In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Städte immer autogerechter gestaltet. Es herrschte die Annahme vor, dass Innenstädte dann attraktiv und belebt sind, wenn sie mit dem privaten PKW schnell zu erreichen sind. Auf ein stetig steigendes Verkehrsaufkommen reagierten die meisten Stadtplanenden mit einem immer weiteren Ausbau von Straßen und Parkplätzen.
Erst allmählich erkannte man, dass mehr Straßen nicht zu weniger Staus führen, sondern zu mehr Autos. Ab den 90er-Jahren stießen immer mehr Städte in Deutschland und weltweit an ihre baulichen Grenzen – und noch heute ist das innerstädtische Verkehrschaos vielerorts ein großes Problem. Neue Ideen für die Verkehrsgestaltung sind gefragt, und werden von Städten weltweit in der Praxis erprobt. Zahlreiche Städte tauschen sich zudem in ihren Städtepartnerschaften sowie in internationalen Netzwerken aus, besprechen ihre Herausforderungen und Erfolge und tragen Lösungsansätze in die Welt. Ein solches Netzwerk ist Connective Cities, ein Vorhaben des Deutschen Städtetages, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW), das Städte in den Dialog bringt. Mit dem Ziel, sich gemeinsam für eine nachhaltigere Welt zu engagieren, ist gerade der Verkehr in Städten immer wieder Thema des Austauschs – und viele gute Ideen konnten bereits geteilt werden.
Da wäre beispielsweise Leipzig: In den 1990er-Jahren stand die Stadt kurz vor dem Verkehrskollaps. Permanente Staus machten die historische Innenstadt immer schwerer erreichbar, der City blieb die Kundschaft weg, Geschäfte mussten schließen. Um das Zentrum zu entlasten, beschloss der Stadtrat bereits 1993 das Konzept „Autoarme Innenstadt“. Zufahrten ins Zentrum wurden mit versenkbaren Pollern versehen, für den Lieferverkehr zeitliche Beschränkungen eingeführt. Das Zentrum wurde verkehrsberuhigt. Insbesondere der Einzelhandel profitiert von der entspannten Shopping-Atmosphäre und die neue Lebensqualität zieht viele Menschen an. Aufbauend auf diesen Erfahrungen hat die Stadt im Juni 2020 nach einer zweijährigen Phase der Bürgerbeteiligung ihre Mobilitätsstrategie 2030 verabschiedet. Sie ist umfassender und nimmt das Fußwegenetz, die Fahrradinfrastruktur und den ÖPNV als Ganzes in den Blick. Neue Angebote verändern Gewohnheiten: Seit 1994 haben sich die täglich mit dem Rad zurückgelegten Wegstrecken der Leipzigerinnen und Leipziger mehr als verfünffacht! Gute Erfahrungen, die Leipzig im Austausch an Mobilitätsfachleute weltweit weiterreichen konnte.


Neue Herausforderungen im Verkehr ergaben sich auch mit der Coronapandemie, die weltweit zu einer starken Zunahme des Radverkehrs in Städten geführt hat. Dies war eine gute Nachricht fürs Klima – führte aber leider vielerorts zu einem Höchststand an Verkehrstoten unter den Radfahrenden. Eine vielversprechende Idee kam hier aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, die als eine der ersten Städte mit sogenannten „Pop-up-Fahrradwegen“ reagierte. Etwa 60 Kilometer Fahrspuren und Parkstreifen wurden mit einfachen mobilen Baustellenmarkierungen vom übrigen Straßenverkehr getrennt und so für ein sicheres Fahrradfahren freigegeben. In der Folge sank durch diese einfachen Mittel die Anzahl der Verkehrstoten unter den Radfahrenden auf nahezu null. Berlin folgte diesem Beispiel, nachdem 2020 18 Tote unter den Radfahrenden zu beklagen waren. Die Mehrheit der Berliner Bevölkerung befürwortet inzwischen die zehn neuen Radwege, die mittlerweile verstetigt wurden. 18 weitere befinden sich in der Prüfung.
Auch Wiesbaden war mit coronabedingten Herausforderungen konfrontiert: Vor Ort macht der Güterverkehr etwa 30 Prozent des Gesamtverkehrs aus. Ein Großteil davon sind Lieferanten. Während der Coronapandemie stieg die Zahl der Paketsendungen im Jahr 2020 gegenüber dem Vorjahr um zehn Prozent. Dadurch nahmen nicht nur der Lieferverkehr, sondern auch die Stickoxidbelastung noch einmal stark zu. Schon vorab hatte die Stadt einen „Green City Masterplan“ aufgestellt, der in einem dreistufigen Prozess bis 2030 umgesetzt werden soll. Dabei entschied sich Wiesbaden ganz bewusst, den Austausch über Connective Cities zu suchen, um die eigenen Ansätze mit internationalen Fachkolleginnen und -kollegen zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Teil des Plans war unter anderem die Einrichtung von aktuell vier „Mikrohubs“, in denen Warenlieferungen auf Lastenfahrräder umgepackt werden. Ein Beitrag, um die Stadt gesünder, leiser und lebenswerter zu entwickeln.
Ziele, die Städte weltweit verfolgen – so auch Belo Horizonte in Brasilien: Inspiriert durch einen Austausch mit Bremen begann die Stadt unter breiter Bürgerbeteiligung mit der Ausgestaltung mehrerer 30km/h-Zonen. Schülerinnen und Schüler benachbarter Schulen erwiesen sich dabei als besonders engagiert und wirkten aktiv an der individuellen Gestaltung der neu gewonnenen öffentlichen Räume mit. Darüber hinaus wurde mit technischer Unter-
stützung des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie ein zusammenhängendes Radwegenetz gebaut. Inzwischen gibt es in Belo Horizonte 105 Kilometer Radwege, weitere 74 sind bereits geplant. Seitdem wechseln immer mehr Menschen dort auf das Fahrrad.
Durch die Umsetzung solcher Maßnahmen leisten Städte auf der ganzen Welt einen entscheidenden Beitrag für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft: Autoarme Städte sind nicht nur gesünder, klimafreundlicher und leiser, sondern bieten auch viel mehr Platz für Fuß- und Radwege oder einfach zum Verweilen. Als attraktive Stadtzentren sind sie somit auch für Wirtschaft und Handel erstrebenswert. Als Ansprechpartnerin für kommunale Entwicklungspoli-
tik berät, unterstützt und fördert die SKEW Kommunen bei ihrem Einsatz für nachhaltige Entwicklung, unter anderem durch die Vernetzung von Städten und Gemeinden aus Deutschland und dem Globalen Süden. Denn so profitieren alle von guten Ideen – und können sie direkt vor Ort in die Tat umsetzen.
Die SKEW ist ein Fachbereich von Engagement Global und arbeitet im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Mehr Informationen finden Sie unter:
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