Schöne neue Arbeitswelt

Deutschland will seine Arbeitswelt neu erfinden, diskutiert aber vor allem über das Homeoffice. Das hat allerdings nur bedingt etwas mit New Work zu tun und hemmt im schlechtesten Falle die Innovationskraft im Land.

Illustration: Marina Labella
Illustration: Marina Labella
Julia Thiem Redaktion

Der Begriff „Schlagwort“ bekommt beim Googeln von „New Work“ eine ganz neue Definition. Die Suchergebnisse erschlagen einen förmlich. Tipps, Trends, Beratungsangebote und unzählige Studien über die Arbeit der Zukunft, darüber, was Arbeitnehmer wirklich wollen, und wie „Arbeitgeber heute geht“. Antworten darauf verspricht etwa das Randstad Whitepaper New Work Trendreport #3 und legt gleich gewichtig mit Zahlen des Arbeitsbarometers aus dem ersten Halbjahr 2022 vor: 93 Prozent der Arbeitnehmer wünschen sich Jobsicherheit, gefolgt von einem guten Gehalt (91 Prozent) und einer Work-Life-Balance (85 Prozent). Auf den Rängen vier und fünf folgen Flexibilität bei Arbeitszeit (78 Prozent) und Arbeitsort (63 Prozent). Hervorgehoben werden dann noch einmal die 40 Prozent der Befragten, die keinen Job annehmen würden, der ihnen Standortflexibilität verwehrt, und die 44 Prozent, die ihren Job sogar kündigen würden, wenn er sie davon abhielte, ihr Leben zu genießen. 

Mal abgesehen davon, dass gerade letztere Aussage alles und nichts heißen kann, bedienen diese Zahlen genau das, was dieser Tage als „New Work“ interpretiert und propagiert wird. Hauptsache, die Work-Life-Balance stimmt und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dürfen auch im Homeoffice arbeiten. Der Personaldienstleister Brunel fasst New Work wie folgt zusammen: „Bedeutsam sind alle Konzepte, die dem Mitarbeiter eine möglichst flexible Lebensgestaltung ermöglichen. Hierzu gehören Homeoffice, Coworking-Spaces, Gleitzeit oder Sabbaticals. Eine strikte fachliche Trennung von Arbeitsgruppen wird ersetzt durch gemischte Teams. Auch die Zuweisung fester Arbeitsplätze verliert an Bedeutung. Immer größerer Beliebtheit erfreut sich hingegen Desk Sharing, bei dem Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz im Unternehmen täglich frei wählen können.“ Ist sie nicht herrlich, diese schöne neue Arbeitswelt?

 

WENIGER KREATIVITÄT IM HOMEOFFICE?


Was diese Definition von New Work allerdings unterschlägt, sind Sicht, Anforderungen und Bedürfnisse der arbeitgebenden Unternehmen. Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt – vor allem, weil sich laut Randstad ja fast alle Arbeitnehmer Jobsicherheit wünschen. Dafür brauchen Unternehmen eine gewisse Einkommenssicherheit. Nun ist die Neudefinition der neuen Arbeit gar nicht so neu. Der Begriff New Work geht auf den Sozialphilosophen und Anthropologen Frithjof Bergmann zurück, der ihn Anfang der 1980er-Jahre als Gegenmodell zum Sozialismus und Industrialismus entwickelte. Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, die in der heutigen Diskussion in den Fokus gestellt werden, machen nur einen kleinen Teil seiner Überlegungen aus. Nach Bergmann können sich Menschen von der Lohnarbeit befreien, indem sie die „Neue Arbeit“ in Erwerbsarbeit, smarten Konsum und Selbstversorgung auf höchstem technischem Niveau unterteilen.

Womit wir wieder bei den Anforderungen und Bedürfnissen auf Arbeitgeberseite wären. Hier steigt mit zunehmender Digitalisierung, Globalisierung und vor allem mit den immer schwieriger werdenden demografischen Bedingungen in den Industrienationen auch der Druck auf die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Die Notwendigkeit, Arbeit neu zu denken und zu organisieren, ist also durchaus gegeben. Das Homeoffice ist da jedoch nicht der Weisheit letzter Schluss, wie immer mehr Studien belegen. Nach einer aktuellen Befragung durch das Deutsche Innovationsinstitut für Nachhaltigkeit und Digitalisierung (DIND) im Auftrag von Telefonica O2 sei die Arbeit im Homeoffice nur für 14 Prozent produktiver. 71 Prozent der befragten Führungskräfte sind der Ansicht, dass Teams dann weniger kreativ sind, wenn die einzelnen Mitglieder sich über verschiedene Orte verteilen. Und die Konsequenz ist eine, die sich Unternehmen mit steigendem internationalem Wettbewerbsdruck nicht leisten können, betont DIND-Geschäftsführer Marc Wittbrock: „Weniger Kreativität im Homeoffice bedroht die Innovationskraft des deutschen Mittelstands und damit unser wichtigstes Asset. Wir sind auf die Ideen unserer Menschen angewiesen, um den Wohlstand im Lande langfristig zu sichern.“

 

NEW WORK NEU DENKEN
 


Wer Arbeit wirklich neu denken will, muss sich vielleicht eher an den deutschen Psychologen Markus Väth halten, der in seinem 2019 veröffentlichten Manifest „New Work Charta“ Bergmanns Theorien weiterentwickelt. Besonders interessant ist hier die Interpretation von Freiheit, nämlich als das Schaffen von Experimentierräumen, als die Etablierung einer Kultur der Angstfreiheit sowie einer starken Vernetzung innerhalb der Organisation. Und hier haben gerade die hierarchisch und industriell geprägten Strukturen der „Old Economy“ Luft nach oben. Dass neue Wirtschaftszweige dieses Prinzip schon eher verinnerlicht haben, zeigt sich daran, dass sie sich in vielen Fällen nicht isoliert entwickeln, sondern vielmehr gemeinsam in Form eines ganzen Ökosystems. Hier gibt es auch außerhalb von Organisationen mehr Möglichkeiten zur Vernetzung und gegenseitigen Austausch. Hier treffen sich kluge Köpfe, reden miteinander, entdecken vielleicht Gemeinsamkeiten, aus denen Neues entstehen kann. Auch in Deutschland versucht man diesen „Valley-Gedanken“ zu übertragen, wie er in den USA gelebt wird. Ob dieser Import gelingt, bleibt abzuwarten. Letztlich ist es die Einstellung der Menschen, die sich verändern muss. Weg von reinen Forderungen sowohl von Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern, hin zu kollektiven Lernstrukturen und einer, wie Väth es nennt, „Selbstreflexion der Organisation“. 

Immerhin – die Notwendigkeit, New Work auch in den Köpfen der Menschen zu verankern, scheint angekommen. Mitte Juni wurde sogar eine eigene Interessenvertretung gegründet: Der Bundesverband New Work soll sich in Zukunft für neue Arbeitsmodelle einsetzen. Seine Präsidentin Tina Ruseva betont: „Die Transformation der Arbeit ist der Schlüssel für eine nachhaltige Wirtschaft.“ Im internationalen Vergleich hinke Deutschland jedoch hinterher. Den Anschluss finden wir wohl nur, wenn nicht nur Arbeit, sondern vor allem auch Business neu gedacht wird.

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