Sinnsuche im Workspace

Die Corona-Pandemie hat Homeoffice und Videokonferenzen populär gemacht. Doch die wahre Revolution von Arbeit 4.0 oder New Work betrifft nicht die Organisation von Arbeit, sondern ihre Inhalte. Vor allem jüngere Beschäftigte sind auf der Suche nach Sinn.

Illustratorin: Josephine Warfelmann
Illustratorin: Josephine Warfelmann
Andrea Hessler Redaktion

Gastronomie, Handwerk oder IT – beinahe alle Branchen sind verzweifelt auf der Suche nach Arbeitskräften. Unternehmen preisen sich selbst auf Plakaten an wie Markenartikel, bieten Vermittlungsprämien und versuchen, Schulabgänger:innen fehlende Qualifikationen zu vermitteln. Der demografische Wandel führt zu weniger Nachwuchskräften und gleichzeitig vielen Rentnerinnen und Rentern aus der Babyboomer-Generation. Ein wesentlicher Faktor ist auch, dass die Ansprüche an Arbeitsinhalte und Work-Life-Balance steigen und immer weniger Beschäftigte Lust auf Vollzeitjobs haben. Kein Wunder, dass sogar Andrea Nahles, die sozialdemokratische Chefin der Bundesagentur für Arbeit, die jüngeren Arbeitnehmenden mit den Worten kritisiert: „Wir sind nicht die Agentur für Freizeit.“

Das hilft den betroffenen Unternehmen wenig. In der internationalen Studie „Human Capital Trends 2023“, die das Beratungsunternehmen Deloitte durchgeführt hat, wurden über 10.000 Führungskräfte aus Wirtschaft und Personalwesen in 139 Ländern befragt. Von diesen sagten 59 Prozent, dass in den kommenden Jahren der Fokus auf einer Neugestaltung des Arbeitsplatzes liege. Sogar 93 Prozent von ihnen meinen, dass eine Abkehr von der konventionellen Definition des Arbeitsplatzes für den Erfolg des eigenen Unternehmens entscheidend sei. Viele Führungskräfte bezeichneten diese Umorientierung als die größte Herausforderung der kommenden Jahre. Zudem müssten moderne Organisationen eine „Skill-orientierte Denkweise“ in den Vordergrund stellen. Dies sei mehr als die Beschreibung bestimmter Fähigkeiten. Vielmehr müsse es eine strategische Personalbedarfsplanung, ausgerichtet an den tatsächlichen Bedürfnissen der Unternehmen, geben. Doch grau ist alle Theorie: Rund ein Drittel der Befragten musste zugeben, dass ihre Unternehmen gar nicht in der Lage sind, die krampfhaft gesuchten Talente für ihre angebotenen Arbeitsplätze zu finden. Gefordert sei daher, so die Autoren der Studie, Tätigkeiten „über formale Grenzen der Arbeitsplatzbeschreibung hinaus zu ermöglichen und individuelle Kompetenzen zu fördern“. Die durch die Pandemie ausgelöste Auflösung fester Arbeitsorte müsse weiter ausgebaut und für den Arbeitsplatz eine vielfältige physische, digitale und hybride Umgebung geschaffen werden. Nur so könnten sie den unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen der Mitarbeitenden gerecht werden.

»26 Prozent planen einen Wechsel, weil ihr derzeitiger Job zu wenig sinnstiftend ist.«

Das wissen auch potenzielle Bewerber:innen. Vor allem die Generation Z, also die Alterskohorte der ab 1995 Geborenen, gilt in weiten Teilen als für das traditionelle Arbeitsleben – viel rackern, ordentlich verdienen und gelegentlich mal Urlaub machen – ungeeignet. Sie lassen sich nicht mehr problemlos in feste Hierarchien eingliedern, entwickeln kaum Loyalität zum Arbeitgeber und fordern eine bessere Work-Life-Balance sowie mehr Einfluss auf die Gestaltung ihres Arbeitslebens. Wenn ihnen etwas nicht passt, sind sie schnell weg.

