Effizienter arbeiten statt mehr arbeiten

Arbeitgebervertreter und konservative Politiker fordern längere Arbeitszeiten, mehr Leistung und Einsatz. Doch mehr Produktivität dürften eher digitale Hilfen und bessere Organisation bringen.

Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Illustration: Rosa Viktoria Ahlers
Kai Kolwitz Redaktion

Kommt jetzt in Sachen Arbeitswelt die Rolle rückwärts? In letzter Zeit hört man aus Politik und Wirtschaft immer häufiger Forderungen, nach denen die Deutschen mehr und härter arbeiten sollen. 

Munich-RE-Chef Joachim Wenning sprach sich im August für die Streichung der Zehn-Stunden-Grenze bei der täglichen Arbeitszeit und den Wegfall von Feiertagen aus. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder outete sich im Sommer als Fan der Sechs-Tage-Woche. CDU-Chef Friedrich Merz unterstellte einem Teil der Beschäftigten, sie nähmen Arbeit nur als unwillkommene Unterbrechung ihrer Freizeit wahr. Gerade die ganzen Jungen, die Generation Z, haben bei vielen Wirtschaftsvertretern den Ruf, sie seien nicht belastbar, nicht leistungsorientiert und nur auf Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance aus.

Aber stimmt das? Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung ermittelt hat, ist die Zahl der in Deutschland pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden auf einem Rekordhoch – vor allem deshalb, weil kaum noch Frauen im Land als Hausfrau bei den Kindern bleiben. Und das Statistische Bundesamt meldet, dass immerhin jeder 13. Arbeitnehmende in Deutschland pro Woche 49 oder mehr Stunden arbeitet. 

Das Statistische Bundesamt meldet derweil etwas anderes Interessantes: Danach stagniert die Arbeitsproduktivität in Deutschland seit einigen Jahren. Zuletzt ging sie sogar zurück, im vergangenen Jahr um knapp ein Prozent pro Arbeitsstunde. Sprich: Das Problem scheint weniger darin zu liegen, dass die Deutschen zu wenig arbeiten. Sondern darin, dass die Arbeit schlauer und effizienter organisiert sein müsste. 

Stichwort Künstliche Intelligenz. Natürlich ist die in dieser Hinsicht ein riesiges Thema. Zwar hat die Realität viele hochfliegende Träume inzwischen wieder eingeholt. Aber in praktisch jedem Unternehmen werden die Möglichkeiten höchstens zum Teil genutzt, die KI vor allem bei der Bewältigung von Routineaufgaben bietet: Analyse von Daten, Recherche, das Erstellen von Standardtexten oder Präsentationen – oft ist zwar klar, was grundsätzlich möglich wäre. Aber es fehlen noch für das Unternehmen passende Tools, Eingabemasken und meist auch viel internes Knowhow, um mit Hilfe von KI in der gleichen Anzahl Stunden um einiges mehr zu schaffen. Eine gute Perspektive. Zumal die Forderungen der Politik auf eine Realität treffen, in der in vielen Branchen Mitarbeitende knapp sind, ihren Wert kennen und nicht alles mit sich machen lassen müssen.
 

»Wenn jeder arbeitet, von welchem Ort er will, wird Kommunikation zur Herausforderung.«


Außerdem ist die Arbeitswelt vielerorts im Wandel – nicht zuletzt ausgelöst oder zumindest beschleunigt durch die Corona-Zeit. Denn die brachte das Home Office. Und auch, wenn konservative Manager es gerne wieder loswerden würden, dürfte eine komplette Präsenzpflicht im Büro in vielen Firmen schwierig wieder durchzusetzen sein. 

Wenn aber jeder arbeitet, von welchem Ort er will - und das oft auch noch mit flexiblen Arbeitszeiten oder reduzierter Stundenzahl – dann wird Kommunikation zur Herausforderung. Messenger wie Slack oder Projektmanagement-Tools wie Asana, Basecamp oder Monday sind in dieser Hinsicht schon alte Hüte. 

