Gesundheit ist Chefsache

Der Digitalisierungsschub, der derzeit durch alle Wirtschaftszweige fegt, könnte auch das betriebliche Gesundheits- management auf die nächste Stufe heben.
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Julia Thiem Redaktion

Im ersten Moment mag es etwas paradox klingen, ergibt bei genauerer Betrachtung dann aber doch einen Sinn: 2020 ist ein Jahr der Gesundheit. Denn wenn plötzlich ein Virus ausbricht, das dieses, für uns so hohe Gut bedroht, bekommt Gesundheit einen ganz anderen Stellenwert – und zwar nicht nur auf individueller Ebene. Eine gesunde, handlungsfähige und belastbare Belegschaft ist gerade in diesen herausfordernden Zeiten das A und O für Unternehmen. Insbesondere dann, wenn ein Großteil nach wie vor oder wieder im Homeoffice arbeitet. „Covid-19 wird bleibende Spuren hinterlassen“, schreibt beispielsweise Kai Hankeln, CEO der Asklepios Kliniken, im Vorwort einer aktuellen, gemeinsam mit der Unternehmensberatung Roland Berger veröffentlichten Studie zum Thema Corporate Health Management. Nie sei das Thema Gesundheit in Wirtschaft und Politik so präsent gewesen wie heute. Und weiter führt er aus: „Nie mussten sich Arbeitgeber so intensiv mit dem Thema Gesundheitsschutz beschäftigen und nie war der Einfluss eines effektiven Gesundheitsschutzes auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen so evident wie heute.“

 

Der entscheidende Begriff in den Ausführungen von Hankeln ist dabei der Gesundheitsschutz. Denn betriebliches Gesundheitsmanagement, kurz BGM, wurde in vielen Unternehmen bisher vor allem als Vermeidung von Fehltagen begriffen. Mit Ausbruch der Corona-Pandemie gilt es nun jedoch, die Belegschaft aktiv zu schützen. Und dieser regelrechte Perspektivenwechsel könnte sich langfristig positiv auf das BGM deutscher Unternehmen auswirken, glauben auch die Studienmacher. Denn bisher sei die Zahl der Krankentage kontinuierlich gestiegen. Von 328 Millionen in 2008 auf 449 Millionen in 2018. Als Gründe werden in der Studie die größere Arbeitnehmerschaft, der demografische Wandel und vor allem der Anstieg psychischer Erkrankungen genannt. Noch deutlicher habe zudem der volkswirtschaftliche Schaden zugenommen. Während die Kosten für die Gesellschaft 2008 noch bei 45,4 Milliarden lagen, waren es 2018 bereits 78 Milliarden – ein Anstieg von 73 Prozent.  

 

Interessant sind diese Erkenntnisse vor allem deshalb, weil mittlerweile die breite Masse an Unternehmen, hierzulande zumindest, in Ansätzen ein BGM anbietet. Allerdings läge die Teilnehmerrate bei unter 65 Prozent, heißt es von Asklepios und Roland Berger. Und das sei noch nicht einmal eine genaue Bezifferung, so die Studienautor:innen, da es sich um Eigenangaben der Beschäftigten handele. Die tatsächliche Zahl läge vermutlich darunter.

 

Es gibt also noch deutlichen Nachbesserungsbedarf beim Thema BGM – was sich jedoch lohnt. Denn auch das zeigt die Studie: Ein effektives betriebliches Gesundheitsmanagement bietet einen deutlichen Mehrwert: minus 40 Prozent bei der Fluktuation, dafür ein Plus von 11 Prozent beim Umsatz pro Mitarbeitendem. Und der Aktienwert stieg bei Unternehmen mit gutem Gesundheitsmanagement in sechs Jahren im Schnitt um 76 Prozentpunkte schneller.

 

Und auch hier könnte sich Corona tatsächlich zu einer Chance für die Unternehmen entwickeln. Der Digitalisierungsschub, den wir aktuell organisationsübergreifend erleben, könnte nämlich nicht nur die Unternehmenskultur nachhaltig verändern, sondern auch das Nutzerverhalten und damit die Bereitschaft, digitale Angebote anzunehmen. Damit wiederum wären Unternehmen bei den Angeboten im Rahmen ihres BGM deutlich flexibler. Statt bestimmte Gruppen zu füllen oder Rahmenverträge mit dem Sportstudio um die Ecke zu vereinbaren, hätten die Mitarbeitenden die Möglichkeit, sich individuell nach ihren Bedürfnissen die Angebote zusammenzustellen, die ihnen gut tun, die Spaß machen und damit auch eine höhere Akzeptanz erfahren. Anstatt also einer eher heterogenen Belegschaft eine Standardlösung überzustülpen, ließe sich so gezielter auf die Mitarbeitenden eingehen.

 

Eine erste Studie von Oracle belegt die Tendenz, dass neue Technologien als Unterstützung wahrgenommen werden – sogar in einem hochsensiblen Bereich. Demnach war 2020 bisher ein extrem stressreiches Jahr für Mitarbeitende. Entsprechend hoch sei vor allem die psychische Belastung. Und darüber würden ganze 68 Prozent der Befragten lieber mit einem Roboter als mit ihrem Vorgesetzten sprechen. 80 Prozent sind sogar offen dafür, einen Roboter als Therapeuten oder Ratgeber zu konsultieren. Die Gründe: 34 Prozent gaben an, dass durch einen Roboter ein wertungsfreies Umfeld gegeben sei. 30 Prozent glauben, Roboter seien eine unvoreingenommene Anlaufstelle, um Probleme zu teilen und 29 Prozent sagen, sie würden schnelle Antworten auf gesundheitsbezogene Fragen liefern.
Und auch im Arbeitsalltag sei künstliche Intelligenz ein nützliches Tool mit positiven Auswirkungen auf die Gesundheit – etwa, weil so Informationen bereitgestellt werden, mit denen die Arbeit effektiver gestaltet werden kann, ganze Arbeitsabläufe automatisiert oder Aufgaben priorisiert werden können, was den Stress insgesamt verringert.

 

Allerdings mahnen Asklepios und Roland Berger in ihrer Studie: Gesundheit müsse klar zur Chefsache erklärt werden. „Das betriebliche Gesundheitsmanagement ist ein Marathon und kein Sprint“, sagt Kai Hankeln. „Erfolgreich kann ein Gesundheitskonzept nur sein, wenn es auf allen Organisationsebenen sowie über die Führungskultur fest in den be­trieb­lichen Strukturen verankert wird.“

 

Letztendlich zeigt uns Covid-19, dass eine körperliche und seelische Gesundheit eben nicht selbstverständlich ist – zumindest dann nicht, wenn wir nichts dafür tun. Daher muss es Unternehmen gelingen, Prävention in den Arbeitsalltag zu inte-
grieren und Gesundheit als essentielle Voraussetzung für Arbeitskraft zu verstehen. Denn nur dann wird ein BGM zur Selbstverständlichkeit und ist nicht mehr länger eine Bürde.

 

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