigenverantwortlich und wertschätzend gewähren lassen müssen.
Ortlieb: In unserem aktuellen Projekt arbeiten wir mit 15 Unternehmen aus der Region zusammen. Jedes davon ist eine Welt für sich, denn sie bedienen ganz unterschiedliche Sparten, Kunden und Absatzmärkte. Wir haben dabei festgestellt: Eine wichtige Quelle neuer Ideen kann sogar Traditionsbewusstsein sein, um sich im Wettbewerb positiv abzusetzen.
 

Tradition als Innovationstreiber – ist das nicht paradox?
Carbon: Manchmal ist sogar ein bewusster Innovationsverzicht zielführend: Als ganz Europa beim Darren des Braumalzes auf Heißlufttrocknung umgestellt hat, sind die kleinen Bamberger Brauereien dem traditionellen Verfahren treu geblieben und haben ihr Malz weiterhin über Holzrauch getrocknet. Heute ist das Rauchbier aus Oberfranken ein Exportschlager. Dieses Bier gab es auch früher schon. Nur haben sich die Brauer in den vergangenen Jahren wieder darauf stärker besonnen und festgestellt, dass es am Markt als regionales Produkt gut ankommt.
 

Was löst Innovationen aus? Wettbewerbsdruck?
Carbon: Eine unspezifische Bedrohung wie der Wettbewerbsdruck kann dazu führen, dass die Mitarbeiter die Hände in den Schoß legen und resig-
nieren. In einem Umfeld sehr innovativer Unternehmen aber können sehr spannende Prozesse ausgelöst werden: Innovatoren, die sich austauschen, Kunden, die Neues anfragen, Kompetitoren, die man als Sparring-Partner begreift. Um nun Innovationen entwickeln zu können, benötige ich als mittlerer Angestellter echte Freiräume, Microbudgets, um erste Ideen selbstständig anzugehen. Am Anfang muss man erst einmal auch einfach „spinnen“
können.

Ortlieb: Zum Beispiel haben wir in der Region das große Problem, dass viele KMU keine Fachkräfte mehr finden. Da dieses Problem viele Unternehmen aus der Region betrifft, kam ein Unternehmer aus unserem Teilnehmerkreis auf die Idee, ein Netzwerk zu bilden, das allen Vorteile bringt. Über dieses Netzwerk kann er Dinge anbieten, die ihn als Arbeitgeber attraktiver machen: eine Wohnung oder ein günstiges Grundstück, Kindergartenplätze für die Kinder oder ein interessantes Job-Angebot für den Partner vermitteln.


Was können die kleinen Unternehmen besser als große?
Carbon: Wenn man nach der Anzahl von Patenten geht, dann ist der Mittelstand in vielen Bereichen deutlich innovativer als die großen Unternehmen. Das liegt oft an der Fähigkeit, flexibel und schnell auf neue Situationen zu reagieren. In der Industrie ist vieles sehr stark reguliert und hierarchisiert. Es gibt Innovationsprozesse und entsprechende Einrichtungen. Im Mittelstand ist das anders: Da übernimmt jeder Mitarbeiter viele Aufgaben, für die er nicht unbedingt ausgebildet worden ist. Typische Standardmethoden für große Unternehmen wären zudem zu teuer oder falsch skaliert. Ich nenne das Guerilla-Taktik. Daraus können hoch effektive Prozesse entstehen, die sehr innovativ sind.

 

Sie haben mit vielen Unternehmen Kreativ-Workshops realisiert: Welche Techniken für Innovation gibt es?
Ortlieb: In der Regel ist es wichtig, Standardtechniken wirklich zu beherrschen. Brainstormings können beispielsweise, wenn richtig angewendet und systematisch befolgt, zu hervorragenden Ergebnissen führen. Hier ist vor allem wichtig, zwischen Ideengenerierung und -bewertung konsequent zu trennen.

Carbon: Ein wichtiges Element in unseren Workshops ist die Neutralisierung von „Alphamenschen“. KMU werden häufig von starken Unternehmerpersönlichkeiten geprägt. Das ist einerseits prima, kann aber dazu führen, dass Ideen zu schnell „niedergebügelt“ werden. Wir lassen „Alphamenschen“ probehalber eine andere Rolle übernehmen. So erfahren sie von einem anderen Standpunkt aus, wie ihr Unternehmen funktioniert. Gleichzeitig ermöglichen sie es anderen Mitarbeitern, selbstbewusst eigene Ideen zu entwickeln.
 

Wer ist innovativer: Frauen oder Männer?
Carbon: Das kann man seriös nicht beantworten. Unabhängig von ihrem Geschlecht können wirkliche Innovatoren und Erfindernaturen gut abstrahieren, viele verschiedene Kombinationen in ihrem Kopf zulassen. Kreative Köpfe sind unglaublich produktiv, die müssen eine bestimmte Komplexität denken können. Ein Fakt ist auch: Teams, die über Geschlecht, Alter und Herkunft hinweg gemischt besetzt sind, entwickeln spannendere Produkte und Dienstleistungen als Teams, die aus einem Geschlecht, einer Nationalität oder einem Alter bestehen. Insofern sind Frauen und Männer sehr wichtig!

 

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