Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografie und De-Globalisierung (4D): Die deutsche Wirtschaft steht vor großen strukturellen Herausforderungen. Anpassungsfähigkeit und kontinuierliche Verbesserung sind wesentliche Eigenschaften, die erfolgreiche Unternehmen haben müssen. Schnell und effektiv auf Veränderungen zu reagieren und sich kontinuierlich anzupassen – das zeichnet agile Unternehmen aus.
Doch Agilität ist kein Selbstläufer. „Inmitten zunehmender politischer Spannungen sowie vielfältiger externer und interner Komplexitäten ist es eine der größten Herausforderungen für CEOs und Aufsichtsräte, ihre Organisationen agil und auf Fokus zu halten“, erklärt Lars Gollenia, Deutschland-Geschäftsführer von Spencer Stuart, einer Top-Executive-Search-Beratung. Jeder Vierte der in Deutschland Befragten bewertet die Agilität in seinem Unternehmen als nicht ausreichend. Die Antwort auf Herausforderungen und sich ändernde Parameter im Unternehmen sei „träge und mühsam“.
Die breite Mehrheit der Unternehmen ist sich darüber im Klaren, dass ihre Geschäftsprozesse agiler werden müssen, um mit den sich schnell ändernden Geschäftsanforderungen Schritt zu halten. Um dies zu erreichen, treiben die meisten Unternehmen Initiativen zur digitalen Transformation voran. Der Chemie-Konzern BASF zum Beispiel erkennt große Chancen in der Digitalisierung. Mit neuen digitalen Services erhalten die Kunden mobilen Zugriff auf wichtige Informationen in Echtzeit. In der Supply Chain vernetzt sich BASF mit den Kunden und tauscht logistikrelevante Daten aus. Dadurch könnten die Kunden schneller und besser beliefert werden, so BASF. In der Produktion nutzt BASF gezielt Daten, um den Wartungsbedarf der Produktionsanlagen besser vorherzusagen und steigert dadurch die Anlagenverfügbarkeit.
OHNE DIGITALISIERUNG KEINE AGILITÄT
BASF geht damit einen Weg, den viele Unternehmen beschreiten möchten. In der aktuellen Digitalisierungsumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) geben Unternehmen als Motive für die Digitalisierung vor allem die Flexibilisierung der Arbeit, die Qualitätsverbesserung und die Kosteneinsparung an. Gerade von generativer KI (Künstlicher Intelligenz) versprechen sich die Unternehmen in Deutschland viel. Fast jedes zweite Unternehmen ist laut Bitkom überzeugt, dass KI die Büroarbeit so revolutionieren wird wie die Einführung des PCs. Als größte Vorteile der Technologie bezeichnen jene Unternehmen, die bereits generative KI einsetzen, schnellere und präzisere Problemanalysen sowie beschleunigte Prozesse.
Für thyssenkrupp Steel verspricht der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) eine verbesserte Qualität der Produkte und Zuverlässigkeit der Produktion. Der Big-Data-Ansatz trage auch unmittelbar zur Transparenz bei. „Wir bieten unseren Kunden heute eine nie dagewesene Nachvollziehbarkeit ihrer Bestellungen“, berichtet Volker Lang, Head of Digital Transformation & Innovation, thyssenkrupp Steel Europe AG. „Die detaillierten Einblicke bieten ihnen einen klaren Wettbewerbsvorteil und ermöglichen es, Produktionsprozesse und Qualitäten zu optimieren“. Denn mithilfe von Data Analytics würden sich beispielsweise Materialeigenschaften präziser vorhersagen und Toleranzen genauer treffen lassen.
NEUE TECHNOLOGIEN WERDEN DIE ARBEIT STARK VERÄNDERN
Auch die Beschäftigten deutscher Unternehmen teilen die Ansicht, dass KI ihre Arbeit positiv verändern wird. Den größten Vorteil beim KI-Einsatz am Arbeitsplatz sehen Erwerbstätige laut Bitkom-Umfrage darin, dass Unternehmen damit zukunftsfähig bleiben, Arbeitszeit gespart wird und Menschen sich dadurch auf wichtigere Aufgaben konzentrieren können.