Sie quittieren etwa den Job, wenn sie den Eindruck haben, dass die Arbeit zu wenig Sinn bietet. So haben laut einer Studie der Karriereplattform Xing 26 Prozent der Befragten angegeben, dass sie einen Jobwechsel planen, weil ihnen ihre bisherige Tätigkeit zu wenig sinnstiftend sei. Viele der Jobwechsler riskieren dabei sogar, zunächst keine neue Beschäftigung zu haben – wohl nach dem Motto, besser im Sinne von Gerhard Polt vor sich hin „sinnlosen“ (früher hätte man das wohl als „Muße“ bezeichnet) als einer bezahlten Arbeit nachzugehen, die keinen tieferen Sinn bietet.

Sinn bringt unter anderem die Arbeit für Unternehmen, die einen hohen Anspruch an Nachhaltigkeit haben, die sparsam mit Ressourcen umgehen oder Projekte für eine bessere Welt unterstützen. Auch hierbei sind jüngere Menschen Vorreiter. Eine Studie des Marktforschungsunternehmen Nielsen hat ergeben, dass die Hälfte der Menschen, die bevorzugt für Unternehmen mit Nachhaltigkeitsanspruch arbeiten, unter 35 Jahre alt ist.

Dabei hilft zum Beispiel das Berliner Start-up Goodjobs mit seiner Plattform, auf der Jobs mit Sinn angeboten werden. Dort lautet das Motto: „Sinnvolles Handeln für den Erhalt unseres Planeten und die Chance auf ein gutes Leben für alle!“ Man wolle das Geschäftsmodell nutzen, „um die konservativen Strukturen der alten Arbeitswelt aufzubrechen und nachhaltig zu gestalten“. Das Jobangebot ist breit gestreut. Gesucht werden zum Beispiel ein Ingenieur für Windkraft und Photovoltaik, aber auch ein Jugendreferent des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend und ein Backoffice-Mitarbeiter einer Bank.

Gemeinsam ist vielen Jobangeboten heute, ob bei Goodjobs oder bei traditionellen Plattformen, dass sie flexible Arbeitszeiten, Teilzeit und Remote Work bieten. Immer mehr Mitarbeitende nutzen die neue Freiheit, um für eine gewisse Zeit im Ausland zu arbeiten. Auch hierfür gibt es spezielle Angebote wie das Digital Nomad Village in Ponta do Sol auf Madeira, das mit freien digitalen Arbeitsplätzen, Events und ganzjährig gutem Wetter wirbt. „Herausfordernd für die Unternehmen ist allerdings die große Masse derjenigen, die seit der Pandemie von zu Hause aus arbeiten und daher Workation im Anschluss an den regulären Urlaub im Ausland für sich nutzen möchten“, unterstreicht Omer Dotou, Leiter der Unternehmensberatung BDAE Consult. „Der Arbeitgeber gerät in Zugzwang und versucht in kürzester Zeit den Mitarbeiterwünschen gerecht zu werden. Die rechtlichen Hürden werden dabei völlig unterschätzt“, erläutert Dotou.

Arbeiten im Hotelzimmer, auf der Liege am Pool oder sogar am Strand – möglich ist das ab diesem Jahr für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von schauinsland-reisen. „Urlaub ist unser Kerngeschäft“, sagt schauinsland-reisen Geschäftsführer Gerald Kassner. „Was liegt da näher, als Arbeit und Urlaub zu verbinden?“ Die Idee, den Mitarbeitenden Workation anzubieten, hatte sein Sohn Steffen Kassner. „Wir suchen immer wieder nach Wegen, die Arbeitsplätze bei uns im Unternehmen noch attraktiver zu machen. Diese moderne Arbeitsform anzubieten, ist daher ein logischer Schritt“, erklärt Steffen Kassner. „Im harten Wettbewerb um Fachkräfte konnten wir uns als attraktiver Arbeitgeber zuletzt gut behaupten. Ich möchte schon jetzt mit dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt.“

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