Anfang September, als die FDP-Bundestagsfraktion sich in Hamburg über ihr neues Papier zur Wirtschaftswende beriet, stand das Thema natürlich auch auf der Agenda: Dort hieß es, man müsse mit „positivem Geist“ und „neuer Gründungsstimmung“ die „Transformation umarmen“. Die Transformation der deutschen Wirtschaft ist in aller Munde, denn sie ist unausweichlich.
Weniger blumig und mit klarem Fokus auf die Fakten benennt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) fünf Faktoren, die für die Zukunftsfähigkeit hiesiger Unternehmen entscheidend sind. Erstens: der demografische Wandel, also die Alterung unserer Gesellschaft und der damit einhergehende Fachkräftemangel. Zweitens: die nach wie vor nur schleppend vorankommende Digitalisierung in Deutschland. Drittens: die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft, vor allem der Produktion. Viertens: die Diversifizierung von Lieferketten, um Engpässen vorzubeugen, und Anpassung an neue Rahmenbedingungen durch neue Handelsabkommen. Fünftens: Disruptive Innovationen wie KI und Wasserstoffwirtschaft, die Geschäftsmodelle völlig neu definieren werden.
Auf jene vielen Fachkräfte, die hierzulande jährlich in Rente gehen, folgen deutlich geburtenschwächere Jahrgänge. Zudem können Hochqualifizierte sich heute weltweit bewerben. So erwarten laut DIHK 85 Prozent der deutschen Unternehmen negative Effekte aufgrund von Engpässen. Doch Betriebe können gegensteuern. Wer Work-Life-Balance ernst nimmt, etwa Remote Work anbietet, flexiblere Arbeitszeiten oder Kinderbetreuung,
wird als Arbeitgeber attraktiver – und kann etwa auch alleinerziehende Mütter für sich gewinnen. Unter Älteren und Menschen mit Behinderung findet man ebenfalls viele Fachkräfte und sollte ihnen Bedingungen bieten, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Mit Ausbildung und maßgeschneiderten Qualifizierungsangeboten punkten Unternehmen nicht nur bei ihren Mitarbeitenden, sondern schaffen sich eben jene Fachkräfte, die sie benötigen. Beim Recruiting sind neue Ideen angesagt, wie ein Mitarbeiter-suchen-Mitarbeiter-Programm zu etablieren und Angestellte als Markenbotschafter für den Betrieb zu gewinnen, die in Videos ihre Abteilung und typische Aufgaben vorstellen.
Auch mithilfe konsequenter Digitalisierung lässt sich der Fachkräftemangel zumindest in Teilen mildern – indem man Prozesse automatisiert. Neben dem Ausbau der Infrastruktur wie dem 5G-Netz, sind die Aufgaben auch unternehmensintern beträchtlich. Eine effiziente Digitalisierung der Abläufe erfordert vor allem IT-Sicherheit. Hier lohnt ein Blick auf die „it-sa Expo@Congress“ am 23. Oktober in Nürnberg. Dort treten fünf Wettbewerber für die Auszeichnung als bestes Cybersecurity-Start-up im deutschsprachigen Raum im Pitch gegeneinander an. Eines davon, LocateRisk, ermöglich Unternehmen zum Beispiel mit automatisierten Risikoanalysen und digitalisierten Workflows, ihren IT-Sicherheitsprozess sowie den präventiven Schutz vor Cyberangriffen zu verbessern. Anhand der Ergebnisse lassen sich mögliche Schwachstellen beheben und die Effektivität von Sicherheitsmaßnahmen nachweisen. Dies beschränkt sich nicht nur auf eigene Angriffsflächen, sondern lässt sich auch auf die gesamte Lieferkette mit Blick auf IT-Risiken anwenden.
Ohne Digitalisierung wird es auch mit der Dekarbonisierung schwer. Bis zur Klimaneutralität ist es ohnehin für die meisten Unternehmen noch ein weiter Weg. Und der hat es in sich. Aufgrund immer strengerer regulatorischer Bestimmungen stehen insbesondere Industriebetriebe und produzierendes Gewerbe vor der großen Herausforderung,den gesamten CO2-Fußabdruck ihrer Produkte nahtlos zu erfassen. Dies gelingt nur über einen ständigen Datenaustausch entlang der gesamten Wertschöpfung. Unter anderem hat Siemens ein Tool entwickelt, das Unternehmen hierfür nutzen können: Mit SiGREEN könne man „die realen, aktuellen CO2-Werte beim Entstehen vor Ort erfassen und entlang der gesamten Lieferkette aggregieren“. Das Ergebnis helfe, datenbasierte Entscheidungen für wirkungsvolle Reduktionsmaßnahmen zu treffen.
»85 Prozent der deutschen Unternehmen erwarten negative Effekte aufgrund von Engpässen bei Fachkräften.«
Mit Reduktion in einem ganz anderen Sinne waren Unternehmen konfrontiert, die infolge der Corona-Pandemie ihre kritische Abhängigkeit von Lieferketten zu spüren bekamen. Seitdem werden beträchtliche Teile der deutschen Wirtschaft zunehmend mit geopolitischen Spannungen konfrontiert, die ähnliche Risiken bergen. Deshalb setzen Betriebe in den betroffenen Bereichen zunehmend auf Diversifizierung. Es gilt, beim Lieferantennetzwerk, den Produktionsstandorten sowie den Beschaffungs- und Absatzmärkten die Risiken zu streuen und Resilienzen aufzubauen. Das erfordert teils hohe Investitionen. Neben der Herausforderung, passende Geschäftspartner und Märkte zu finden, erschweren etwa Handelshemmnisse und Vorgaben im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz den Diversifizierungsprozess. Deshalb rückt Bürokratieabbau in der Außenwirtschaft stärker in den Fokus, ebenso der Abschluss von Handelsabkommen mit wichtigen Partnern wie dem Mercosur, Indien oder Indonesien.
Zu den politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen kommen die technologischen. Disruptive Innovationen werden einerseits viele bestehende Geschäftsmodelle grundsätzlich in Frage stellen. Andererseits eröffnen sie völlig neue Möglichkeiten. Dazu zählen KI und die anstehende Umstellung auf eine klimaneutrale Energieversorgung durch den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft. Dass hiesige Unternehmen auch auf solch innovativen Feldern punkten können, zeigt unter anderem Aleph Alpha, „Deutschlands wichtigste KI-Hoffnung“, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich schrieb. US-Konzerne wie Intel und Nvidia wollten bereits große Teile der Firma kaufen, wurden jedoch daran gehindert. Für den Aufbau einer Deutschen Wasserstoffwirtschaft wiederum hat die Bundesregierung eine nationale Strategie entwickelt. Sie weist den Weg, den Rohstoff ausreichend verfügbar zu machen, eine H2-Infrastruktur zu schaffen und Wasserstoffanwendungen zu etablieren. Ziel ist die Marktführerschaft in diesem ganz neu entstehenden Sektor. Es gibt im Land der Ingenieure also viel zu tun, um die Wirtschaft der Zukunft zu gestalten.