Die Energiewende: alternativlos oder verhasst

Die Abkehr von fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern kommt EU-weit gut voran. Für diesen Prozess hat sich der Begriff der Energiewende etabliert. Die Politik kann ihr Antreiber oder Hemmschuh sein – das zeigen die Programme der Parteien zur Bundestagswahl 2025.

Illustration: Wyn Tiedmers
Illustration: Wyn Tiedmers
Frank Burger Redaktion

Wir schreiben das Jahr 1980: Die Autoren Florentin Krause, Hartmut Bossel und Karl-Friedrich Müller-Reissmann veröffentlichen eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel „Energie-Wende: Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran“ – es ist die wahrscheinlich erste Verwendung des Begriffs Energiewende.

Mittlerweile gehört das Wort zum festen Vokabular aller Diskussionen und Entscheidungen der Energiepolitik. Die Bundeszentrale für politische Bildung definiert sie als „dauerhafte Versorgung von Wirtschaft und Gesellschaft mit Energie wie Strom und Wärme aus nachhaltig nutzbaren, erneuerbaren oder regenerativen Quellen“, um den „Anteil der fossilen Energieträger wie Erdöl, Erdgas, Kohle und den Kernenergieanteil am Energiemix in Deutschland […] zu verringern.“ Die Energiewende ist zentrales Element aller Klimaschutzmaßnahmen und hat ihren Platz in den Programmen und Studien von Parteien, Verbänden, Initiativen und Wissenschaft, die Politik hat sie in Gesetze gegossen.
 

ERNEUERBAR ÜBERHOLT FOSSIL


Und sie ist erfolgreich: Laut dem internationalen Thinktank Ember war der Anteil fossiler Energien an der Stromerzeugung in der EU 2024 so klein wie nie zuvor. Kohle machte weniger als zehn Prozent aus, Gas knapp 16 Prozent, insgesamt kamen fossile Energieträger auf rund 29 Prozent.

Dafür stieg der Anteil des Stroms aus erneuerbaren Energien auf 47,5 Prozent. Gut 17 Prozent entfielen auf Windkraft, elf auf Solarenergie, hinzu kommen unter anderem Wasserkraft und Biomasse. In Deutschland betrug der Anteil regenerativer Energien an der Stromerzeugung im Dezember 2024 sogar 56 Prozent.

Strom spielt die zentrale Rolle beim klimaschonenden Heizen, etwa mit Wärmepumpen, in der durch E-Fahrzeuge geprägten Mobilität, der industriellen Produktion und der privaten Nutzung. Aber Energiepolitik, Motor oder Bremse der Energiewende, umfasst auch Themen wie Gebäudedämmung, technische Einsparmöglichkeiten, Stadtplanung oder CO2-Emissionshandel.

Zur Bundestagswahl haben fast alle Parteien das Thema Energiepolitik in ihre Programme aufgenommen – mit überraschenden Ähnlichkeiten in der Formulierung. Die jeweiligen Ziele klingen bei den ehemaligen Ampel-Koalitionären nahezu gleich und sogar die christdemokratische Noch-Opposition stößt ins gleiche Horn: „sichere und bezahlbare Energieversorgung durch Erneuerbare Energien“ (SPD), „Bezahlbare Energie für Bürger und Betriebe“ (FDP), „sichere, saubere und bezahlbare Energieversorgung“ (Bündnis 90/Grüne), „Energie muss bezahlbar, sicher und sauber sein“ (CDU/CSU).
 

KONTRÄRE ENERGIEZIELE IN WAHLPROGRAMMEN


Deutliche Unterschiede zeigen sich bei den Vorstellungen der Parteien zu Mitteln und Wegen der Energiepolitik. Die Union möchte Strom durch die Senkung von Steuern und Netzentgelten billiger machen, wichtigstes Werkzeug für den Klimaschutz ist der CO2-Emissionshandel. Das reformierte Gebäudeenergiegesetz (GEG) soll abgeschafft, das EU-weite Verbot neuer Autos mit Verbrennungsmotor rückgängig gemacht werden. Positiv bewertet die Union die „Option Kernenergie“ für die Klimaziele und die Versorgungssicherheit.

