Der X-Kanal von Markus Söder wird rege bespielt. Interessierte finden hier mehrfach am Tag Informationen zum politischen und auch persönlichen Alltag des bayerischen Ministerpräsidenten. Und so haben sich die Presseverantwortlichen vermutlich nicht viel dabei gedacht, als sie am 25. Februar dieses Jahres berichteten, dass man „bereit für einen Politikwechsel in Deutschland“ sei und dass es an eben jenem Tag eine „enge Abstimmung von CDU und CSU im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin“ gegeben habe. Untermauert wurden diese vermeintlich konstruktiven Gespräche von einem Bild, welches im Nachgang allerdings für einige Diskussionen sorgte. Denn zu sehen sind dort neben Söder auch Alexander
Dobrindt und Martin Huber von der CSU sowie Carsten Linnemann, Friedrich Merz und Thorsten Frei von der CDU. Ungewöhnlich ist diese Konstellation nicht, trifft hier doch die Führungsriege beider Parteien aufeinander. Dennoch steht sie stellvertretend für das, was in Politik und Wirtschaft wieder zum Alltag zu werden scheint: Wichtige Entscheidungen und auch die Machtverteilung machen Männer unter sich aus. Die einzige Frau in diesem Raum, witzelten damals einige Medien, habe den Tisch gedeckt und die Getränke bereitgestellt.
Ein ähnliches Bild zeigte der Koalitionsausschuss, der mit zehn Männern und nur einer Frau besetzt war – und auch die kam nicht von der Union. Für Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) ein „fatales Zeichen, ein ganz schlechtes Signal“. Denn wenn Frauen fehlten, fehle auch die Hälfte der Perspektive. Man bekomme so den Eindruck, wenn es ernst wird, dann müssen es die Jungs machen, untereinander.
Ein Eindruck, der sich in der Wirtschaft fortsetzt. Anlässlich des Weltfrauentags am 8. März dieses Jahres hat die SCHUFA ihren Datenbestand ausgewertet und der zeigt: Auch die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor in männlicher Hand. Lediglich 28 Prozent der Unternehmen im Land haben mindestens eine Frau in der ersten Führungsriege, also im Vorstand, der Geschäftsführung oder als Inhaberin. Damit hat sich der Anteil von Frauen in Führungspositionen zwar leicht erhöht, 2022 lag er bei 26 Prozent, es geht jedoch nur sehr langsam voran. Außerdem fällt auf: Der Anteil von Frauen in der ersten Führungsebene von Personen- und Kapitalgesellschaften liegt bei lediglich 16 Prozent. Der insgesamt höhere Prozentsatz kommt nur deshalb zustande, weil Frauen wesentlich öfter (33 Prozent) ein Einzelunternehmen führen, also ein Gewerbe haben, freiberuflich selbständig arbeiten oder eingetragene Kaufleute sind.
FRAUENQUOTE MIT WENIG SIGNALWIRKUNG
Eigentlich sollte die sogenannte Frauenquote daran etwas ändern. Verankert wurde sie 2015 im Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst. Darüber werden insbesondere börsennotierte Unternehmen ab einer bestimmten Größe verpflichtet, bei Neubesetzungen im Aufsichtsrat eine Quote von mindestens 30 Prozent Frauen zu erreichen. Allerdings traf diese Regelung im Herbst 2023 gerade einmal auf 101 Unternehmen zu, rechnet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin in ihrer aktuellen Auswertung für das DIW Managerinnen-Barometer vor.
Damit hat die ohnehin stark umstrittene Frauenquote keinen wirklichen Umbruch in puncto Geschlechterparität gebracht. Im Gegenteil: Nach einer Auswertung der Beratungsfirma EY bleiben auch 2025 viele geschäftsführende Gremien reine Männerdomänen. Fast vier von zehn Unternehmen (37 Prozent) in Dax40, MDax und SDax haben keine einzige Managerin in ihrem Vorstand. Und gerade einmal sieben der 160 untersuchten Unternehmen haben einen weiblichen (Co-)CEO. Dass sich daran auch in Zukunft vermutlich wenig ändern wird, zeigt eine Analyse der Managementberatung Horváth. Demnach sind von den rund 100 Vorstandspositionen, die 2024 in den 160 deutschen börsennotierten Unternehmen neu besetzt wurden, lediglich 29 an Frauen gegangen. Im Vorjahr waren es 36.
