Menschen befähigen

Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern soll die Menschen unterstützen – auch die Mitarbeitenden in Unternehmen. Ein Interview mit Johannes Kirch, Professor für Personalmanagement und Unternehmensführung an der privaten bbw Hochschule in Berlin.

 

Illustratorin: Josephine Warfelmann
Illustratorin: Josephine Warfelmann
Interview: Julia Thiem Redaktion

Herr Professor Kirch, mit zunehmender Digitalisierung verändern sich Prozesse in Unternehmen. Organisationen werden agiler. Mit welchen Konsequenzen für Personalmanagement und Führung?
Ich würde zunächst gerne unterscheiden: Agiles Projektmanagement ist nicht neu, kommt ursprünglich aus der Softwareentwicklung und hat hier durchaus auch seine Berechtigung. Ob es deshalb komplett auf ganze Organisationen ausgerollt werden muss, würde ich vorsichtig anzweifeln. Fakt ist in jedem Fall, dass Unternehmen innovativer sein, schneller auf Veränderungen reagieren und dafür ihre Belegschaft aktivieren und mitnehmen müssen. Und genau hier kommen dem Personalmanagement und den Führungskräften wichtige Rollen zu.

Können Führungskräfte und Personal dabei an einem Strang ziehen?
Können und sollten sie. Dennoch ist ihre jeweilige Perspektive eine andere. Führungskräfte haben in der Regel strategische Ziele, etwa den zwanzigprozentigen Effizienzgewinn durch Digitalisierung von Prozess XY. Die Rolle von HR bei diesen Veränderungen muss neben der operativen Unterstützung eine andere sein, nämlich die eines Anwalts der fähigkeitsbezogenen sowie der kulturellen Aspekte. Denn wenn größere Transformationen ohne die Beteiligung von HR angestoßen und umgesetzt werden, gibt es in der Regel immer Kollateralschäden, da diese Themen zwischen engen Zielvorgaben und operativem Geschäft meist hintenüberfallen.

Bei all den technologischen Möglichkeiten wie einer KI, die uns in naher Zukunft als Co-Worker unterstützt, spielt die Unternehmenskultur noch immer eine so große Rolle?
Aus meiner Sicht schon. Denn lange vor agilen Methoden oder der New-Work-Debatte – beides diskutiere ich in meinen Veranstaltungen immer in einem Atemzug – gab es unterschiedliche Typen von Mitarbeitenden: Die Proaktiven, die Follower und diejenigen, die von den anderen mitgetragen werden. Kann ich bei einer so heterogenen Belegschaft von heute auf morgen Hierarchien abbauen, neue Rollen etablieren, Eigenverantwortung einfordern und darauf bauen, dass sich alle von sich aus weiterbilden? Kann ich jeden transformieren und zum Change-Agenten, zum proaktiven Innovationsprofi machen? Sicher nicht. Die Geschäftsführung in einem kleinen Betrieb kann vielleicht noch mit dem eigenen Vorangehen und der richtigen Einstellung ihre 15 Mitarbeitenden motivieren, zum Lernen anregen und für neue digitale Veränderungen begeistern. Die Konzernzentrale in München weiß jedoch nicht, was Frau Müller in der Niederlassung Oranienburg motiviert und was sie zum Lernen aktiviert. Je größer und komplexer eine Organisation, desto entscheidender wird auch ein entsprechendes Management der Unternehmenskultur.

Prof. Dr. Johannes Kirch Professor für Personalmanagement und  Unternehmensführung an der privaten bbw Hochschule in Berlin
Prof. Dr. Johannes Kirch Professor für Personalmanagement und Unternehmensführung an der privaten bbw Hochschule in Berlin

Das kann die in der Regel zentral organisierte HR-Abteilung dann aber auch nicht wissen…
Vor allem dann nicht, wenn die HR-Profis vor Ort wie so oft wegrationalisiert wurden. Daher ist es umso wichtiger, dass HR das Thema Unternehmenskultur hoch gewichtet und entsprechend vorantreibt. Zur Motivation der Kolleginnen und Kollegen vor Ort sehe ich zudem sowohl die verantwortlichen Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden selbst in der Pflicht. Soll heißen: Führungskräfte sollten einschätzen können, welche Fähigkeiten kurz-, mittel- und langfristig in den Teams gebraucht werden und, mit Hilfe von HR, entsprechende Lernangebote machen. Die Führungskräfte sind aber auch auf Anregungen von den eigenen Mitarbeitenden angewiesen, die oft sehr genau wissen, was sie für ihre zukünftige Arbeit benötigen.

Was bedeutet der technologische Wandel in diesem Kontext?
Das beste Beispiel liefert doch gerade  ChatGPT, eine künstliche Intelligenz, mit der sich jeder von uns Texte zusammenstellen lassen und anschließend effizient optimieren kann. Das Beispiel zeigt, dass sich auch das Arbeitsfeld von so genannten Wissensarbeitenden stark verändert. Neue Technologien werden immer wieder und häufiger für Veränderungsimpulse sorgen. Auf die daraus resultierenden Produktivitätsgewinne ist unsere Wirtschaft allein schon aufgrund des demografischen Wandels angewiesen. Unternehmen und Führungskräfte haben aus meiner Sicht die Pflicht, die Mitarbeitenden mitzunehmen, sie auf diese Veränderungen vorzubereiten, wo möglich entsprechend zu schulen und ansonsten aktive Selbstlernprozesse anzustoßen und dafür Freiräume zu schaffen.

Demografischer Wandel ist ein gutes Stichwort: Künftig gilt es, kommunikativ von der technikaffinen Gen Z bis zum Best Ager ein breites Spektrum an Mitarbeitenden abzuholen, um dem Fachkräftemangel zu trotzen. Ist Digitalisierung da der richtige Weg?
Stark diverse Belegschaften zu managen, wird in Zukunft eine der großen Herausforderungen sein – nicht nur mit Blick auf Altersstrukturen. Auch Migration und die Teamarbeit mit internationalen Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern oder mit Freelancern ist ein wichtiges Thema. Digitalisierung kann hier einerseits bei der Einbindung in die Teamprozesse unterstützen. Andererseits wird ein Großteil der zukünftigen Lernprozesse digital unterstützt ablaufen. Und somit dabei helfen, Menschen mit Qualifikationen und vor allem Kompetenzen auszustatten, die sie für eine Aufgabe brauchen, aber noch nicht haben – etwa, weil der ausländische Abschluss nicht anerkannt wird oder mit Ü50 selbst initiiert eine Programmiersprache erlernt wird, weil die Affinität und der organisationale Nutzen da sind.

Wie kann Veränderung positiv begleitet werden?
Auch wenn die zugrundeliegende Studie aus den 40er Jahren stammt – Kurt Lewin hat als einer der ersten die Bedeutung der Partizipation und des Teamansatzes für größere Änderungen betont. Ohne die Aktivierung und den Einbezug der Mitarbeitenden in den anstehenden Change scheitern viele dieser Initiativen. Es ist für Change-Prozesse enorm wichtig, dass die intrinsische Motivation der Mitarbeitenden zum Probieren, zum Lernen, zum Verbessern und Gestalten aktiviert wird, sodass die emotionale Bewertung des Wandels positiv ausfällt.

Nächster Artikel