Stoff der Zukunft

Der große Wasserstoff-Hype ist vorbei. Nun werden die ersten Weichenstellungen getätigt. 

Illustration: Emanuela Carnevale
Illustration: Emanuela Carnevale
Kai Kolwitz Redaktion

In der Schweiz lässt sich heute schon besichtigen, wie die Zukunft des Straßentransports aussehen könnte. Denn bereits 2018 begann dort der „Förderverein H2 Mobilität Schweiz“ seine Arbeit. In dem Verein schlossen sich unter anderem Kraftstoffproduzenten, Tankstellenbetreiber, Speditionen und Einzelhandelsketten zusammen. Das Ziel war es, eine Infrastruktur im Land aufzubauen, die es erlauben sollte, mit H2 – mit Wasserstoff – im Tank in der Schweiz mobil zu sein. Im Fokus stand dabei der Transport von Gütern per LKW.

Fünf Jahre später existieren entlang der Achsen Bodensee – Genfer See und Basel – Luzern insgesamt 16 Wasserstoff-Tankstellen. Das reicht aus, um entlang dieser Routen sorgenfrei mit Wasserstoff-LKW fahren zu können. Und das geschieht auch schon täglich: 48 Lastwagen laufen im Regelbetrieb, in deren Brennstoffzelle Wasserstoff in Strom für einen kräftigen Elektromotor umgewandelt wird, der den Laster antreibt. Zu den bisherigen Erfahrungen hat der Förderverein eine positive Bilanz gezogen. 

Hintergrund der Schweizer Bemühungen ist, dass Wasserstoff in den kommenden Jahren zu einem  der wesentlichen Treibstoffe der Energiewende werden soll. In Mobilität und Industrie hat er das Potenzial, fossile Energieträger wie Erdgas, Kohle, Öl, Benzin oder Diesel in vielen Bereichen zu ersetzen. 

Entsprechend laufen auch in Deutschland die Bemühungen auf Hochtouren, eine Infrastruktur für die Produktion und die Verteilung von Wasserstoff im Land voranzutreiben: So wurde im Jahr 2020 eine Nationale Wasserstoffstrategie beschlossen, die milliardenschwere Förderungen enthielt. Aus ihr ließ sich schon das Rückgrat eines kommenden deutschland- und europaweiten Leitungsnetzes für den Stoff herauslesen. 

Im Juli 2023 wurde diese Strategie nun fortgeschrieben. Dabei wurden die Ziele noch einmal höher gesteckt: Bis 2030 sollen in Deutschland Kapazitäten für die Produktion von mindestens 10 Gigawatt klimaneutral erzeugtem – so genanntem „grünen“ – Wasserstoff im Land aufgebaut sein (um das einzuordnen: Das abgeschaltete Atomkraftwerk Emsland hatte eine Nennleistung von 1,4 Gigawatt.). Weiterer grüner Wasserstoff soll aus sonnen- und windreichen Ländern importiert werden, das Leitungsnetz soll in den nächsten fünf Jahren auf mehr als 1.800 Kilometer wachsen. Damit verbunden sind neben klima- durchaus auch industriepolitische Ambitionen: Ziel der Förderung ist es nicht zuletzt, Deutschland zum Leitanbieter für Wasserstofftechnologien zu machen. Das gilt sowohl für die Produktion als auch für den Einsatz in Mobilität und Industrie.  

In letzterer läuft die Umstellung ebenfalls schon: So lassen die Stahlkonzerne Thyssen-Krupp und Salzgitter AG gerade so genannte Direktreduktionsanlagen errichten. Bei Thyssen-Krupp soll der Neubau in drei Jahren einen der Hochöfen ersetzen, die in Duisburg Roheisen erzeugen. Statt mit Koks und Kohle wird die neue Anlage zuerst mit Erdgas laufen – und dann, wenn der Stoff ausreichend verfügbar ist, mit Wasserstoff. Motivator für solche Projekte ist nicht allein das grüne Gewissen der Betreiberkonzerne: Da im Zuge des EU-Emissionshandels die Preise für CO2-Zertifikate in den kommenden Jahren deutlich steigen werden, werden konventionelle Produktionsverfahren parallel dazu immer teurer werden.