UMKEHR IM MINDSET
Dass es aktuell in puncto Geschlechterparität eine Umkehr zu geben scheint, mag sicherlich auch mit dem Wandel in der Gesellschaft zusammenhängen, der derzeit weltweit zu beobachten ist – hin zu einer deutlich konservativeren Haltung. Und zu der kann man mittlerweile auch wieder stehen. Vorbei die Zeiten einer „political correctness“ aka „wokeness 1.0“. Auf den Punkt bringt es Friedrich Merz im Vorfeld der letzten Bundestagswahl in der Sendung „Frühstart" von RTL und ntv, wo er sagte, dass er die Regierung nicht zwingend zur Hälfte mit Frauen besetzen wolle. Denn dies könne „zu krassen Fehlbesetzungen führen – wie im Kabinett Scholz“. Das wolle man nicht wiederholen, betonte Merz: „Wir tun damit auch den Frauen keinen Gefallen.“
Gerade diese Wortwahl ist natürlich interessant, denn um einen „Gefallen“ ging es nie. Was Frauen seit jeher fordern, ist Chancengleichheit, die übrigens fest im Grundgesetz verankert ist. Doch die hat der Feminismus in all den Jahren nicht erreicht. Christina Richter, Gründerin und Geschäftsführerin des Personal Branding Instituts und Autorin des Buchs „Sichtbare Frauen“, hinterfragt deshalb aktuell, ob wir Feminismus vielleicht falsch angegangen sind: „Feminismus steht in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem für Forderungen: Wir wollen, wir müssen, wir verdienen – ohne zu berücksichtigen, dass wir uns sowohl in der Wirtschaft als auch in der Politik in einem von Männern für Männern gemachten System bewegen.“
Damit sitzen Männer nun einmal mehrheitlich an den entscheidenden Hebeln. Statt also radikal gegen diese systemische Ungerechtigkeit zu kämpfen, hält Richter es für klüger, das System zu analysieren, zu verstehen und dann für sich zu nutzen – und zwar so, wie es Männer auch machen: im Kollektiv.
GEMEINSAM STARK
Tatsächlich schließen sich Männer in der Regel bereits zum Berufseinstieg zusammen, ziehen sich gegenseitig die Karriereleiter hoch, wechseln in Gruppen den Arbeitgeber. Sie bauen ein Netzwerk auf, in dessen Rahmen man(n) sich bei Entscheidungen, Ideen und Präsentationen gegenseitig unterstützt oder in Gremien die wichtige Mehrheit sichert. Das erhöht die Erfolgschancen für das Individuum ungemein – und es hilft vor allem denen, die nicht zwingend „die Besten” sind, über ein sehr gutes Netzwerk bis ganz nach oben zu gelangen.
Schaut man sich hingegen die wenigen exemplarischen Karrieren von Frauen an, die es an die Spitze geschafft haben, sind es meist Einzelkämpferinnen, die sich ihren Weg in der Regel hart erarbeitet haben. Oben angekommen ist es dann natürlich sehr einsam – zumal die Frauen dort auch noch einmal unter besonderer Beobachtung stehen und Maßstäbe erfüllen müssen, die deutlich über denen ihrer männlichen Kollegen liegen. Schließlich schwingt bei ihnen immer auch ein wenig das Label „Quotenfrau“ mit und damit letztendlich ein Hauch der Merz-Aussage „Fehlbesetzung“.
Derartige Alleingänge seien ein großer Nachteil, attestiert auch Richter: „Frauen haben in der breiten Masse offenbar noch nicht verstanden, was für eine Power im Kollektiv liegt.“ Aus ihrer Sicht ist das eines der größten Versäumnisse der letzten 15 bis 20 Jahre, in denen Themen wie Diversität, Gender Equality oder auch Quoten dermaßen stark im Fokus lagen, dass sich eigentlich etwas hätte ändern müssen. Würden Frauen die Spielregeln des Systems besser beherrschen, gäbe es vermutlich auch mehr Frauen in Spitzenpositionen, ist die Kommunikationsexpertin überzeugt.
