DR. JOSEPHINE HOFMANN leitet seit 15 Jahren das Team Zusammenarbeit und Führung des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und ist gleichzeitig stellvertretende Leiterin des Geschäftsfeldes Unternehmensentwicklung und Arbeitsgestaltung.
Frau Dr. Hofmann, das Arbeiten im Homeoffice hat sich in der Pandemie bewährt. Warum wird nun eine Präsenzpflicht zum Thema?
Früher mussten Mitarbeitende begründen, warum sie von zu Hause aus arbeiten wollten. Heute müssen Unternehmen erklären, warum ihre Leute zurückkommen sollen. Nach diesen zwei Jahren, in denen alle bewiesen haben, dass es geht, tun sich Unternehmen natürlich schwer, mit harten Argumenten zu kommen. Müssen wir jetzt jede Woche ein Event veranstalten und versuchen, unsere Leute positiv zu überzeugen? Oder sollten wir klare Grenzen setzen? Vor dieser Frage stehen Firmen im Moment.
Wie gehen Unternehmen damit um?
Bei vielen Personalverantwortlichen beobachten wir ein gewisses Unwohlsein. Die Arbeitswelten ändern sich, andere Arbeitsformen haben sich während der letzten Jahre stark etabliert. Die Bereitschaft, aus dem Homeoffice zurückzukehren, ist nicht sehr ausgeprägt, besonders gefragte Beschäftigungsgruppen können ohnehin sehr viel fordern und setzen ihre Bedingungen auch durch. Führungskräfte haben Angst davor, dass ihnen die Dinge entgleiten könnten. Das nehmen wir in unseren Umfragen zunehmend wahr. Dieses Unbehagen wird übrigens immer größer, je höher Sie in die Hierarchien kommen.
Wie erklären Sie sich das?
Führungskräfte auf der direkten Ebene arbeiten auch ganz gerne woanders und wollen nicht unbedingt zurück. In den oberen Führungsetagen sorgen dagegen teilweise sinkende Produktivitätskennzahlen für Unruhe. Wobei dieser Rückgang natürlich auch ganz andere Gründe haben kann – die sich verändernde Weltlage oder gestörte Lieferketten beispielsweise. Wir nehmen auf jeden Fall den Wunsch wahr, ein gesundes Gleichgewicht zu finden und das Arbeiten im Homeoffice wieder stärker einzuschränken.
Was spricht dafür, wieder ins Büro zu kommen? Der Kochkurs wohl eher nicht.
Die Kantine auch nicht unbedingt, wobei die manchmal gut ist. Was zieht, sind vor allem die persönlichen Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen. „Damit meine Führungskraft mich mal sieht“ hören wir in Befragungen auch häufig. Wahrgenommen zu werden, ist im Interesse der Mitarbeitenden, und daran mangelt es einfach. Wenn man jemanden den ganzen Tag um sich hat, nimmt man ihn notgedrungen mehr wahr als jemanden, der gute Arbeit macht, aber nur einmal in der Woche mit einer E-Mail in Erscheinung tritt.
Mit hybriden Modellen könnten doch beide Seiten gut leben, oder nicht?
Entweder zwei oder drei Tage daheim oder im Büro, diese Aufteilung ist im Schnitt tatsächlich besonders beliebt. Aber dann will natürlich niemand am Montag und Freitag da sein. Die Unternehmen wiederum wollen und müssen ihre Büros besetzen. Die Tücke liegt im Detail. Wie wird die Anwesenheit kontrolliert und was passiert, wenn die Leute nicht kommen? Lauter offene Fragen. Und im Augenblick wird alles überlagert von der Energiedebatte. Es gibt schon Überlegungen, das Konzept Homeoffice zu nutzen, um Heizkosten einzusparen.
Es könnte auch in die andere Richtung gehen. Vielleicht kommen die Leute sogar gerne ins Büro, weil sie dann zu Hause weniger heizen müssen.
Wir arbeiten in einem Verbundprojekt auch zum Thema Officeplanung, da gab es tatsächlich schon Stimmen, die das als ein Attraktivitätsargument der Zukunft genannt haben. Leute, kommt ins Büro, da habt ihr es warm!
Gehen Konzerne anders mit der Präsenzpflicht um als Mittelständler?
Je größer ein Unternehmen ist, desto mehr Alternativen werden angeboten. Letztlich hängt es aber von den Branchen, von den Tätigkeitstypen und auch vom Mindset der Führungskräfte ab. Man kann auch nicht sagen, dass Jüngere mehr Flexibilität als Ältere haben wollen, sogar im Gegenteil. Vor allem die ganz Jungen, die gerade neu einsteigen, wollen eigentlich mehr ins Büro und die Organisation erst einmal kennenlernen.
Da geht es um Bindung, das ist auch für Führungskräfte ein großes Thema.
Deshalb kann ich gut nachvollziehen, dass manch einen Entscheidungsträger ein mulmiges Gefühl beschleicht. Auf virtueller Ebene müssen sie einen ganz anderen Aufwand betreiben, um mit ihren Leuten in Kontakt zu bleiben, ihnen zu vermitteln, wofür die Firma steht. Diese ganzen weichen Faktoren, die für das Wir-Gefühl so wichtig sind. Welche Chance habe ich mitzubekommen, dass mein Kollege gerade einen Hänger hat, wenn ich ihn nicht mehr persönlich sehe? Ein Betrieb ist ja auch eine Solidargemeinschaft, und das hat viel mit Erleben und Präsenz zu tun. Deshalb finde ich auch, die Mischung macht’s. Aber die Fliehkräfte sind schon ganz schön groß geworden.
ZURÜCK ZUR PRÄSENZPFLICHT?
Das Arbeiten im Homeoffice bleibt beliebt. Knapp ein Viertel der Arbeitnehmenden in Deutschland arbeitete im August 2022 zumindest teilweise von zu Hause aus. Nach Angaben des Münchner ifo-Instituts sind das auch nach Auslaufen der Homeoffice-Pflicht kaum weniger als im April des Vorjahres. Zugleich werden wieder mehr Menschen zurück ins Unternehmen zitiert. Ein Drittel der Büroangestellten in Deutschland muss einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge wieder vollständig in der Firma arbeiten. Der Wunsch nach mehr Kontrolle ist jedoch kein nationales Phänomen, das zeigte eine groß angelegte internationale Studie des britischen Meinungsforschungsinstituts Respondi. Demnach ist das Homeoffice in vielen Ländern bei Mitarbeitenden deutlich beliebter als bei ihren Chefs.