Darüber hinaus experimentieren einige Unternehmen mit einer Art eigenem Social Media, zum Beispiel eingebunden in das Intranet der Firma. Die Idee dahinter ist: Dort könnte jeder bloggen, woran er gerade arbeitet und wie der Stand der Dinge ist. Profile mit Raum für Privates könnten Kollegen und Kolleginnen einander näherbringen und die ehemaligen Gespräche in der Teeküche oder am Kopierer ersetzen.

Allerdings wird diese schöne neue virtuelle Welt auch mit Skepsis betrachtet: Mitarbeitende befürchten, dadurch zu gläsern zu werden – zum einen in Bezug auf ihre Arbeitsleistung, zum anderen auch insgesamt. Denn schließlich hat es Gründe, dass

manches Private auch privat bleiben soll. Unternehmen wiederum finden die Idee spannend, auf diese Weise die Talente und Interessen ihrer Leute besser kennenzulernen und sie bei der Vergabe von Aufgaben und der Zusammenstellung von Projektteams besser berücksichtigen zu können. Überhaupt, Teams: Wenn Visionen zur Zukunft der Arbeit präsentiert werden, dann ist dabei immer wieder Thema, dass es effizienter und befriedigender wäre, starre Strukturen zu durchbrechen. Keine Abteilungen mehr, sondern die Möglichkeit, aus den Mitarbeitenden je nach Aufgabe und Fähigkeiten flexible Projektteams zusammenzustellen. IBM nennt die Grundlage dafür zum Beispiel „Talent Cloud“ – ein Reservoir an Spezialisten, die immer wieder neu gruppiert werden können.

Klar, wenn Arbeitsabläufe zu eingefahren werden, ist das schlecht. Andererseits ist der Mensch ein Gewohnheitstier, das sich alleine und verunsichert fühlen kann, wenn Bezugspunkte ständig wechseln. Das zeigt, dass die Organisation von Arbeit derzeit in einer Phase ist, in der vieles probiert und ausgehandelt wird. Oft ist noch nicht klar, welches Maß an Freiheit und Flexibilität den Interessen aller am besten gerecht wird. Aber nach vielen Jahren der Erstarrung ist es spannend, was die neuen Ansätze bringen werden. 

Wie sich so eine schöne neue Arbeitswelt räumlich abbilden lassen könnte, kann man im Neubau des Axel-Springer-Verlags in Berlin bewundern. Der mehrstöckige Komplex verfügt über ein riesiges, terrassenförmiges Atrium mit vielen Gelegenheiten, sich im Team oder auch alleine einzurichten. Man kann arbeiten und dabei immer wieder aufschauen, Kollegen sehen und sich mit ihnen austauschen. Klassische Büros für die, die ihre Ruhe brauchen, gibt es außerdem auch noch. Aber vor allem bietet der Bau unzählige Gelegenheiten, gemeinsam zu überlegen oder Konzepte zu entwickeln, ohne dabei auf die althergebrachten Konferenzräume angewiesen zu sein - mit Neonlicht, holzfurnierten Tischen in U-Form und Keksdose. 

Das fühlt sich – mit Verlaub - einfach gut an. Und kommt damit den Interessen einer Arbeitnehmergeneration entgegen, in der Karriere den Umfragen nach eine weniger große Rolle spielt als noch vor einigen Jahren. Dafür werden aber Wertschätzung eingefordert, Wissenstransfer, Führung auf Augenhöhe, Transparenz, sinnstiftende Arbeit und ein Umfeld, das einen nicht auf Dauer ausbrennt. 

Hätte man mit solchen Ansprüchen ein Wirtschaftswunder geschafft? Zum einen sind die 1950er Jahre lange her. Und zum anderen waren die Menschen auch damals schon am produktivsten und kreativsten, wenn sie fit waren, mochten, was sie taten und sich damit identifizieren konnten. Das werden auch die alten Hasen einräumen müssen.

Erster Artikel