OWN YOUR SEAT
Genau daran will Richter aktiv etwas ändern. Gemeinsam mit Naïs Graswald hat sie „Own Your Seat“ gegründet, eine Akademie, in der sie Frauen die Skills vermitteln, die auf dem Weg in eine Führungsposition wichtig sind. Genau wie Richter hat auch Graswald Stationen in Wirtschaft und Politik hinter sich – darunter ein Bundesministerium und ein Dax-Konzern. Beide wissen, wovon sie sprechen und wie Frauen Konzern-Karrieren strategisch angehen müssen.
Das bereits angesprochene „Rudelverhalten“ steht dabei im Fokus. Denn statistisch gesehen gibt es genauso viele weibliche wie männliche Studienabsolventen. Auch bei den Berufseinsteigern herrscht noch in etwa Geschlechterparität. Erst weiter oben auf der Karriereleiter beginnt die Männerdominanz. Entsprechend sollten sich auch Frauen bereits mit dem Berufseinstieg vernetzen und damit gegenseitig pushen, attestiert Richter. Und dieses Rudelverhalten könne man sowohl lernen als auch strategisch aufbauen, Stichwort: strategisches Stakeholder Mapping.
Was den beiden Expertinnen außerdem immer wieder begegnet: Frauen halten mit ihren Leistungen viel zu oft hinter dem Berg. Das liegt laut Richter auch daran, wie bereits Mädchen sozialisiert werden, nämlich leise, zurückhaltend, bescheiden zu sein. Entsprechend denken Frauen später, ihre Arbeit würde für sich sprechen. Tut sie aber nicht. Strategische Sichtbarkeit – intern wie extern – ist deshalb ein weiteres wichtiges Tool, das Own Your Seat vermittelt und das sowohl den teilnehmenden Frauen als auch den nächsten Generationen zugutekommt. Denn jede Frau ist ein potenzielles Vorbild für eine andere und von denen gibt es im Kleinen wie im Großen derzeit einfach nicht genug in der Sichtbarkeit.
KARRIERE BRAUCHT SELBSTVERTRAUEN
Das Positive ist: Es gibt nicht nur Karrierechancen für Frauen, sie können vor allem selbst mit dazu beitragen, sich welche zu schaffen – und zwar gemeinsam. Denn auch das gehört zur Wahrheit im Arbeitsalltag: Keine Frau ist alleine, mit dem was sie erlebt. Nachzulesen ist das aktuell im Buch „Bullshit-Bingo – Was Frauen nicht mehr hören wollen“, das im März dieses Jahres erschienen ist. Hier erzählen Frauen des Ladies Mentoring Netzwerks, welche „Bullshit-Sätze“ sie sich im Laufe ihrer Karriere schon anhören mussten, wie sie darauf reagiert haben und vor allem, wie sie gerne reagiert hätten. Kurzweilig, unterhaltsam und durchaus pointiert wird hier dargestellt, dass es mehr als okay ist, sich gerade zu machen und veralteten (Denk-)Mustern etwas entgegenzusetzen.
Von diesen Frauen-Netzwerken mit gegenseitigem Support entstehen auch in Deutschland derzeit immer mehr – teils branchenspezifisch, teils mit Mentoring-Gedanken. Und das ist wichtig, um sowohl die nötige Stärke als auch das Selbstvertrauen zu entwickeln, für die Karrierechancen einzustehen, die sich Frau wünscht. „Stell dir vor, alle Frauen in einem Unternehmen würden offen darüber sprechen, was sie täglich leisten, welche Aufgaben sie zusätzlich übernehmen, wo sie Projekte retten – irgendwann käme der Moment, wo das System beginnt zu bröckeln, davon bin ich fest überzeugt.“ Der Appell von Christina Richter lautet, mutiger und selbstbewusster zu werden. Denn bleiben Frauen weiterhin so still, beflügeln sie auch weiterhin vor allem mittelmäßige Männer, in Politik und Wirtschaft die Karriereleiter hochzuklettern – logisch, wenn sich rund die Hälfte der „Konkurrenz“ selbst aus dem Rennen nimmt.