Im Bereich Mobilität ist die Sache dagegen nicht ganz so eindeutig, trotz des eingangs erwähnten Beispiels aus der Schweiz. Denn hier konkurrieren drei Energiequellen darum, die fossilen Treibstoffe der Gegenwart zu ersetzen: Strom aus im Fahrzeug verbauten Akkus, Wasserstoff und die so genannten E-Fuels, die den bisherigen Treibstoffen chemisch weitgehend entsprechen, aber mit Hilfe von grünem Strom aus Wasserstoff erzeugt werden. Für das Fahren mit Wasserstoff spricht der Wirkungsgrad und damit auch der Preis. Für E-Fuels die Tatsache, dass sie sich in herkömmlichen Verbrennungsmotoren einsetzen lassen. 

Für die Konkurrenz zwischen dem Fahren mit Strom aus dem Akku und dem mit Wasserstoff gilt dagegen Folgendes: Bei ersterem ist der Wirkungsgrad noch einmal besser. Dafür ist die gleiche Menge Energie in Form von Wasserstoff leichter und verbraucht weniger Platz als die entsprechende Menge Batterien. Wasserstoff wird also um so interessanter, je schwerer die zu transportierende Last ist und je weiter die Strecke, die zu überwinden ist. 

Flugzeug-Prototypen, zum Beispiel vom Stuttgarter Unternehmen H2Fly, sind bereits in der Luft. Auch Airbus hat Ende 2022 angekündigt, ein mit Wasserstoff betriebenes Brennstoffzellen-Triebwerk zu entwickeln. Auf der Schiene laufen Wasserstoff-Züge sogar bereits im Regelbetrieb, etwa als S-Bahnen im Rhein-Main-Gebiet. Anfangs hatte es mit der Technik große Probleme gegeben, laut Rhein-Main-Verkehrsverbund sollen diese aber zum größten Teil gelöst sein. Bei der Deutschen Bahn AG hat man die Wasserstoff-Ära auch schon im Blick – man plant eigene Produktionsstätten für den Treibstoff der Züge und auch mehr Infrastruktur für den Transport von Wasserstoff durchs Land.

Was die LKW angeht, ist allerdings noch nicht zu erkennen, was sich am Ende durchsetzen wird. Denkbar ist, dass Lastwagen in Zukunft je nach Einsatzzweck von Akkus oder Brennstoffzelle angetrieben werden. 

Bundesverkehrsminister Volker Wissing kommentierte das Thema anlässlich der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie so: „Wasserstoff und seine Derivate sind ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige klimafreundliche Mobilität und ergänzen sinnvoll andere alternative Antriebsformen.“ Der Einsatz im Verkehrssektor trage zur notwendigen Skalierung der Wasserstoffwirtschaft bei. Es sei deshalb wichtig und folgerichtig, dass er in der Strategie eine zentrale Rolle einnehme. 

Eine wichtige Grundsatzentscheidung dazu haben Mitte September die Grünen getroffen. Sie wollen nun doch zulassen, dass CO2 aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird, damit es nicht in die Atmosphäre gelangt. Das könnte zum Beispiel dann getan werden, wenn Wasserstoff wie bisher aus fossilem Erdgas statt mit Hilfe von Wind und Sonne erzeugt wird. Dadurch würde auch dieser Wasserstoff als klimaneutral gelten und könnte helfen, das Hochfahren einer Wasserstoff-Wirtschaft zu beschleunigen. 
Denn damit der Plan aufgeht, muss in den kommenden Jahren noch sehr viel Infrastruktur geschaffen werden – für den Transport und auch für die Produktion von Wasserstoff mit Hilfe von regenerativen Energien. 

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