Lebenslanges Lernen

Der digitale Wandel verändert laufend die Arbeitswelt von Beschäftigten. Unternehmen gelingt es nicht immer zu erkennen, welche Kompetenzen gerade benötigt werden.
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Axel Novak Redaktion

New Work, Diversity, Mitarbeiterführung, Nachwuchsmangel und War for Talents – die Aufgaben, denen sich HR-Manager in den Unternehmen stellen müssen, sind gewaltig. Dank der Digitalisierung haben HR-Manager in den vergangenen Jahren eine Vielzahl neuer Tools erhalten, um gezielter zu wirken. Künstliche Intelligenz, Data Analytics, Digital Matching- oder digitale Kommunikations-Tools machen administrative Abläufe und Recruiting-Prozesse schneller und einfacher: Zeitaufwand und Kosten sinken, potenzielle Kandidaten sind leichter identifizierbar. Auf Arbeitnehmerseite wiederum bieten verbesserte Talentförderung und digital unterstütztes Recruiting dem Nachwuchs bessere Chancen, gezielter in die richtigen Positionen zu gelangen. Beschäftigte erhöhen ihr Know-how und bauen neue Skills aus.

 

Nun hat der Digitalisierungsschub der Corona-Pandemie wie ein Sturm die klassische Präsenzkultur hinweggefegt. Das hat gewaltige Vorteile: Zum Beispiel bei einem deutschen Anlagenbauer in Berlin, einem Unternehmen mit rund 3500 Mitarbeitern. Im Zuge der Corona-Pandemie haben die verantwortliche Managerin und ihr Team die allgemeinen Weiterbildungsprogramme komplett auf digitale Plattformen umstellen müssen. Auch Entwicklungsprogramme finden nach zweimonatiger Pause über ein virtuelles Development und Assessment Center statt. „Mit unseren virtuellen Angeboten befinden sich die Kandidaten, die wir in das Führungsnachwuchsprogramm aufnehmen wollen, in einer Eins-zu-eins-Situation mit den Trainern“, sagt die Managerin. „Das funktioniert teilweise besser als mit den klassischen Angeboten: Äußere Einflüsse werden verringert und wir können uns voll und ganz auf die Kandidaten konzentrieren.“ Davon profitieren auch die Teilnehmenden: „Trotz virtueller Umsetzung war das persönliche Gefühl direkt da, als würde man sich im gleichen Raum befinden“, sagt ein junger Mann, der an einem virtuellen Development Center teilgenommen hat.

 

In vielen Unternehmen sind solche Weiterbildungs- und Talentförderungsprozesse zu einem wichtigen Faktor geworden, um Mitarbeiter zu binden und weiterzuentwickeln oder Interessenten für sich zu interessieren. Auch finanzielle Aspekte spielen eine Rolle: Die Unternehmen wollen ihre Produktivität erhöhen und durch interne Förderung die teure Rekrutierung externer Mitarbeiter vermeiden.

 

Noch wichtiger ist aber, dass Führungskräfte die Qualifikation der Mitarbeiter an neue Technologien oder eine veränderte Arbeitsorganisation anpassen wollen, so eine Studie des Digitalverbands Bitkom. Zum Beispiel bei der Ertüchtigung für die digitale Arbeitswelt: 7 von 10 Unternehmen investieren in diesem Jahr gezielt in die digitale Fort- und Weiterbildung ihres Personals – vor zwei Jahren waren es nur 57 Prozent. „Digitalisierung prägt die Arbeitswelt und lebenslanges Lernen muss als Schlüssel für die digitale Transformation gesehen werden“, sagt Nils Britze, Bereichsleiter Digitale Geschäftsprozesse Bitkom. „Es geht nicht nur darum, in Zeiten von mobilem Arbeiten und Homeoffice mit gängiger Soft- und Hardware umzugehen, sondern auch darum, sich branchen- und fachspezifisch mit neuen Technologien und digitalen Werkzeugen vertraut zu machen.“

 

Voraussetzung für die Fähigkeit zur Weiterbildung allerdings ist, dass Unternehmen wissen, was sie vorhaben und welche Fähigkeiten ihre Mitarbeiter benötigen. Und das ist nicht überall gegeben. Denn zwar glauben die Unternehmen, dass lebenslanges Lernen im Zusammenhang mit der Digitalisierung immer wichtiger wird. Auch erkennen viele, dass das Lernen in Schule, Ausbildung und Studium heute nicht mehr ausreicht, sondern durch regelmäßige Weiterbildung im Arbeitsalltag ergänzt werden muss. Doch mit der Umsetzung dieser Erkenntnis ist es nicht so weit her: Nur vier von zehn Unternehmen haben eine explizite Personalentwicklungs- und Weiterbildungsstrategie, so der Digitalverband. Außerdem stellen die Unternehmen ihren Mitarbeitern im Durchschnitt nur 2,3 Tage pro Jahr für Fortbildungen zur Verfügung. Und das darf 709 Euro pro Mitarbeiter und Jahr kosten. In gut jedem fünften Unternehmen, vor allem kleinen Firmen mit bis zu 99 Mitarbeitern ist sogar gar keine Weiterbildung vorgesehen.

 

Ähnlich sieht es in der Elektro- und Metallbranche aus. So untersuchte die IG Metall für den Transformationsatlas im vergangenen Jahr unter anderem den Stand der Digitalisierung, der Personalentwicklung und der Qualifizierung in der Branche.

 

Betriebsräte und Vertrauensleute aus knapp 2.000 Betrieben mit insgesamt 1,7 Millionen Beschäftigten lieferten eine umfassende Datengrundlage. Das Fazit aber ist ernüchternd: So haben knapp die Hälfte der Betriebe keine oder keine ausreichende Strategie, um durchdacht an die Digitale Transformation heranzugehen. Und obwohl die Personalvertreter in fast allen Betrieben einen zunehmenden Qualifizierungsbedarf sehen, gibt es in der Hälfte der Betriebe keine langfristige, systematische Personalplanung und Qualifizierungsbedarfsermittlung. Vor allem die Beschäftigten wie Geringqualifizierte, die von einer Weiterbildung besonders profitieren würden, werden kaum erreicht.

 

Viele Beschäftigte sehen die Weiterbildungs- und Talentfördermaßnahmen in ihren Unternehmen sehr kritisch. 57 Prozent der deutschen Arbeitnehmer fühlen sich laut dem Arbeitsbarometer des Personaldienstleisters Randstad vom ersten Halbjahr 2020 durch die Qualifizierungsmaßnahmen ihrer Arbeitgeber nicht auf die Zukunft vorbereitet. „Vielen Unternehmen ist bewusst, wie wichtig Weiterbildung ist. Aber wie erkennen Unternehmen, welche Fähigkeiten nachhaltig relevant sind? Es benötigt eine genaue Vorstellung, wie sich Arbeitsplätze verändern“, sagt Christoph Kahlenberg, Leiter der Randstad Akademie. Und die ist für die Beschäftigten oft nicht erkennbar.  Deshalb engagieren sie sich selbst stark: Laut dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) trugen Teilnehmende von Fortbildungen einen beträchtlichen Teil zur Finanzierung ihrer beruflichen Weiterbildung selbst bei. Im Durchschnitt wendeten sie im Jahr 128 Stunden ihrer Freizeit auf und zahlten 381 Euro selbst – knapp ein Prozent ihres durchschnittlichen Bruttojahresverdienstes.

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