Güter auf die Schiene

Um Straßen und Umwelt zu entlasten, müssen Eisenbahnen modernisiert und Schienenstrecken stärker ausgebaut werden. Die Strategie ist richtig, die Umsetzung müsste schneller gehen.
Illustration: Dirk Oberländer
Jürgen W. Heidtmann Redaktion

Am 1. Juni 2016 wurde unter dem St. Gotthard der längste Tunnel der Welt eröffnet. Sagenhafte 57 Kilometer lang, unterquert er eines der stärksten Gebirgsmassive der Alpen. An manchen Stellen türmt sich der Fels mehr als zwei Kilometer hoch über dem Tunnel auf. „Die Bewältigung der enormen Herausforderungen für die Realisierung des Jahrhundertbauwerks ist ein Beweis für Schweizer Innovationskraft“, erklärte die Schweizerische Bundesbahnen SBB stolz. Die SBB ist die Bauherrin: Der Gotthard-Basistunnel ist ausschließlich für die Eisenbahn gebaut worden.

Den Alpen droht nämlich der Verkehrsinfarkt. 2014 waren laut Statistikamt 4,5 Milliarden Tonnen Güter in Deutschland unterwegs – und damit erstmals wieder mehr als im Rekordjahr 2008. Der Löwenanteil davon, nämlich 3,5 Milliarden Tonnen, fuhr auf der Straße – eine Steigerung im Verhältnis zum Vorjahr um 3,7 Prozent. Und davon windet sich ein nicht unbeträchtliches Volumen auf 1,3 Millionen Lkw pro Jahr hoch über die Alpen und wieder herunter nach Italien.

Die Bergbewohner leiden schon lange unter den übervollen Straßen. Ganz zu schweigen von der Belastung durch Lärm und Dieselgestank. Daher haben die Schweizer bereits in den 1990er Jahren per Volksbegehren entschieden, die Schieneninfrastruktur auszubauen und so mehr Verkehr auf die Bahn zu verlagern. Nun bildet der Gotthard-Basistunnel das zentrale Element einer neuen Alpendurchquerung auf der Schiene.

Damit gehen die Schweizer voran. Jetzt müsste Deutschland nachziehen. Auch hierzulande ist der Handlungsbedarf groß: Laut „Modal Split“-Berechnung des Bundesumweltamts wuchs der Güterverkehr auf der Straße von 1991 bis 2013 um 56,7 Prozent an, während der Anteil der Bahn am Gütervekehr in der gleichen Zeit nur wenig anstieg. Dabei sehen laut Emnid-Umfrage von 2016 neun von zehn Bürgern die Verkehrsverlagerung von der Straße auf die Schiene als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ an, um Straßen, Anwohner und Umwelt von den Folgen des wachsenden Lkw-Verkehrs zu entlasten.

Doch in der Praxis hakt es bei den deutschen Eisenbahnen. 2014 wurden mit dem Verkehrstäger Schiene 365 Millionen Tonnen Güter befördert, 2,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Zwar belasteten Streiks das Ergebnis, doch schon seit Jahren bleibt die Bahn hinter ihren Ansprüchen zurück. Das gilt insbesondere für den Marktführer im Personen- und Güterverkehr: die Deutsche Bahn. Das Image des privatisierten und doch zu 100 Prozent im Besitz des Staates befindlichen Konzerns ist angeschlagen, sowohl im Personen- als auch im Güterbereich: Verspätungen, Ausfälle, dazu kommen hohe operative Verluste. 2015 fuhr die Deutsche Bahn einen Verlust von 1,3 Milliarden Euro ein, davon entfielen auf die Güterbahn laut Deutscher Verkehrs-Zeitung DVZ 200 Millionen Euro.

Die Güterbahn ist schwerfällig, oftmals unpünktlich, ihre Transportgeschwindigkeit im Vergleich zum Lkw ist niedrig. 2016 wurde der Bahn eine Frischzellenkur verordnet: Das Programm „Zukunft Bahn“ soll den Zugverkehr pünktlicher und attraktiver machen. Die Güterbahn soll, mit neuem Vorstandsvorsitzenden an der Spitze und der Umbenennung von DB Schenker Rail in DB Cargo, einen neuen Anfang wagen, soll Kosten sparen und gleichzeitig die Qualität und damit die Kundenzufriedenheit steigern. Dazu sollen laut DVZ bis zu 2000 Stellen gestrichen, knapp 200 Güterverkehrsstellen geschlossen und die Marktbereiche neu strukturiert werden. Der Fokus auf die Containertransporte, nicht nur auf See, sondern auch an Land ein stark wachsendes Segment in der Logistik, wird verstärkt.

Um Containertransporte, in der Fachsprache Kombinierter Verkehr (KV) genannt, zu fördern, werden in wichtigen Industrieregionen Umschlagplätze errichtet. An diesen „KV-Terminals“ können Güter vom Lkw oder vom Binnenschiff auf die Bahn umgeschlagen werden. Damit können auch Unternehmen ohne Schienenanschluss die Bahn nutzen. Der Containertransport mit dem Lkw soll dabei möglichst kurz sein, er führt vom Werk direkt in das nächstgelegene Terminal und dort auf die Schiene. Über die lange Strecke soll dann die Bahn den Transport übernehmen. In der Zielregion wird der Container wieder auf den Lkw verladen, der dann die so genannte „letzte Meile“ zum Zielort zurücklegt.  

Das Konzept, das sukzessive bereits umgesetzt wird, entlastet die Straßen und reduziert die Umweltbelastung durch den Verkehr. Denn die Züge fahren weitgehend elektrisch, sie können mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben werden, also CO2-frei fahren. Diese Option kann bereits heute gebucht werden und wird von vielen Auftraggebern genutzt, die damit sie ihre CO2-Bilanz verbessern.

Bleibt die Achillesferse der Güterbahn: der Lärm. Während die schnellen ICEs einigermaßen leise fahren, machen Güterzüge im Vorbeifahren einen Heidenkrach. Ursache ist die veraltete Bremstechnologie: Die Grauguss-Sohlen rauhen beim Bremsen die Laufräder auf, sodass beim Rollen durch die Reibung starke Geräusche entstehen. Derzeit werden die Güterwagen auf lärmarme Bremssohlen umgerüstet, die den Lärm subjektiv halbieren sollen. An besonders lauten Abschnitten werden Lärmschutzwände errichtet.

Problematisch bleibt es dennoch für Anwohner an den Strecken, die traditionell durch dicht besiedeltes Gebiet führen, etwa das Ruhrgebiet oder das Mittelrheintal, eine der wichtigsten Verbindungen zwischen Europas größtem Hafen Rotterdam und dem südlichen Europa – und dem Gotthard-Basistunnel. Hier müsste eigentlich eine Ausweichstrecke gebaut werden. Doch die ist im Bundesverkehrswegeplan 2030 nur als „Vorhaben mit potentiellem Bedarf“ eingestuft worden. Darin eingestellt sind für Aus- und Neubauprojekte auf der Straße 2,3 Milliarden Euro pro Jahr, auf die Schiene entfallen 1,8 Milliarden Euro. Allein der Bau des Gotthard-Basistunnels kostete die Schweiz mit einem Zehntel der deutschen Bevölkerung umgerechnet rund zehn Milliarden Euro. Mehr Güter auf Schiene? In Deutschland ist das bisher ein halbherziges Unterfangen.

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