„Künstliche Intelligenz wird endlich von der Mehrheit der Deutschen als Chance zur Unterstützung der eigenen Arbeitswelt begriffen“, berichtet Alexander Rabe, Geschäftsführer von eco – Verband der Internetwirtschaft. „Viele Jobs werden dadurch interessanter, weil mehr Raum für kreative Projekte und sinnstiftende Tätigkeiten bleiben wird. Damit das auch tatsächlich so ist, müssen sich die Unternehmen jedoch bewusst dafür entscheiden und Angebote schaffen“, so Rabe weiter.
Künstliche Intelligenz rein als Möglichkeit zu sehen, die Produktivität insgesamt zu steigern, greife zu kurz. Nur die Effizienz im Blick zu haben, führe letztlich zu einer Arbeitsverdichtung und mehr Stress für die Mitarbeitenden, wenn diese nun mehr Aufgaben in kürzerer Zeit erledigen sollen. „Führungskräfte sollten die Einführung von KI-Anwendungen dazu nutzen, Mitarbeitenden nach Möglichkeit Freiräume zum Experimentieren einzuräumen und dadurch auch die Zufriedenheit im Job zu erhöhen“, so eco-Geschäftsführer Rabe. „Damit Künstliche Intelligenz den größten Nutzen für ein Unternehmen entfaltet, müssen entsprechende Tools planvoll und im Idealfall in Absprache mit den Mitarbeitenden eingeführt werden.“
Michael Nilles, Chief Digital & Information Officer bei Henkel, sieht dies ähnlich: „Generative KI verändert Wirtschaft und Gesellschaft in einem ähnlichen Ausmaß wie das Internet, aber mit Lichtgeschwindigkeit. Wir müssen uns frühzeitig auf diese neuen Technologien einstellen und sie nutzen, um Innovationen voranzutreiben und neue Möglichkeiten für Henkel zu eröffnen“.
In der Vergangenheit waren digitale Marketing-Kampagnen oft auf einige wenige Variationen von Assets und Texten beschränkt, berichtet Henkel. Mit der Unterstützung von generativer KI kann das Henkel-Marketing jetzt Inhalte für verschiedene Kanäle kombinieren und anpassen, sowie die Anzahl an maßgeschneiderten Botschaften erhöhen. Durch den Einsatz generativer KI werde die Erstellung von Inhalten, die sonst Stunden oder Tage in Anspruch nehmen würde, auf Minuten verkürzt.
NEW WORK BRAUCHT MEHR ALS KI
Die unter dem Stichwort „New Work“ zusammengefassten neuen Arbeitsmodelle wie agiles Arbeiten, flexible Arbeitsorganisation und neue Führungsmethoden haben bereits gut vier von fünf Industrieunternehmen in Deutschland ganz oder teilweise umgesetzt. Das hat die „TÜV Weiterbildungsstudie 2024“ ergeben. „New-Work-Methoden kommen vor allem in Unternehmen zum Einsatz, die Innovationen vorantreiben, schneller auf Veränderungen reagieren und die Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden verbessern wollen“, erläutert Dr. Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands.
Die Digitalisierung liefert die technische Grundlage für hybrides Arbeiten im Büro, im Homeoffice und andere Formen von New Work. Doch Technologie ist nicht alles. Das Innovationsnetzwerk OFFICE 21 des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat untersucht, wie moderne Arbeitsumgebungen zu gestalten sind, die sowohl den technischen Fortschritt als auch die sozialen Bedürfnisse der Mitarbeitenden berücksichtigen. „Der soziale Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ist der Hauptgrund, ins Büro zu kommen, sagt Mitja Jurecic, Autor der Studie „Office Analytics 2.0“ im Innovationsnetzwerk OFFICE 21. Offensichtlich ist der KI-Assistent im Homeoffice kein Ersatz für den Austausch mit anderen Menschen.
MENSCHEN DENKEN UNTERSCHIEDLICH
„Der größte Fehler, den ein Unternehmen in der aktuellen Situation machen kann, besteht darin, die Bedeutung zu unterschätzen, die den Menschen, den unterschiedlichen Denkweisen und der Kultur bei der Förderung von Agilität zukommt“, warnt Kat Lee, EY Partner, People Advisory Services. „In vielen Unternehmen wächst die Einsicht, dass nicht die Prozesse und Tools der Schlüssel zur Agilität sind, sondern die Mitarbeitenden“, macht Kat Lee deutlich. Viele Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten, auf die notwendigen Ressourcen und Fachkenntnisse zuzugreifen und stehen vor der Herausforderung, Talente für Schlüsseltechnologien der nächsten Generation zu finden und auszubilden.