Die SPD setzt auf „CO2-Vermeidung vor CO2-Abscheidung“ zur Reduktion von Treibhausgasemissionen. Dazu sollen unter anderem ein Tempolimit auf Autobahnen und die Dekarbonisierung der Industrie beitragen; als Anreiz denkt die SPD an staatliche Förderung von Firmen, die auf klimagerechte Produktion umstellen. Für umweltfreundliche Mobilität sollen Fahrrad, Bus und Bahn besser vernetzt werden, E-Auto-Fahrer könnten mit finanziellen Vorteilen rechnen. 

Nach dem Entwurf von Bündnis 90/Grüne sollen Unternehmen unter anderem durch CO2-Bepreisung, Investitionsförderung und gesetzliche Vorgaben klimaneutral werden. Für E-Autos planen die Grünen eine Förderung, das Verbrenner-Verbot wollen sie beibehalten, ebenso die CO2-Flottengrenzwerte der EU. Ein „Klimageld“ soll Menschen mit geringerem Einkommen zugutekommen, für die höhere Transport- und Heizpreise eine stärkere Belastung darstellen – ähnlich funktioniert der „Klimabonus“ der Union.

Der Begriff „Klimadividende“ steht im FDP-Programm: Einnahmen aus einem einheitlichen europäischen CO2-Emissionshandel, für die Liberalen die einzig nötige Klimaschutzmaßnahme, werden an alle Bürger:innen ausgezahlt. Das Tempolimit auf Autobahnen und das Verbrenner-Aus lehnt die FDP ab, drosseln will sie die Geschwindigkeit, mit der Deutschland klimaneutral werden soll: nicht wie derzeit gesetzlich vorgesehen 2045, sondern erst 2050. Das GEG, das die FDP mit auf den Weg gebracht hat, wollen die Freien Demokraten abschaffen. Weitere Programmpunkte: Erdgas-Fracking ja, Atomenergie unter Umständen, umweltfreundliche Alternativen zum E-Auto unbedingt, Luftverkehrssteuer weg.

Auch das Bündnis Sarah Wagenknecht, BSW, sieht die Klimaneutralität Deutschlands bis 2045 als unrealistisch an und möchte fossile Energieträger weiter nutzen. Für günstigen Strom sollen die Verstaatlichung der Netze, niedrigere Netzentgelte und regionale Gaskraftwerke sorgen. Die Sanktionen gegen Russland seien „ein Killerprogramm für deutsche Unternehmen“, die Partei fordert Verhandlungen mit dem Kreml über „Energieimporte, die sich am Kriterium des niedrigsten Preises orientieren.“ 
 

KONZERNE WEG VS. WINDRÄDER FÄLLEN


Die Linke ist gegen die Abscheidung und Nutzung von CO2, da dies fossile Produktionsprozesse länger als nötig aufrechterhalte. Zur Beschleunigung der Energiewende will die Partei Energiekonzerne entmachten und Versorgungsnetzwerke verstaatlichen. Als Ausgleich für die Belastung durch CO2-Bepreisung sollen die Bürger:innen ein „Klimageld“ bekommen. Die Umrüstung auf klimafreundliche Heizungen soll bis zu 100 Prozent gefördert werden. Inlandsflüge und Privatjets möchte Die Linke verbieten. 

Die AfD möchte Schluss machen mit der „,Klimaschutzpolitik‘“. Die Energiewende gefährde die Versorgung mit Strom und treibe dessen Preis hoch. CO2-Abgabe, Verbrenner-Verbot und Heizungsgesetz möchte die AfD abschaffen, Strom sollen Kohle- und Atomkraftwerke erzeugen, der Ausbau von Wind- und PV-Anlagen gestoppt werden. AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel auf dem Wahlparteitag in Riesa: „Wenn wir am Ruder sind, reißen wir alle Windkraftwerke nieder.“
 

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